Kuba: Der alte Mann und das neue Leben

(c) AP (Javier Galeano)
  • Drucken

Kuba im Jahr „23 nach Christus", sprich nach dem Zerfall von Hauptsponsor UdSSR: Die beliebten alten Klischees existieren noch, doch langsam belebt sich das Land mit immer mehr privaten Unternehmungen.

Der angegraute Mann im blütenweißen Anzug und leuchtend roten Hemd schiebt den Panamahut aus der Stirn, steckt sich eine dicke Zigarre zwischen die Lücken im Gebiss und bläst den Rauch genüsslich grinsend in die vor Hitze flirrende Luft vor der barocken Kathedrale Havannas.

Eine Handvoll Touristen juchzt vor Entzücken und stürmt auf ihn zu. Schließlich bietet sich hier vor der Linse ein Bild, das direkt dem Kuba-Reiseführer entsprungen zu sein scheint, ein Schnappschuss einer typisch kubanischen Straßenszene. Doch der alte Mann trägt seinen Anzug nicht, weil er in ist, und raucht seine Zigarre nicht aus Genuss. Er inszeniert sich für Touristenfotos - umgerechnet 90 Euro-Cent fordert er für einen „Schnappschuss". Und damit ist die Szene letztlich doch typisch für die Karibikinsel. Die Kubaner haben gelernt, der tristen Wirtschaftslage in ihrem Land erfindungsreich zu trotzen.

Die Zigarre im Mund mag oft Inszenierung sein, andere Kuba-Klischees sind - noch - Realität: die amerikanischen Straßenkreuzer aus den 50ern, die gemächlich über kaum befahrene, breite Boulevards rollen, die Salsa-Rhythmen, die aus verwitterten Hauseingängen schallen, der morbide Charme Havannas - und natürlich die Allgegenwart von „El Comandante". Ernesto „Che" Guevara prangt nicht nur auf den T-Shirts der Touristen, sondern auch auf Graffiti und Plakatwänden.

„Fidel? Ach, der alte Mann"

Und die Lieder über den Kampf gegen Diktator Fulgencio Batista können Besucher nach wenigen Tagen auf der Insel auswendig mitsingen. „Nicht sprechen, nicht fotografieren!", mahnen die Aufseher am Eingang des Mausoleums in der Industriestadt Santa Clara, in dem Guevaras Gebeine mit 30 weiteren „Helden der Revolution" ruhen. In den angrenzenden Räumen des Museo Memorial Ernesto Che Guevara bewundern Besucher ebenfalls schweigend Ches Asthma-Inhalator, Ches Schulzeugnis und Ches berühmte Baskenmütze.
Den zweiten großen „Helden der Revolution" scheinen die Kubaner dagegen nicht mehr ernst zu nehmen. „Fidel? Ach, der alte Mann", sagt eine augenscheinlich kaum minder alte Frau im Park und wedelt abwehrend mit der Hand. Reiseleiter Rafael verpackt seine Meinung über den „Máximo Líder" Fidel Castro in die Geschichte der Entstehung einer Rumsorte. Man habe dafür, so die Überlieferung, Castro zur Verkostung gebeten. „Das Alter des Rums konnte er nicht erraten, er fand ihn aber sehr speziell", erzählt Rafael. So taufte man die Sorte „Havana Club Especial". „Eine der wenigen Male, wo Castro recht hatte", sagt Rafael lakonisch.


Auch die kommunistische Partei nimmt ihr Ideal des „Socialismo tropical" nicht mehr ganz so ernst wie einst. Vergangenes Jahr beschloss sie mehr als 300 Maßnahmen zur Wirtschaftsliberalisierung. Unter anderem dürfen Kubaner heute Gebrauchtwagen und Immobilien kaufen und verkaufen. Wohnen, wo sie wollen, dürfen sie immer noch nicht. In die Hauptstadt Havanna zieht es jedes Jahr tausende illegale „Migranten" aus dem Osten des Landes. An der Peripherie der Millionenstadt stehen dürftig zusammengeschusterte Hütten - das Gesetz macht eine Zwangsabsiedlung jener schwieriger, die über ein Dach, Türen und Fenster verfügen.

Im historischen Zentrum Havannas ist von den Problemen an der Peripherie wenig zu spüren. Dank des Status als Unesco-Weltkulturerbe wurden und werden zahlreiche der pastellfarbenen kolonialen Fassaden herausgeputzt. In den umliegenden Vierteln zerbröseln unterdessen Wohnhäuser zu Ruinen.

Doch gerade hier lebt die Stadt besonders intensiv. An der Uferpromenade Malecón versammelt sich abends die Jugend der Stadt und trotzt mit Rum und tragbaren Radios den unsicheren Zukunftsaussichten. In den Bars, die Ernest Hemingway einst gefesselt haben, bleiben die Touristen dagegen unter sich. Der berühmte Name der Bar „El Floridita" lässt den Preis für die Nationalgetränke Daiquiri und Mojito hier aufs Doppelte klettern.
Wer vom Trubel Havannas genug hat, findet westlich im breiten Valle de Viñales rurale Ruhe. Zwischen sattgrünen Tabakfeldern und rotbrauner Erde wuchern bizarre Kalksteinhügel - „Elefantenbuckel" genannt. Auch hier findet die Bevölkerung Mittel und Wege, sich zu den kargen Gaben des Staates etwas Geld aus Touristenhand dazuzuverdienen. Carlos baut in dem breiten, idyllischen Tal Tabak, Kaffee und Mais an - mit breitkrempigem Hut und Khakihemd rollt er auf einem Holzschemel in seiner Scheune unter dem Blitzlichtgewitter der europäischen Besucher Zigarren, um anschließend eine davon fürs Foto zu rauchen und die anderen zu verkaufen. Illegal, versteht sich, denn offiziell dürfen Kubas Tabakbauern ihre Ernte nur an die staatlichen Fabriken verkaufen. Wie viel er damit verdient, will Carlos nicht verraten. „Die Preise schwanken", schmunzelt er.

