Leute, die sagen, dass sie sprachlos sind

Mund einer Statue
Mund einer Statue(c) www.BilderBox.com (BilderBox.com)
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Wer sagt, dass er nichts zu sagen hat, bedient das Paradoxon vom schweigenden Sprechen.

Zu den Dingen, die einen so richtig sprachlos machen, gehören auch Leute, die sagen, dass sie sprachlos sind. Schweigend ins Gespräch vertieft, quasi. Wäre es nicht authentischer, in einem solchen Moment tatsächlich nichts zu sagen? Mit offenem Mund dazustehen, die Situation auf sich wirken zu lassen? Und nicht einfach aus dem Glauben heraus, etwas sagen zu müssen, nur zu sagen, dass man nichts zu sagen hat? Und selbst, wenn man glaubt, etwas zu sagen zu haben, heißt das nicht, dass es etwas Sinnvolles sein muss. „Dann siehst du einmal, wie es ist, wenn . . .“ ist eine dieser Phrasen. Es ist nicht viel mehr, als jemandem eine schlechte Erfahrung zu wünschen oder sich an einer bereits erlebten zu weiden. Es ist die erwachsene Version des kindlichen „Nichts getroffen, Schnaps gesoffen, eh oh eh!“. Aus dem Alter sollten wir eigentlich schon draußen sein, oder?

Gerhard Bronners „Ich weiß zwar nicht, wo ich hinwill, aber dafür bin ich schneller dort“ (ja, das ist nicht das Original im Wienerischen, sondern eine Abwandlung auf Hochdeutsch, aber man soll das ja auch jenseits des österreichischen Tellerrands verstehen) scheint heutzutage auch das Sprachliche erreicht zu haben. Apropos „heutzutage scheint“ – das heißt nicht, dass früher alles besser war. Das ist nämlich genauso unsinnig. Ja, damals im Mutterleib war es noch schön warm und behaglich. Aber wollen wir wirklich dorthin zurück? Immerhin, einen Vorteil hätte das: Der Druck wäre weg, zu jedem Thema etwas sagen zu müssen. Ob man nun eine Ahnung davon hat oder nicht. Hauptsache meinungsstark, irgendetwas wird schon stimmen daran. Und wenn nicht, macht es eigentlich auch nichts. Hört eh keiner so genau zu, weil jeder damit beschäftigt ist, selbst etwas zu sagen. Und sei es nur, dass man eigentlich gerade gar nichts zu sagen hat. Gibt es eigentlich auch das Wort schreiblos?

E-Mails an:erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2016)

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