KTM X-Bow: Unterwegs mit Häuptling Flitzebogen

Nichts hält den Crossbow davon ab, kein Dach zu haben.
Nichts hält den Crossbow davon ab, kein Dach zu haben.(c) Die Presse (Henke)
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Vom flotten Leben unter der Stoßstangenlinie, im Regenschleier, in der G-Kraftkammer
und an anderen Orten, wo der gewöhnliche Autofahrer nie hinkommt. Was sollte er dort auch?

Die Luft in dieser zugigen Badewanne ist verdammt schlecht. Das hat damit zu tun, dass man mit dem Kopf in Auspuffhöhe sitzt und dass keine Windschutzscheibe die Abgase der vorne Herfahrenden verwirbelt. So atmet man bei einer einzigen Stadtfahrt im KTM Crossbow mehr Dieselruß ein, als für ein halbes Leben gut sein kann.

Der Crossbow ist allerdings auch kein rollendes Luftgütemesslabor. Überhaupt hat er in der Stadt recht wenig verloren. Es sei denn, man zoomt sich gerne ins Epizentrum des Straßengeschehens: Wo der Crossbow auftaucht, geben Unterkiefer der Schwerkraft nach, werden Fotohandys gezückt, sind Passanten entzückt. Manche ignorieren freilich demonstrativ – zu grell, zu flach, zu wenig von dieser Welt erscheint diese Extremform eines Autos, das Österreichs erstes eigenes seit fast 30 Jahren ist (wenn man den Ledl AS 160 aus den frühen Achtzigern als solches werten möchte).

In der Rolle des Showcar ist der Crossbow allerdings kaum ausgelastet. Durchaus mit Grund wirkt er, als hätte er die Boxengasse mit der Ausfahrt aus der Rennstrecke verwechselt. Das Auto sieht aggressiv und spektakulär aus, doch an seinem Steuer fühlt man sich zuweilen angreifbar und verletzlich. Wo sich andere im Stau in ihre Höhlen mit Klimaanlagenkomfort und Radiogedüdel zurückziehen, hat der Fahrer des Crossbow nur unfreundliche Stoßfänger, Zwillingsreifen und Abgasschwaden im Blickfeld. Das eigene Cockpit gibt nicht viel her: ein Lenkrad, abnehmbar, ein gelangweilter Digitaltacho, das nackte Innere des Karbon-Faser-Monocoques. Während der Fahrt tanzen wenigstens die Pushrods der vorderen Radaufhängung – quer liegende Federbeine wie in der Formel 1. Und wenn es regnet? Dann regnet es. Es gibt kein Dach, weil es ja schon keine Tür gibt.

Bis die Brille fliegt


Den Helm trägt man freiwillig – als Schutz vor aufgewirbelten Steinen, die einem schon bei Stadttempo unschön die Ray Ban von der Visage räumen können.

Ausgedacht haben sich den Crossbow im Jahr 2005 die Herren Pierer und Kiska, Ersterer Boss, der Zweite oberster Designer des Motorradherstellers KTM. Beide haben ihr Scherflein zum sagenhaften Erfolg der Marke in den letzten Jahren beigetragen: bei Offroad-Bikes ist man Weltmarktführer, in Europa ringt KTM mit BMW um den Titel des größten Motorradherstellers. Doch die kaum lebensnotwendigen Hüpf- und Rennstreckengeräte sind stark von Konjunkturlaunen abhängig, was speziell für das wichtige USA-Geschäft gilt, und man muss kein Prophet sein, um harte Zeiten für Motorradhersteller am Horizont auszumachen: Die Jugend rückt nicht in den Motorradsattel nach, was seinen Effekt in zehn, fünfzehn Jahren zeitigen wird.

Zweites Standbein also. Auto klingt gut. Bloß: Warum hat man dann kein Auto gebaut, das alte Leute nicht erschreckt, dafür aber Dach, Windschutzscheibe und Kofferraum hat?

„Wir sehen den Crossbow als Ideenträger“, sagt der Deutsche Werner Wilhelm, ein hochdekorierter Automann (vormals Volkswagen und Magna Steyr) und Chef der Crossbow-Produktion in Graz. „Wir hätten mit der gleichen Technologie auch einen Stadtwagen bauen können. Doch dafür gibt niemand das Geld aus, das teure Werkstoffe kosten.“

Leichtbau ist das Zauberwort. Ein Bereich, in dem sich die Autoindustrie schwer tut – Autos werden immer noch stetig schwerer. Diese Gewichte durch die Gegend zu bugsieren, wird immer viel ­Energie erfordern – völlig egal, woher sie nun kommt. Leichtbau ist teuer. Das Monocoque des Crossbow, ähnlich wie in der Formel 1 ultraleicht und dennoch bruchsicher, wird in Handarbeit hergestellt. Noch. Wilhelm: „Auf der Plattform des Crossbow ist viel möglich. Wir haben Platz – etwa für Gastanks oder Hybridantrieb.“

Fahrlehrgang obligatorisch


Im Moment ist es freilich ein sehr heutiger 240-PS-Vierzylindermotor von Audi, der das Leichtgewicht schneller macht, als Fotohandys aufs Objekt justiert sind. Ein rotes Aufblitzen im Display zeigt an, dass die Höchstdrehzahl ansteht und der nächste Gang ins Getriebe gehört – im Fahrtwind hört man den Motor nicht. ABS, ASR, ESP, Servolenkung und Bremskraftverstärker sind im Crossbow allesamt Fremdworte. Wer es herausfordert, ist schnell sehr allein mit dem Auto und der Geschwindigkeit. Wer es kauft, muss älter als 23 Jahre alt sein und vor Auslieferung einen KTM-Fahrlehrgang absolvieren.

Was immer der Crossbow Schlaues für die Mobilität der Zukunft abwirft, im Hier und Jetzt soll das Auto bald Geld verdienen. Eine Jahresstückzahl von
1000 steht im Raum. Häppchenweise, mit einem schlanken Team von 60 Menschen in Graz, will man sich über Zentraleuropa, CEE-Länder und Russland Freaks und Drittautobesitzer anlachen. Mit Dach, das in Arbeit ist, soll es zu den Scheichs gehen, und auf Dauer wird man Amerika nicht meiden können – noch schreckt der dortige Produkthaftungsklagenwahnsinn den Vertrieb ab.

Das Auto besitzt alle Zulassungsbescheide, ist frei von Bastelbudenkleckserei, und sein Design ist himmelschreiend. Es ernährt bereits jetzt 600 Leute im Umfeld der Produktion. Es ist ebenso kühl und klug konstruiert, wie es gesamt durchgeknallt ist.
Aber haben wir schon gesagt, dass es keinen Becherhalter hat?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2008)

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