Wien, obskur: Was kreuzt sich da am Waldesrand?

(C) Wolfgang Freitag
  • Drucken

Wegkreuzungen umgibt ja von alters her die Aura des Mysteriums. Wo sich mehrere Pfade trafen, vermutete man schon früh den Sitz besonderer Magie.

Den alten Griechen waren solche Orte eine eigene Göttin, Hekate, wert, die Römer wiederum errichteten Altäre. Und wer dran glaubt, der kann auch heute noch an Wegkreuzungen in der Neujahrsnacht die Toten rufen oder – und das ganzjährig – Pakte mit dem Teufel schließen. So weit, so metaphysisch.

Was mich betrifft, so ist mein Sinn fürs Übersinnliche nicht allzu weit entwickelt; und dennoch war selbst ich nah dran zu meinen, es könne nicht mit rechten Dingen zugehen, dass das, was da eines Tages an den Ausläufern des Bisamberges plötzlich vor mir stand, da stehen konnte, wo es war: Sah ich doch mir gegenüber hart am Waldesrand, zwischen Gräsern, Disteln, niedrigem Gebüsch, zwei Straßenschilder in den Himmel ragen, als stünde ich mitten im zutiefst Urbanen. Was sag ich „Straßenschilder“? Von Straßen keine Rede, Feldwege bestenfalls, mehr Feld als Wege nämlich, um genau zu sein. Wolfersgrünweg und Mitterhaidenweg heißt, was da eins ins andere mündet, und wer den Stadtplan fragt, entdeckt bald, dass ihr Verlauf sie ziemlich mutwillig ineinanderzwingt. Muss doch der Wolfersgrünweg einen ordentlichen Haken schlagen, um dem weithin halbwegs parallel führenden Mitterhaidenweg doch zu begegnen.

Je nun, unergründlich wie die Wegführungen im äußersten Floridsdorf sind auch die Wege unserer Stadtverwaltung insgesamt, so unergründlich wie die Existenz von Straßenschildern, wo sie niemand braucht. Kein Haus, das so zu kennzeichnen, kein Adressat, der per Adresse Wolfersgrünweg oder Mitterhaidenweg zu erreichen wäre – es sei denn, man wollte dem raren Flussgreiskraut Briefe schreiben oder einigen der exklusiveren Grabwespenarten Besuch abstatten auf Kuchen und Kaffee. Gesprächigere Anrainer sind hier nicht zu haben – mitten in der Natur eines „Natura 2000“-Schutzgebiets. Andererseits: Wer weiß, was die wohl zu erzählen hätten . . .

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.