Leute, die in der Toilette noch Bücher liegen haben

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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111 Bücher, die man am stillen Ort gelesen haben muss - dank Smartphones leider ausgestorben.

Vermutlich gibt es sie sogar schon, eine Dissertation, die sich der Frage widmet, wie sehr sich die Aufenthaltsdauer auf öffentlichen Toiletten seit Einführung des Smartphones geändert hat. Ganz ohne Statistik, nur auf anekdotischem Wissen aufgebaut, ist die Hypothese, dass die Dauer des Stuhlgangs sich direkt proportional zur Länge des Artikels verhält, der gerade auf dem Display angezeigt wird. Klar, oft sind es gar keine längeren Texte, sondern Katzenfotos oder kurze Videos von kleinen Hamstern, die kleine Tacos essen. Aber erstens ist das nicht so wichtig und zweitens na und. Der Kern der Botschaft ist nämlich, dass das Gerät die eigentliche Dauer des Besuchs in der Kabine in jedem Fall verlängert. Besonders verräterisch dabei sind jene Zeitgenossen, die noch Tastentöne verwenden – lustige Idee, eigentlich, auf einem glatten Display, aber soll so sein. Und auch, wenn auf einer Website ein Video automatisch startet und die wartende Schlange vor der Tür mitzusingen beginnt, sollte man sich ertappt fühlen.

Die „Früher war alles besser“-Fraktion braucht nun allerdings nicht ihren Sermon anzustimmen. Zugegeben, weniger auf öffentlichen Toiletten, aber in der heimischen Nasszelle lag doch früher so ziemlich alles von Gartenkatalog bis Wochenmagazin. Gelegentlich auch Comics oder diese Bücher mit sehr kurzen Kapiteln – Toilet Literature, das Gegenteil von Coffee Table Book. Gerade, dass es in Buchhandlungen nicht eine eigene Abteilung dafür gab – 111 Bücher, die Sie am Klo gelesen haben müssen, oder so. Heute ist das Toilettenbuch allerdings in Vergessenheit geraten. Schade, eigentlich. Bei Besuchen in anderen Wohnungen konnte man so viel darüber lernen, womit die Gastgeber ihre stillen Momente verbringen. Oder wie sehr sie dabei bluffen – denn ganz ehrlich, Tolstois „Krieg und Frieden“ neben dem Klobesen ist schon ein bisschen übertrieben.

E-Mails an:erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2016)

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