Ottawa: Good evening, bonsoir!

Köstlich. Im „Hintonburger“ gibt es die besten Laberln der Stadt.
Köstlich. Im „Hintonburger“ gibt es die besten Laberln der Stadt.(c) Martin Amanshauser
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Ottawa, O-Town, lange Zeit als Koma-Hauptstadt diffamiert, ist mittlerweile das beste Geheimnis von Kanada.

Ottawa hatte es schwer. Als Queen Victoria 1857 die kanadische Hauptstadt bestimmte, warf sie einen Darts-Pfeil (oder steckte blind ihre Hutnadel) auf die Karte, sagt die Legende. Man scherzte fortan über das unvermutete Metropolendasein einer Provinzstadt. „Die kälteste Hauptstadt nach Ulan Bator“, hieß es. Oder: „Das Beste an Ottawa ist der Zug nach Toronto.“ Oder: „Eine Sammlung kleiner Parks, an denen Dörfer liegen.“

Inzwischen ätzen nur noch Ahnungslose. Dabei gibt es weiterhin allerhand Gewöhnungsbedürftiges: Ottawa gehört zu jenen Städten, deren Namen man schwer erkennt, wenn Einheimische ihn aussprechen: „Adda-Ua“. Und sonst? Das Nachtleben entwickelte sich inzwischen, und das mit den Parks sieht man heute als Vorteil. Auch das Selbstbewusstsein stieg. Vielleicht lag es an der Neugründung eines historischen Eishockey-Teams, der „Ottawa Senators“ (1991). Zwischen 1893 und 1934 hat diese Mannschaft zehnmal den Stanley Cup gewinnen können, und auch in der neuen Ära könnte es bald wieder so weit sein.

Wie keine andere Stadt eignet sich Ottawa, das flächenmäßig zweitgrößte Land der Welt zusammenzuhalten. In diesem Teil von Ontario praktiziert man eine lebendige Zweisprachigkeit, sodass die Unterteilung Englisch-Französisch auf jedem Straßenschild nicht aufgesetzt wirkt. „Good evening, bonsoir!“, so die Standardbegrüßung in den Lokalen. Wer genau hinhört, registriert Mischformen: „Close the lights“, heißt es hier gelegentlich. Im klassischen Ottawa dominiert Englisch (über 65 Prozent), während jenseits der Brücke, in der Schwesterstadt Gatineau (früher Hull), die zum Bundesstaat Québec gehört, Französisch vorherrscht. Hier befindet sich auch das einzige Eishockeyspieler-Denkmal des Großraums Ottawa mit seinen 1,2 Millionen Menschen, jenes für Maurice Richard (1921–2000), französisch auszusprechen, einen Mann aus Québec allerdings, der für Montreal gespielt hat. Im Jacques-Cartier-Park steht jährlich ein Riesenschneemann. Der Restschnee des guten Kerls liegt bis in den Mai hinein am Flussufer. An dieser Stelle kann man eines der seltensten Verkehrsmittel besteigen, den roten Amphibienbus „Lady Dive“, der auf seiner „Splash Tour“ eine gemütliche Runde im Fluss dreht, ehe er sich wieder an Land in den Verkehr einordnet. Der auf der Ottawa-Seite übrigens einen besseren Ruf hat: „Siehst du hier jemanden, der bei Rot die Straße quert, ist er aus Montreal“, heißt es.

Bytown revisited.
Ottawa trug nicht immer den schönen indianischen Namen. Und es war nicht immer so brav. Der Vorgänger Bytown war eine wilde Stadt aus kanadischen Anfangszeiten, gegründet von und benannt nach Lieutenant Colonel John By, Bauherr des Rideau-Kanals (1832). Diese 202 Kilometer lange Flussstraße, die den Ottawa River mit dem Lake Ontario verbindet, wurde in nur sechs Jahren und unter heute schwer nachvollziehbaren Umständen (Malaria, Cholera, Werkzeugknappheit) von Iren und Frankokanadiern, aber auch von Leuten aus den „First Nations“ (Eingeborenen) gebaut, gedacht zu militärischen Zwecken, genutzt als Handelsstraße. Die letzten Meter des Kanals, in Ottawas Zentrum, werden winters in eine Eislauffläche verwandelt, zwischen Mai und Oktober wird das Meisterwerk (47 Schleusen, 74 Dämme) auch befahren.

Lucky Ron spielt für jeden. Bytown genoss, ehe es sich zum „Washington des Nordens“ erhob, den Ruf der Gewalttätigkeit. Die vornehmere Uppertown mit ihrer britisch-schottischen Minderheit stand immer in Konkurrenz zur irisch-französischen Lowertown mit ihrem vitalen Markt zwischen den Straßen Sussex, Clarence und Rideau. Ihn gibt es heute noch. Der Byward Market ist neben seinen Ethno-Food-Ständen einerseits ein mittelmäßiger Touriladen. In der warmen Jahreszeit erstreckt sich das Ramschzeug, von fliegenden Federn bis zum Ahornsirup, bis nach draußen. Andererseits atmet die hektische Gegend um den Markt mit ihren Pubs, schicken Lokalen und der würstelstandähnlichen Pastries-Institution „Beavertails“ etwas so Lebendiges, wie es nur ein kaltes Land zustande bringt. Zwei junge Frauen auf einer Steinstiege, die mit einem Sandler philosophische Gespräche über „what matters“ führen. Und, gut dazupassend, Lucky Ron, der lokale Countrystar, der jeden Samstagnachmittag im ältesten Pub der Stadt, dem Laff (seit 1849), seine irischen und kanadischen Folksongs anstimmt. Wer sitzen will, muss früh kommen, doch Lucky Ron spielt, weil er im Schaufenster steht,
auch für Vorbeikommende.

