Fäkalbouquet in the USA

USA WASHINGTON DC SKYLINE
USA WASHINGTON DC SKYLINE(c) EPA (MICHAEL REYNOLDS)
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Seit ich vor mehr als zweieinhalb Jahren nach Washington gezogen bin, hat sich mein aktiver englischer Wortschatz um zahlreiche nützliche Wörter erweitert, beispielsweise um den Ausdruck „raw sewage“.

Auf Deutsch heißt das „ungeklärtes Abwasser“, und weder in meiner Heimatstadt Wien noch in Brüssel, wo ich vier Jahre lang gelebt habe, war mein Alltag von der Frage überschattet, was mit dem geschieht, was wir am stillen Örtchen hinunterspülen. Dem Wiener ist das Akronym der EBS geläufig, und er ist froh, wenn er nicht im Lee der Hauptkläranlage dieser Entsorgungsbetriebe in Simmering wohnt. Aber grundsätzlich darf man davon ausgehen, dass Fäkalien nicht ungeklärt in den Donaukanal und fürderhin in die Donau geleitet werden. Man nimmt es auch als selbstverständlich hin, dass die Wiener Kanalisation nicht bei jedem Regenwetter über ihre geziegelten und betonierten Fugen tritt. Und wenn doch einmal etwas bricht und die übel riechende Suppe sich ihren Weg bahnt, wird das rasch repariert.

Nicht so in Washington, der Hauptstadt der freien Welt. Hier warnen grellgelbe Schilder entlang des Rock Creek davor, sich nach Regen zu nahe an die Ufer zu wagen, denn wenn es regnet, fließt regelmäßig ungeklärtes Abwasser in diesen Bach, der die Stadt von Nord nach Süd durchschneidet und bei Georgetown in den Potomac mündet. Das geschieht ziemlich oft, und mit fortschreitendem Sommer, steigenden Temperaturen und sinkendem Wasserspiegel stinkt dieser Rock Creek, der das wichtigste Naherholungsgebiet Washingtons durchfließt, immer unerträglicher. Bei meinen täglichen Laufrunden entlang des Baches wabern mir immer wieder Schwaden von latrinenhafter Pestilenz entgegen. Der Kenner weiß dann sofort: Aha, hier mündet ein Abflussrohr ins Bacherl.

Das ist der Normalzustand. Mir sind keine Bürgerinitiativen bekannt, die sich für den Bau neuer Kläranlagen einsetzten. Denn dann müsste man ja höhere Kanalgebühren bezahlen. Und somit bleibt Washington eine Stadt, die von zwei großen Flüssen und unzähligen Bächen durchzogen ist, aber kein einziges Naturbad hat.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2015)

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