Last Train to Holy City

(c) Stanislav Jenis (Stanislav Jenis)
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Neulich war ich auf Heimaturlaub in Wien und an einem sonnigen Nachmittag mit der U4 Richtung Heiligenstadt unterwegs, als mir auffiel, ...

... dass die Namen vieler Haltestellen ungewöhnlich bildhaft und aussagekräftig klingen, wenn man sie in eine andere Sprache – etwa Englisch – übersetzt. Da gibt es etwa die Chain Bridge Street (Kettenbrückengasse), weiters den Scottish Ring (Schottenring), die Bridge of Peace (Friedensbrücke) und zu guter Letzt die bereits erwähnte Endstation Holy City. Dass mir dies aufgefallen ist, führe ich auf meinen berufsbedingten Auslandsaufenthalt zurück, der erstens meinen Blick auf die Heimat erfrischt hat und zweitens einen flexibleren Umgang mit Mutter- und sonstigen Sprachen erfordert.

Mein Vorteil in dem Zusammenhang ist allerdings, dass ich aufgrund der Übersiedlung von Polen nach Österreich über einen einschlägigen Erfahrungsschatz verfüge – wobei manche Erkenntnis Jahrzehnte auf sich warten ließ. So bin ich beispielsweise erst vor relativ kurzer Zeit draufgekommen, woher das Wort „Wihajster“ kommt, das meine Lemberger Oma mit schöner Regelmäßigkeit verwendet hat. Mit diesem etwas altertümlichen Begriff lassen sich Gegenstände umschreiben, deren eigentlicher Name einem im Moment nicht einfällt – das bundesdeutsche Pendant dazu lautet „Dingsbums“, auf gut Wienerisch würde man „der Schas“ sagen. Jedenfalls hatte ich eines Tages einen Geistesblitz, und seither weiß ich den Ursprung des schönen Wortes Wihajster: Es kommt von „wie heißt er“, was angesichts der Vergangenheit Lembergs durchaus Sinn macht.

Wie dem auch sei. Momentan hat der Austropop mit Wanda und Bilderbuch einen guten Lauf, doch früher oder später wird der Moment kommen, an dem die Vokalisten von der Mundart ablassen und sich an englischsprachigen Texten versuchen werden. Die Wiener Haltestellen sind da ein unerschöpflicher Quell der Inspiration. Wenn der von mir hoch geschätzte Jeff Lynne vom Electric Light Orchestra einen Hit über den „Last Train to London“ schreiben konnte, dann gibt es in Wien in dieser Hinsicht definitiv Luft nach oben.

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2015)

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