Fasten einmal anders: Verzicht auf den Verzicht

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Seit Aschermittwoch machen (mindestens) zwei von drei Österreichern genau das genau so, was sie vorher genau so gemacht haben.

Mein Samstag

Die Fastenzeit zieht sich schon. Meint zumindest Freund J. (nein, nicht der, der andere) nicht ohne Missmut. Nun gut, für manche mag der Verzicht auf Alkohol bis Ostern ja tatsächlich schwierig sein. Weshalb aber überhaupt Verzicht, fragen zwei Drittel aller Österreicher, wenn eine dieser Tage veröffentlichte Umfrage richtig ist. Das frage auch ich mich. Nicht, ob die Umfrage methodisch korrekt durchgeführt wurde. Sondern wie es sich eigentlich korrekt fastet. Und wozu das Ganze überhaupt? Spätestens seit der Diskussion mit M. quälen mich derartige destruktive Gedanken. M. tat nämlich nicht missmutig, sondern eher übermütig in kleinem Kreise kund, im Religionsunterricht gehört zu haben, man solle auf etwas Alltägliches verzichten. Hört, hört! Und, so M. weiter: Er/sie (der handelnden Person wurde Anonymität zugesichert) verzichte in der Fastenzeit auf – die Schule. Zumindest bis zu den Osterferien.

Man muss ja nicht gleich Lutheraner sein, um angesichts einer derartigen Intervention tatsächlich am Sinn der Fastenzeit zu zweifeln zu beginnen. Hat ja auch sehr viel mit Selbstverliebtheit zu tun, dieser Seht-her-wie-sehr-ich-mich-quälen-kann-Gestus und diese Verzichtsmanie, nicht? Wir müssen doch schon den Rest des Jahres auf so viel verzichten: auf eine Regierung, die regiert, auf Fußballer, die Fußball spielen, auf öffentlichen Verkehr, der verkehrt und so weiter. Schon allein um der schwächelnden Wirtschaft willen sollte gerade jetzt auf Verzicht verzichtet werden. Nicht zurück zur Langsamkeit, zu unproduktiver Nachdenklichkeit, sondern zu mehr Tempo. Wie sagte jüngst Freund J. (ja, der, nicht der andere) in einer seiner manischen Phasen: Fasten? Fasten seat belt!

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2012)

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