Gerechtigkeit für Marie-Antoinette

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Auf Reisen finde ich oft die weniger bekannten, aber doch als Sehenswürdigkeiten vermerkten Orte interessanter als die berühmten Attraktionen.

Auf Reisen finde ich oft die weniger bekannten, aber doch als Sehenswürdigkeiten vermerkten Orte interessanter als die berühmten Attraktionen. Auf den Eiffelturm zum Beispiel hat es mich noch nie gezogen. Die Menschenmassen, das Anstellen, der Preis: das ist mir auf absehbare Zeit zu viel. Hingegen gibt es auch in Paris interessante Orte, die man selbst zur Hochsaison stressfrei besuchen kann. Neulich war ich zwecks eines Interviews mit dem französischen Finanzminister in der Stadt, und weil sich ein paar andere Termine zerschlugen, stand ich mit ein paar Stunden freier Zeit da. Den nächstbesten Bus nehmend landete ich vor der Conciergerie. Das war bis ins 14. Jahrhundert der Palast der französischen Könige, ehe sie den Louvre bezogen.

Seither erlangte dieser Monumentalbau, dessen erste Fundamente vor mehr als einem Jahrtausend gelegt wurden, vor allem als Gefängnis Bekanntheit und als Ort der massenhaften Verfolgung durch das Régime de la Terreur in der Endphase der Französischen Revolution. Königin Marie-Antoinette verbrachte hier ihre letzten Lebensmonate, in einer Einzelzelle, von ihren Kindern getrennt und unter ständiger Beobachtung zweier revolutionärer Wachen (nur ein kleiner Paravent gab ihr etwas Intimität). Nach der Restauration baute man ihre Zelle zu einer Gedenkkapelle aus, auf einem Altar ist der bekannte Aufruf aus dem letzten Brief an ihren kleinen Sohn Louis Charles eingraviert, er möge nie nach Rache an ihren Peinigern trachten (wie man dieses Kind im Namen der Revolution schändete und zu Grunde richtete, ist eine ihrer dunkelsten Episoden).

Gewiss ist Marie-Antoinette keine Sympathieträgerin der Weltgeschichte. Doch wenn man heute durch die engen, verwinkelten Gänge der Conciergerie wandelt, seit neuestem ausgestattet mit einem Tablet, das dem Besucher zeigt, wie die Räume in der Vergangenheit ausgesehen haben, wie schmutzig und elend dieser Ort war, kann man nicht anders, als Mitleid mit dieser tragischen Gestalt zu fühlen.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2018)

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