Mein Dienstag

Murillo oder eine kleine Verteidigung des Barock

Sevillas zweitberühmtester Malersohn: Bartolomé Esteban Murillo.
Sevillas zweitberühmtester Malersohn: Bartolomé Esteban Murillo.(c) Wikipedia
  • Drucken

Wieso ist das Barock bei so vielen jüngeren Menschen derart unbeliebt?

Ich kenne kaum jemanden unter 40, den diese Epoche und ihre Hervorbringungen in Malerei, Bildhauerei und Architektur zum Schwärmen bringt. Liegt es daran, dass mit dem Barock vieles verbunden ist, das unsere postmoderne Gesellschaft, die weltlicher oder göttlicher Autorität abschwört, sich aber dem Diktat einer utilitaristischen Nutzenmaximierung unterwirft, von Grund auf verstört, nämlich absolutistische Fürstenmacht und rabiate Gegenreformation? Oder können wir, in einer Welt von rechtwinkeliger Unsinnlichkeit aufgewachsen, mit diesem Überschwang seelisch nichts mehr anfangen?

Solche Fragen schossen mir vorige Woche in den Kopf, nachdem ich das Museum der schönen Künste in Sevilla besucht hatte. Bis 1. April noch ist dort, in einer an sich schon sehenswerten ehemaligen Konventskirche, eine umwerfende Schau jenes Bilderzyklus zu sehen, den Sevillas (nach Velázquez) zweitberühmtester Malersohn Bartolomé Esteban Murillo einst für das örtliche Kapuzinerkloster angefertigt hatte. Was für eine Pracht! Ich möchte, sofern Sie noch Gelegenheit haben, diese schöne Stadt und ihre Ausstellung zu besuchen, auf zwei der Werke hinweisen, die mich besonders beeindruckt haben. Das erste zeigt die Anbetung des Jesuskindes durch die Hirten. Man kennt das, hat es oft aus vieler Künstler Hand gemalt gesehen, aber wer diesen Hirten ins Gesicht schaut, der sieht die pure Freude und Rührung darüber, dass hier ein Kind geboren ist; man muss nicht gottesfürchtig sein, um dies zu spüren, es ist eine zutiefst menschliche und insofern zeitlose Szene. Das zweite Bild ist eine Pietà, also der tote Christus im Schoße seiner trauernden Mutter, doch sehen Sie (was jederzeit mittels Google möglich ist) den Gesichtsausdruck des Engels rechts an. Keine Trauer, sondern der zornige Unwille darüber, dass hier ein Unrecht geschehen ist, ein Unschuldiger gefoltert und hingerichtet wurde: Wer kann da ungerührt bleiben?

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.