Patchwork rettet Weihnachten

Spielzeuggeschäft
Spielzeuggeschäft(c) Clemens Fabry
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Der Demografie sei Dank: Warum Wiens Spielzeughändler der Konkurrenz durch Versandhandel und digitale Produkte besser trotzen können als andere Branchen.

Es ist wahrscheinlich die einschneidendste Veränderung, die der Wiener Spielwarenhandel in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat – und sie hat nichts mit der digitalen Revolution oder der gewaltigen Konkurrenz durch den Internet-Versandhandel zu tun, sondern bloß mit einem schnöden Mietstreit. Es ist die erste Adventzeit seit 106 Jahren, in der die erste Einkaufsstraße der Stadt, der Graben, ohne ein Spielzeuggeschäft auskommen muss.

1907 hatte Josef Kober am Graben 14 jenes Geschäft eröffnet, das sich zum wohl schönsten Spielwarenkaufhaus Wiens mausern sollte: Nur heimelige, enge Gänge führten zwischen den verwinkelten, über die ganze Höhe des Altbaus mit Teddybären, Puppen oder Modellbauflugzeugen bestapelten Regalen hindurch, Vitrinen mit eigens von Kober gefertigten (und in alle Welt versandten) Zinnsoldaten und ein mannshoher Kuschelbär am Eingang verströmten den Charme einer Zeit, in der Kinder noch keine Konsolen unter dem Christbaum brauchten.

Diesen urigen Tempel der unschuldigen Kindlichkeit gibt es nicht mehr, zumindest nicht am selben Ort. 106 Jahre nach seiner Eröffnung musste das zweitälteste Spielzeuggeschäft der Stadt heuer seinen Stammsitz verlassen – ein langer Mietstreit mit dem Hauseigentümer, der PVA, ging nicht im Sinne der Kober-Eigentümerin Sylvia Unterguggenberger aus – es war kein Abschied im Frieden: „Wir durften nicht einmal ein Plakat aufhängen, wo wir jetzt zu finden sind“, erzählt Michaela Windisch, Einkäuferin bei Kober und „guter Geist“ des Unternehmens.

Geschadet hat der neue Standort dem Geschäft aber nicht, wie ein Besuch an Kobers neuem Standort – heller und nicht so beengt ist er, aber eben auch nicht so gemütlich – in der Wollzeile/Schulerstraße zeigt: Der Bär ist da, die Zinnfiguren auch, und die Stammkunden sind mitgewandert: „Das Weihnachtsgeschäft läuft gut“, sagt Windisch, Gesellschaftsspiele gingen in dieser Weihnachtssaison besonders gut, auch normales Kinderspielzeug – bei den Buben die „Nerf“-Schaumgummigewehre, bei den Mädchen Puppen wie die Flying-Fairy-Elfen – verkaufe sich heuer besser als im Vorjahr.

Umsatz steigt langfristig

Das ist eine Wahrnehmung, die sich durch die ganze Branche zieht. Das Weihnachtsgeschäft, mit dem der heimische Spielzeughandel Schätzungen zufolge gut 40 Prozent des Jahresumsatzes macht, dürfte dafür sorgen, dass der Umsatz heuer wieder steigt, schätzt auch Johannes Schüssler, Vorsitzender des Spielwarenausschusses der Wirtschaftskammer.

Während im Vorjahr der Umsatz der Branche um 1,4 Prozent auf rund 301 Millionen Euro zurückgegangen ist, steigt die Summe, die die Österreicher im Spielwareneinzelhandel ausgeben, langfristig deutlich – wie auch die Zahl der Beschäftigten: Knapp 1900 waren es zum Jahreswechsel, 4,7 Prozent mehr als im Jahr davor.

Im internationalen Vergleich sei die österreichische Spielwarenbranche extrem klein strukturiert, sagt Schüssler: Der durchschnittliche Betrieb habe drei bis vier Mitarbeiter, sei ein eigentümergeführtes Unternehmen, oft in Familienbesitz wie bei Kober oder dessen neuen Nachbarn Hilpert, der ältesten Spielzeughandlung in Wien, die sich seit 1872 (!) am selben Standort in der Schulergasse befindet. Nur eine Kette, die amerikanische Toys'R'Us-Gruppe, habe auf dem österreichischen Markt Fuß fassen können. Der Handel im Internet dagegen – also das Bestellen von Spielzeug etwa bei Amazon – habe den Einzelhandel weniger getroffen, sagt Schüssler, sondern vor allem jenen Marktanteil eingenommen, den zuvor der Katalog-Versandhandel eingenommen hatte – zwanzig bis dreißig Prozent des Spielwarenabsatzes.

Viele Geschenke dank Scheidung

Die relativ stabile Existenz kleiner Spielwarengeschäfte dürfte Branchenexperten zufolge nicht zuletzt auf den demografischen Wandel zurückzuführen sein – und da besonders auf das Phänomen Patchwork-Familie. „Früher haben Kinder zwei Eltern gehabt, vier Großeltern“, sagt Windisch. „Heute kommen durch Stiefväter und deren Eltern, neue Geschwister und Ähnliches viele Leute dazu, die den Kindern auch etwas schenken wollen“ – und wenn sich etwa geschiedene Eltern mit ihren Geschenken gegenseitig übertreffen wollten, profitiere davon wieder der Handel. Insgesamt sei dieser Patchwork-Effekt heute deutlich spürbar, sagt die Verkäuferin, die sei 35 Jahren in der Branche tätig ist: Etwa, wenn ein älterer Stiefvater auf die Beratung im Geschäft angewiesen sei, um mit den aktuellen Trends mithalten zu können.

Aber auch für junge Eltern gelte, dass Nachrichten über die Gefahren der Abkopplung in die digitale Welt übertrieben seien: „Ich weiß, ich spreche da gegen die Statistik“, sagt Windisch, „aber es werden immer mehr Familien, die sich wieder zum Spielen zusammensetzen.“

DIE WEIHNACHTSMACHER

40 Prozent ihres Jahresumsatzes erzielen die österreichischen Spielwarenhändler in den Wochen vor und den Tagen nach Weihnachten. Heuer wird ein besseres Geschäft als im Vorjahr erwartet - damals ist der Umsatz leicht zurückgegangen. In den vergangenen zehn Jahren ist der Umsatz in der Branche aber (inflationsbereinigt) um rund acht Prozent gestiegen, der langfristige Trend zeigt - auch was die Beschäftigtenzahl angeht - stabil nach oben.

Familienbetriebe stellen den Großteil des Spielwarenhandels - im Schnitt hat ein Betrieb drei bis vier Mitarbeiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2013)

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