Oldtimer: Ein straffer Hintern ist der halbe Sieg

(c) Skarwan/Kucera
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Neckungen der Schleimhäute, Wohlgefallen fürs Auge: vom ästhetischen Erlebnis der Ennstal-Classic, mittlerweile Europas erster Adresse für bewegte Auto-Liebhaberei.

Man könnte natürlich auch seinen Herzensmenschen einpacken, Mausi, lass uns zwanzig Stunden mit unserem alten Auto fahren, garantiert ohne Autobahn, und morgen Abend sind wir wieder da, wo wir losgefahren sind, nur wir zwei und das wunderbare Auto, das uns diesmal nicht im Stich lassen wird.

Mausi würde sagen: Herbert, trink das.

So erquickend der leise Umgang mit einem Fahrzeug aus dem Album unserer Erinnerungen sein mag, erst das Erlebnis im Rudel ergibt die wünschenswerte Verdichtung der Sinne.

Classic-Car-Bewerbe entspringen der Begeisterung für Schönheit, für das undichte Element der Mechanik und den strengen Geruch der frühen Tage. Was damals in den Nasenflügeln waberte und die Schleimhaut neckte, ist ja längst museumswürdig, daraus ließen sich heute Duftkammern einrichten, süßlich, feinherb, zweitaktig, rizinusstreng, köstlich pickertes Öl in den unterschiedlichen Stadien des Verrinnens und Verschorfens. (Im Nachlass eines verehrten englischen Kollegen fand sich ein Apothekerfläschchen mit quasi Lakritze: Der Knabe war in Donington unter Nuvolaris Grand-Prix-Wagen gekrochen und hatte die Ölkrusten abgeschabt, er besaß fortan den Duft fürs Leben und blieb zölibatär.)

Noch etwas raffinierter als die Neckungen der Schleimhäute ist das Wohlgefallen fürs Auge. Seine eigene Schönheit, also seines Autos, kann der Fahrer nur im Cockpit ablesen: Ah, diese Finesse der Klarheit, die Würde des Materials, kein Kunststoff, ein feinknöchernes, fast elfenbeiniges Lenkrad, ohne die Wimmerln der elektronischen Überreizung. Für den Blick aufs Ganze indes ist der Classic-Pilot auf seine benachbarten Startnummern angewiesen.

Mein Lieblingsauto in dieser Hinsicht kommt fast alle Jahre wieder ins Ennstal, ein Ferrari 250 GT, erstmals ins Rennen geführt vor 55 Jahren durch den XVII. Grafen von Portago (hey, Sieg im Bahamas-Grand-Prix), heute souverän bewegt von zwei deutschen Damen. Da krieg ich eine Ganslhaut, wenn ich dahinter herfahren darf. Die berühmte dreiteilige Heckscheibe, der kleine Knick in den Flanken, und der Tankdeckel leuchtet wie das Silberne Vlies. Ein straffer Hintern ist der halbe Sieg, Ferrari hat sich in dieser Disziplin immer ausgezeichnet.

Der wahre Liebhaber wird dabei nicht an Banalitäten denken. Wie viel so ein Hintern wert sei? Vier, fünf Millionen? Er ist eh nicht käuflich, und so strömt der weiße Ferrari unbelastet um die Ecken, dass es eine Freud ist.

Hemingways Wort von den Umbequemlichkeiten, die man in Kauf nehmen muss, damit alles Wirklichkeit erhält („und wenn du nachher stirbst, macht es nichts aus“, sagt er in milder Übertreibung), also die Unbequemlichkeiten und die Wahrheit, das gilt auch fürs Oldtimer-Fahren.

Oldtimer heißt zumeist auch: kein Platz. Je prachtvoller die Kühlerhaube, desto enger die Kuhlen für die Herrschaft. Wir wissen, dass die Menschen früher kleiner waren, aber sooo klein? Die Piloten haben ja noch das Lenkrad und den Ganghebel für artgerechte Haltung. Für den, hm, voll ausgewachsenen Beifahrer unserer Tage gilt, je mühsamer du deine Beine verknotest, je hochragender du im Regen sitzt, je härter die Schläge des reschen Fahrwerks das verdrehte Knochengestell treffen, desto heller wird dich die Wirklichkeit erleuchten.

