Der Schal, der Bus, das offene Fenster

Junge Frau mit Fieberthermometer
Junge Frau mit Fieberthermometer(c) www.BilderBox.com (www.BilderBox.com)
  • Drucken

Es ist wichtig zu wissen, wann man sich wo warum womit angesteckt hat.

Kausalketten sind sehr ansteckend, vor allem wenn es um Ansteckung geht. Es gibt wenig, was Krankheiten, und dazu zählt schon ein Schnupfen, erträglicher macht, als zu wissen, warum es einen erwischt hat, und im Detail auch, wann, wo und meistens auch durch wen die Ansteckung erfolgt ist. Das gibt dem Leiden zumindest eine Rahmenhandlung.

Man steht da etwa an der Haltestelle und wartet auf den Bus, der wie immer nicht kommt. Es ist windig (in Wien geht immer der Wind), der Schal liegt zu Hause (es ist ja so sonnig), und plötzlich fröstelt man. Zurückgehen, Schal holen? Keine Zeit. Im Bus (überfüllt, wie immer) wird geniest und geschnäuzt, und im Büro dann reißt der Kollege Mr. Frischluft alle Fenster auf, und man sitzt im Zug. Im Zug Richtung Schnupfenland. Und dann ist man schon dort, mit den roten Nasenflügeln und den tränenden Augen, und es dauert mindestens sieben Tage, bis es wieder vorbei ist, und wenn der Schal um den Hals gewesen wäre und der Typ im Bus nicht geniest hätte und der Kollege einen nicht noch zusätzlich zum Frieren gebracht hätte, dann wäre alles ganz sicher anders gekommen.

Der Schnupfen gehört ja zu den übleren Dingen, die man sich einfangen kann. Selbst Menschen, die stark blutende Wunden oder ausgekegelte Gliedmaßen ohne ein Wimpernzucken ertragen, verwandeln sich verschnupft in zutiefst bedürftige Wesen. Das Problem daran ist nur, dass man sich mit Schnupfen nicht nur selbst nicht mag, sondern, dass einen auch sonst niemand mehr mag. Selbst enge Familienmitglieder rücken von einem ab. Man sollte sich ins Bett legen und sieben Tage nicht mehr aufstehen.

Man kann ihn nicht abkürzen, nicht überschminken, man kann ihn nicht einmal am Telefon verleugnen, den Schnupfen. Man kann ihn nur weitergeben.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.