Staatsmänner, verzweifelt gesucht

(c) REUTERS (GARY CAMERON)
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Nach mehr als dreieinhalb Jahren als Korrespondent in Washington habe ich es am Samstag endlich in das National Air and Space Museum geschafft.

Ein fantastischer Ort, an dem man viel Erstaunliches über die Eroberung der Lüfte und des Weltraums lernen kann. Charles Lindberghs Spirit of St. Louis zum Beispiel hängt in der Eingangshalle, jenes Flugzeug, mit dem er 1927 den ersten Nonstopflug von New York nach Paris hingelegt hat. Lindbergh: furchtloser Pilot, aber entsetzlicher Mensch, Judenhasser und Hitler-Bewunderer. Doch in derselben Halle des Museums wird auch zweier der größten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts gedacht. Neben zwei angsterregenden Mittelstreckenraketen, einer sowjetischen SS20 und einer amerikanischen Pershing II, laufen auf einem kleinen Fernseher Aufnahmen vom Washingtoner Gipfeltreffen, bei sich dem Ronald Reagan und Michail Gorbatschow am 8. Dezember 1987 darauf geeinigt haben, diese mörderischen Projektile zu vernichten und keine neuen herzustellen.

Was macht einen Staatsmann aus? Für mich sind es drei Qualitäten: ein geschichtliches Bewusstsein dafür, woher wir kommen und was auf dem Spiel steht; eine klare Idee davon, wohin die Reise gehen soll; und die nervliche Stärke, nicht wegen jeder Querströmung von diesem Ziel abzurücken. Gemessen an diesen Kriterien fällt es mir schwer, viele Staatsmänner zu erkennen. Angela Merkel ist eine der wenigen, wenn man so sagen will, Staatsfrauen. Doch in Frankreich sehe ich keinen, obwohl mit Alain Juppé, der möglicherweise nächstes Jahr um die Präsidentschaft kandidiert, einer bereitstünde. Italien? Spanien? Fehlanzeige. Polen, die europäische Mittelmacht in Warteposition, hat mit Donald Tusk einen nach Brüssel abgeschoben. Ist es Zufall, dass die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges eine Reihe großer Staatsmänner geschaffen hat, von Alcide de Gasperi über Robert Schuman bis Konrad Adenauer? Hoffen wir, dass es keiner ähnlicher Kataklysmen bedarf, um eine neue Generation an Hommes (und Femmes!) d'état zu formen.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2016)

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