„Letztes Abendmahl"

Andere Kubaner machen mittlerweile ganz legal private Geschäfte mit den einstigen Klassenfeinden. In mehr als 180 Berufen dürfen sie sich mittlerweile selbstständig machen und sogar Angestellte beschäftigen. „Paladeres", die privaten Restaurants, waren früher auf zwölf Plätze beschränkt - vom „letzten Abendmahl" sprachen die Kubaner. Heute erlauben die Kommunisten die Bewirtung von bis zu zwanzig Gästen.
Auch mit der Vermietung von Zimmern kann man sich ein Zubrot verdienen, trotz der hohen Steuern. In der Innenstadt von Kubas kolonialem Schmuckkästchen Trinidad im Süden der Insel hängt über beinahe jeder zweiten Tür das Schild der „Casas particulares". Im hübschen Ort Viñales weisen blaue Anker auf manchen Häusern Reisende darauf hin, dass hier Zimmer vermietet werden.
Wie die Altstadt Havannas ist auch Trinidad Weltkulturerbe, auch hier glänzen zahlreiche Häuser frisch renoviert. „Seife, Shampoo, Bonbons?" Diese Bitten hört man in den kopfsteingepflasterten Gassen Trinidads in allen möglichen Sprachen. Mehr als anderswo betteln hier Menschen um die Toiletteartikel aus den Hotels oder andere kleine Geschenke. Sie haben ein Ohr dafür entwickelt, die Sprache der Besucher zu erkennen, ohne sie zu verstehen.
Seife und Shampoo sind freilich nur die Spitze des Eisbergs jener Produkte, an denen es den Kubanern mangelt. In Zeiten des Kalten Krieges wurde die Insel vom „großen Bruder" Sowjetunion großzügig versorgt. Der Beginn des Zerfalls der UdSSR bedeutete für Kuba den Anfang des wirtschaftlichen Einbruchs. „Vor und nach 1989, das ist für uns vor und nach Christus", sagt Reiseleiter Rafael dazu.

Was kommt nach den Castros?

So gesehen schreibt Kuba das Jahr 23 nach Christus, und ein neuer Umbruch wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Fidel ist 85. Sein Bruder Raúl, an den er Anfang 2008 die Amtsgeschäfte als Staats- und Regierungschef, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der kommunistischen Partei abgegeben hat, ist nur fünf Jahre jünger. Fragt man Kubaner danach, wohin ihr Land nach den Castros steuern wird, geben sie sich zurückhaltend: „Da müsste man schon Hellseher sein."
Unzweifelhaft scheint nur, dass den bereits durchgeführten Wirtschaftsreformen weitere folgen müssen. Auch der boomende Tourismus kann die Löcher in der Staatskasse nicht vollständig füllen. Die Lebensmittelkarten reichen bereits heute nur noch für zehn Tage statt wie früher für einen ganzen Monat. Strom und Wasser kosten zwar kaum etwas, dafür muss die Bevölkerung regelmäßig im Dunklen sitzen, um die Stromversorgung der Hotels nicht zu gefährden. Geduld wird den Kubanern auch im Straßenverkehr abverlangt. An allen Ecken warten Familien, Arbeiter und Soldaten in Uniform auf die ohne Fahrplan verkehrenden Busse oder eine Mitfahrgelegenheit. Die sind aber rar: Selbst auf der Autobahn kann es passieren, dass minutenlang nichts als ein Pferdefuhrwerk vorbeizockelt.

Nichts von Entbehrungen spürt man in Varadero, Kubas Badeziel Nummer eins. Die weißen Strände rund 100 Kilometer östlich von Havanna werden von weitläufigen luxuriösen Hotelanlagen gesäumt. Einst schwamm hier Al Capone, von Leibwächtern umringt, im türkisfarbenen Wasser, heute sind es All-inclusive-Touristen. Nur etwa 160 Kilometer sind es von hier bis zur Küste Floridas.
Nach wie vor liegt dort das Ziel der Sehnsucht vieler Kubaner. Zwischen 6000 und 9000 kubanische Migranten ohne Papiere pro Jahr registrierten die US-Behörden zuletzt. Das Schicksal der Flüchtlinge hängt von einer Frage ab: nasse oder trockene Füße? Kubaner, die es schaffen, US-Boden zu betreten, dürfen bleiben, wer dagegen auf See aufgegriffen wird, wird in der Regel zurückgeschickt.

Während der Strom an Flüchtlingsbooten Richtung Florida nicht abreißen will, wird die umgekehrte Strecke erst seit Kurzem wieder befahren: Mitte Juli lief zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert ein Frachter direkt aus den USA im Hafen von Havanna ein. Die „Ana Cecilia" brachte trotz US-Embargo mit einer Ausnahmegenehmigung Hilfsgüter von karitativen Organisationen und Exil-Kubanern. Künftig soll das Schiff wöchentlich Havanna ansteuern. Zumindest ein kleines Stückchen sind die Erzfeinde Kuba und USA damit näher zusammengerückt.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.