Das tägliche Scheitern am sozialen Intelligenztest

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taegliche Scheitern sozialen Intelligenztest(c) APA (ROBERT VRLAK)
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Sitzplatzwahl an Bord eines Billigfliegers

Bei freier Sitzplatzwahl an Bord eines Billigfliegers ist es aus darwinistischer Sicht nachvollziehbar, dass man möglichst schnell an Bord kommen will. Um bestimmte Plätze entsteht dabei ein regelrechter Kampf, als wären sie der letzte Laib Brot von einem Lebensmittelhilfstransport – mit dem kleinen Unterschied, dass es für die Beförderung eines Passagiers von A nach B an sich völlig irrelevant ist, in welcher Reihe er sitzt und ob er von dort aus dem Fenster schauen kann. Aber gut, der Wettbewerb um die ersten paar Reihen sei den Kämpfern gegönnt.

Ein paar dieser wackeren Streiter finden diesen Kampf so spannend, dass sie ihn auch zelebrieren, wenn auf einem Flug die Plätze längst vergeben sind. Und konterkarieren so die Bemühungen der Fluglinie, den Einstieg zügig und effizient zu gestalten. Dass etwa erst jene Menschen aufgerufen werden, die weit hinten sitzen, hat einen Sinn: Sie versperren Nachkommenden nicht den Weg, wenn sie ihr Handgepäck im Fach verstauen. Sehr wohl machen das die Übereifrigen von ganz vorn – ihnen darf der gesamte nachfolgende Tross zusehen, wie sie am Gang das iPad aus dem Trolley fingern, das Sakko zusammenlegen und verstauen, ehe sie sich gemütlich in den Sitz fallen lassen – und damit das Nadelöhr im vorderen Flugzeugbereich für das Volk wieder freigeben. Genau jene Menschen sind es meist, die lauthals darüber klagen, dass der Flieger schon wieder nicht pünktlich abgehoben hat – und sie so lange am Boden ausharren mussten.

Dieses Scheitern an der sozialen Intelligenz kann man auch jenen Zeitgenossen konstatieren, die sich genau vor der Tür der eingefahrenen U-Bahn postieren, oder auch den notorischen Linksstehern auf Rolltreppen. Was sie nicht verstehen, ist, dass ihr egozentrierter Zugang das Leben für alle schwieriger macht. Oft auch inklusive für sich selbst. Schade, dass soziale Intelligenz nicht an der Schule unterrichtet wird.

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2012)

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