Hänsel und Hase

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Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht, aber mein Gehirn hat irgendwann zwischen Volksschulalter und heute sämtliche Märchen aus meiner Erinnerung gestrichen.

Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht, aber mein Gehirn hat irgendwann zwischen Volksschulalter und heute sämtliche Märchen aus meiner Erinnerung gestrichen. Rumpelstilzchen, gestiefelter Kater, Bremer Stadtmusikanten? Sicher, die Protagonisten kennt man noch, aber was genau zwischen „Es war einmal...“ und „wenn sie nicht gestorben sind...“ liegt, davon habe ich nur noch eine ganz vage Ahnung, wie mir bewusst wurde, seit sich das Kind im Märchenmodus befindet.

Derzeit möchte es Märchenbuchmalerin von Beruf werden, weswegen wir derzeit, nun, Märchen malen. Leider ist dem Kind in diesem Zusammenhang wieder eingefallen, dass wir irgendwo weit, weit hinten im Kasten das vielleicht absurdeste Aschenputtelbuch horten. Während ein Erwachsener die Geschichte vorliest, drückt das Kind auf Knöpfe, die die passenden Geräusche (Glockenläuten etc.) zum Inhalt liefern. Lautmalerisch ist das teils hochinteressant, etwa das Quietschen, das einen Fuß nachmachen soll, der sich in einen zu engen Schuh quetscht. Inhaltlich ist diese Version etwas fragwürdig, denn wenn Aschenputtel das Haus sauber machen muss, tut sie dies mit einem Staubsauger (!). Bis auf ein paar moderne Haushaltsgeräte hat man das Märchen aber im Original-Kontext belassen, Aschenputtel nimmt also keinen schicken Porsche, um zum Ball zu fahren, sondern ganz altmodisch eine Kutsche.

Unser gemaltes Märchenbuch umfasst schon Rapunzel, Hänsel und Gretel und so. Dazwischen schmuggelt das Kind seine selbst ausgedachten Märchen, darunter das vom Wetterhasen, der unter dem Regenbogen lebt. Der Wetterhase isst am liebsten Gurkensalat und ist küchentechnisch für so ein kleines Säugetier ganz gut ausgestattet: Links vom Regenbogen steht sein Herd, rechts der Geschirrspüler. Wenn der Hase gut gelaunt ist, erklärt das Kind, wird das Wetter für uns Menschen schön. Wenn nicht, dann nicht. Märchen aus.

Drücken wir also die Daumen, dass dem Wetterhasen seine Gurken schmecken, damit dieses schwierige letzte Ferienwochenende wettertechnisch erträglich wird. In diesem Sinne: Schönen Start ins neue Schuljahr!

E-Mails an: mirjam.marits@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2015)

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