Zu alt, zu arm, zu fad, zu kompliziert zum Twittern

(c) Reuters (MAL Langsdon)
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Unser Bild von der Welt ist zusehends vom Blick der Reichen geprägt. Das hat unschöne Nebenwirkungen.

Mein Mittwoch

Simon Kuper hat in seiner jüngsten Samstagskolumne in der „Financial Times“ eine wichtige Beobachtung festgehalten: Wir nehmen die Welt und das, was in ihr geschieht, zusehends durch die Augen der Reichen wahr. „Ein Sportler oder Künstler, der nicht reich ist, zählt nicht als erfolgreich und bekommt darum keine Sendezeit“, hält Kuper fest. Und während wir den Reichen angestrengt beim Reichsein zuschauen, steigt unsere Unzufriedenheit mit dem eigenen finanziellen Los. Klar: Wer liest, dass ein Bankdirektor zwei Millionen Euro pro Jahr verdient, findet sein kollektivvertraglich festgelegtes Gehalt im vierstelligen Eurobereich nicht mehr so angemessen; daran ändert auch eine noch so großzügige Überzahlung nichts.

Unsere Besessenheit von Reichtum zeitigt seltsame Folgen. Maturafeiern werden von den Maturanten nicht mehr selbst organisiert, sondern nach Vorbild der Roter-Teppich-Küsschen-Küsschen-Schampus-Promi-Galas inszeniert. „Nichts gegen Abibälle“, hält Stefan Gärtner diesbezüglich im Internetmagazin „The European“ fest, „aber wenn eine 19-Jährige dafür im Januar einen Friseurtermin vereinbart und darauf besteht, von einer Limo ins Hotel chauffiert zu werden, dann scheint mir doch ein Fall von kulturindustriell lancierter Verblendung vorzuliegen.“

Zudem, und da müssen wir Journalisten uns selbst an der Nase nehmen, fällt immer öfter das unter den Tisch, was zu alt, zu arm, zu fad oder zu kompliziert ist, um es in die 140 Zeichen einer Twitter-Meldung zu stopfen. Ist das unumkehrbar? Siegt Knallo-Ballo tatsächlich auf allen Fronten? Diese Fragen werde ich versuchen, nächsten Mittwoch zu beantworten.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2011)

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