Was uns Leonardo über Meidlinger Bahnsteige lehrt

(C) Freitag
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Wer Ö sagt, muss auch BB sagen. Meine jüngstwöchigen Hinweise zum Thema Kurzzuganfang respektive -ende blieben nicht folgenlos.

Genauer: nicht ohne Ergänzungen seitens einer bahnkundigen Leserschaft. Konnten sie auch nicht bleiben: Bei bundesweit knapp 5000 Gleiskilometern und mehr als 50 Bahnhöfen und Haltestellen allein in Wien ist die eine oder andere – nun ja – Irritation schon der Statistik halber deutlich wahrscheinlicher als, sagen wir, ein Badetag im Juli. Wozu kommt, dass manche dieser Irritationen ja möglicherweise nur auf einem Missverständnis beruhen, einem Mangel an Einsicht in die Weitsicht jener, die eben ein- und weitsichtiger sind als wir selber. Also etwa der Bundesbahnen.

Nehmen wir das Beispiel Bahnhof Wien Meidling. Sicher, man könnte böse Absicht unterstellen, dass Kurzzüge hier nicht nächst dem meistbenutzten Zugang, dem Philadelphiabrücke-seitigen, am Bahnsteig warten, sondern geschätzte 50 Meter davon entfernt. Man könnte – wie Leser P. – mutmaßen, es müsse dem „Zugführer viel Freude“ bereiten, potenzielle Passagiere die (vermeidbare) Distanz zum Zug „hetzen zu sehen“. Aber abgesehen davon, dass keinerlei seriöse Untersuchungen zum Thema Schadenfreude unter ÖBB-Zugführern vorliegen: Wär's denn nicht langweilig, geschähe immer das, was sich unser bisserl Hausverstand halt so vorstellt?

Ähnlich liegen die Dinge am schönen, neuen Wiener Hauptbahnhof. Wer hier der akustischen wie schriftlichen Anweisung vertraut, sein Zug halte im Bahnsteigabschnitt A bis C, stellt im Fall des Kurzzug-Falles rasch fest, dass Kurzzüge über den Abschnitt B nicht hinausreichen. Was abermals, bei jenen nämlich, die in Abschnitt C gewartet haben, einiges an sportiver Dynamik in die sonst eher undynamische Bahnsteigszenerie bringt. Gut so! Seien wir bereit für das Überraschende, das uns innerlich wie äußerlich auf Trab hält. Schon Leonardo da Vinci wusste: Alles Leben ist Bewegung. Welch Hochgefühl, dank ÖBB lebendig zu sein.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2016)

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