Antirassistische Fluglinien und andere liebe Märchen

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Symbolbild(c) AP (Sean Kilpatrick)
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Was im Facebook steht, muss stimmen – vor allem, wenn es unsere Wunschvorstellungen beflügelt.

Auf Facebook und anderswo in den sogenannten „Neuen Medien“ kursiert dieser Tage eine herzerwärmende Geschichte: Auf einem Flug der brasilianischen Gesellschaft TAM habe sich eine weiße Dame bei der Stewardess darüber beschwert, einen Sitzplatz neben einem Schwarzen erhalten zu haben. Wahrlich, habe die Stewardess gesagt, ein Skandal, dass unsere Passagiere neben solch unangenehmen Leuten sitzen müssen – worauf sie dem Schwarzen ein „Upgrading“ in die First Class angeboten habe.

Das klang schon im Jahr 1998 gut, als genau dieselbe Geschichte zirkulierte – bloß ging es damals um British Airways. In vergleichbaren Versionen trat an die Stelle des Schwarzen ein Jude oder ein Asiate, lesen wir auf der Homepage www.hoaxslayer.com.

Im Zeitalter der schrumpfenden Aufmerksamkeitsspannen kommt man mit Ammenmärchen aber immer öfter durch. Licia Ronzulli, eine EU-Abgeordnete von Silvio Berlusconis „Popolo della Libertà“, erfreut sich auf Facebook ebenfalls erstaunlich unkritischer Beliebtheit. Vielleicht kennen Sie jenes Foto, auf dem Ronzulli mit ihrem Baby im Arm an einer Plenarsitzung im Europaparlament teilnimmt. Tolle Frau, denkt man sich, so emanzipiert; wie die nur die Doppelbelastung meistert! In Wahrheit ist Ronzulli eine jener jungen hübschen Damen, die Berlusconi 2009 bloß deshalb für die EU-Wahl nominierte, weil sie junge hübsche Damen sind. Auf YouTube ist sie zu beobachten, wie sie eine Konkurrentin aufs Übelste beflegelt, weil diese es wagt, das System Berlusconi zu kritisieren: genau jenes System, das es Ronzulli ermöglicht hat, ein EU-Mandat zu erhalten – samt Kinderkrippe und Betreuungsmöglichkeiten, von denen die meisten jungen Mütter nur träumen können.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2012)

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