Die verzögerte Wahrnehmung

Sie erleuchtet mich seit vielen Jahren, mit Alfa-, Bentley-, vor allem aber Mercedes-Piloten, in allen 18 Jahren der Ennstal-Classic. Ich nehme den Stress von den Stars (zuletzt immer wieder Jochen Mass), denn bei mir haben sie die statistische Sicherheit, dass sie strahlen können, ohne sich in Geplänkel um vordere Plätze zu verzetteln. Eine Classic-Rallye hat ja auch mit dem Passieren von (geheimen oder erkennbaren) Lichtschranken in der richtigen Hundertstelsekunde zu tun. Da ist gefragt, was wir von schweigenden Uhrmachern und Wissenschaftlern kennen: die Präzision der verzögerten Wahrnehmung. Es gibt Festkörperphysiker, die arbeiten mit Femtosekunden. Zehn hoch minus fünfzehn. Wenn die eine Hundertstelsekunde Zeit haben, schlafen sie vor Langeweile ein.

Als Gegenteil ist das Beispiel eines Indianers bekannt, der zum ersten Mal eine Bahnhofsuhr sah, zur Sonne blickte und nach 24 Stunden sagte: „Stimmt.“

Im Herzen wohl eher Indianer als Physiker, hat sich mir die Wahrnehmung der kleinen Einheit auch in achtzehn Jahren nicht in der wünschenswerten Geläufigkeit dargestellt. Wir stolpern meistens in die Lichtschranken und hoffen auf die Gnade des Zufalls, aber der Zufall liebt nicht immer die Tapferen. Platz 136 (von 210 Startern) mag das illustrieren.

Weil wir von den Mühen des Beifahrers gesprochen haben: So ein kommodes Auto wie diesmal war mir noch nie beschieden, ein 300 SL Roadster aus dem Werksmuseum von Mercedes. Alles, was Mercedes im Rennsport der 1950er-Jahre gelernt hatte, wurde, um die Bissigkeit des Racers entschärft, an den zivilen SL weitergegeben, zuerst an den Flügeltürer, dann an den Roadster, der bald viel stärker gefragt war. Ist ja auch das vernünftigere Auto, bloß ohne den Freak-Faktor der hochschwingenden Türen. Ich habe kaum je einen Oldtimer erlebt, der so perfekt den Spagat zwischen dem Purismus der klassischen Zeit und der Tauglichkeit eines modernen Autos darstellt. Der Sound gehört zum Glück noch zur Klassik, und wenn ein Racer wie Jochen Mass den SL am straffen Zügel führt, bleibst du total im kernigen Bereich jenes Feelings, das uns halt so unheimlich viel Freude macht.

Die Freude der Teilnehmer verteilte sich auf die Vielfalt von vierzig Marken, von Alvis bis Veritas, mit einigen sagenhaften Raritäten, die nur an hohen Feiertagen aus den Museen oder den gekachelten Garagen entlassen werden. Dass ein Škoda Octavia aus den frühen 60ern ebenso willkommen war wie ein Steyr Puch 650 TR, zeigt das Augenmaß für den Mix, den die Veranstalter Michael Glöckner und Helmut Zwickl wieder einmal hingekriegt haben (die Beiträge der Werksmuseen von Alfa, Audi, BMW, Mercedes und Porsche waren natürlich hilfreich).

Mehr Zuschauer denn je, fröhliche Gesichter von Bad Ischl bis zur Nockalm, und die ausgefuchsten Genießer waren an einem strahlenden Sommermorgen schon um sieben in der Früh beim Anstieg zum Sölkpass, viel mehr an Good Vibrations kann sich einer nicht wünschen, der in seinem Sinn fürs Schöne auch eine Perlenreihe von Automobilen unterbringt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2010)

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