Slow-Food-Freaks aus ganz Nordamerika sieht man im „Murray Street“, einem Lokal in selbiger Straße: Zur Wahl stehen zehn Fleisch- und 14 Käsesorten, das ergibt eine kanadische Brettljause, wie sie feiner nicht vorstellbar ist, ein Esserlebnis, das mir – oops, der Reiseautor tritt mit seinem kunstvoll verborgenen „Ich“ hervor – lebenslang unvergesslich bleiben wird: Smoked Duck Breast, Kielbasa-Wurstaufschnitt und ein Art Verhackertes, Grey-Owl-Ziegenkäse, Rohmilchkäse und dazu drei der wunderbarsten Chutneys. Man wählt aus. Ottawa 2013, gern O-Town genannt, sieht aus wie eines dieser magischen Königreiche in den Zeichentrickfilmen. Das rätselhafte Schloss heißt hier Parlamentsgebäude. Im kanadischen Parlament sitzen laut dem gängigen Vorurteil keine Zauberer und Hexen, sondern Polit-Junkies, die pausenlos Wetterberichte lesen. Die Kanadier – sie leiden unter keinerlei europäischer Furcht, Orte wie etwa Kriegsmuseen auch als solche zu bezeichnen – lieben ihre junge Demokratie und spielen britischen Kitsch mit unvermuteter Heftigkeit nach. Das Changing of the Guards vollziehen sie zum Glück nur im Sommer.

Gleich neben dem Parlament befindet sich eines der berühmtesten Hotels der Welt, das Fairmont Château Laurier, ein Schlösschen aus dem Jahr 1912 in einer ornamentarmen Mischung aus französischer Renaissance und Neogotik, das alle denkbaren Päpste, Staatsober- und gekrönte Häupter beherbergte, dazu jeden Popstar, kurz, von Churchill über Queen Mother bis Madonna waren alle da. Einst in L-Form, später zu einem U erweitert, schmiegt es sich an die letzten Meter des Rideau-Kanals. Der Gründer, Charles Melville Hays, hatte alle Vorbereitungen zur großen Eröffnung am 26. April 1912 getroffen, starb jedoch knappe zwei Wochen vorher als eines der 2224 Opfer der „Titanic“. Man verschob und eröffnete schließlich, nachdem Premierminister Sir Wilfrid Laurier die Sache in die Hand nahm, am 1. Juni. Von Laurier steht im Foyer eine Marmorbüste, der tragische Hays wird am Art-déco-Pooleingang mit einem Gemälde geehrt.

Lifestyle Ottawa. In den Straßen der ehemaligen Lowertown drängen sich die Vintage-Kleidungs- und Designläden. O-Towns Stärke ist die Vielseitigkeit. An der einen Ecke wirkt es breitschultrig und souverän wie London, an der nächsten sieht man eine britische Industriestadt mit Feuerleitern und kleinen Balkönchen. Das alles wird durchweht von der Breite und Helligkeit eines fast unendlichen Landes. Weil man sich gegenüber größeren Brüdern nicht lumpen lassen will – eine kanadische  Krankheit – gibt es auch Little Italy, ein paar Pizzerias in  der Preston Street, die als „Corso Italia“ beschildert ist, und eine echte Chinatown, die jüngst mit einem der charakteristischen Portale aufgewertet wurde. Der Pan-Asiate im Byward Market, der von Pad Thai über  Sushi zu Pho alles verkauft, lässt sich auch nicht so leicht auf eine Herkunft festlegen. Thai, grummelt er, sei er jedenfalls keiner, „if I were Thai, I wouldn’t sell Sushi“, er sei nämlich Chinese, und im Übrigen ganz sicher nicht Thai. Genauso hart hätte ihn wohl der Vorwurf getroffen, ein Tier zu sein. Mitternachts endet der Trubel noch immer nicht. Das allumfassende Geräusch des enthusiastischen Ottawaer Feierns wird nur durch Kotzgeräusche unterbrochen. Irgendeiner malt bunte Eulen aufs Trottoir. Für beides ist ja ausreichend Platz. „Ottawa, das ist das beste Geheimnis Kanadas“, sagt ein Student.

Hintonburg heißt nicht so, weil es hinten liegt, obwohl es das, vom Stadtzentrum aus gesehen, durchaus tut. „The burg“, ein alter Arbeiterbezirk, ist das neue Boomviertel. Dabei legt das Musterbeispiel der Gentrifizierung Wert auf seine Eigenständigkeit. Dort, wo ein KFC pleiteging, befindet sich heute das „Hintonburger“, in dem die besten Burger Ottawas in Familienambiente produziert werden, oder eine Portion Poutine, keine russische Spezialität, sondern das typische Kanada-Fast-Food: riesige Pommes mit geriebenem Cheddar und brauner Sauce.

Der Käse muss eine derartige Konsistenz haben, dass er zwischen den Zähnen quietscht (kein Mozzarella!), und es darf nicht an Fett fehlen. „We like to call it a heart attack“, beschrieben das die Einheimischen. Schräg gegenüber holen sich Nimmersatte bei „Suzy Q“ einen Doughnut – oder gleich Dutzende davon. An Ecken, die früher leer standen, brummen jetzt Läden wie „Wabi Sabi“, der sich dem neuen Handarbeitstrend („knit, spin, weave“) widmet. Und – die Immobilienpreise steigen.

Klassiker. Ahornsirup enthält hauptsächlich Saccharose und ist cholesterin-, gluten-, milch- und eiweißfrei.

Fresh. Local. Handmade. Hintonburger, 6 oz. = 170,10 g Bacon Cheese Burger mit BBQ-Sauce. 7 CAD = 5,16 € hintonburger.ca

Hauptstadt. Ottawa-Infos: ontariotravel.net/de, ottawatourism.ca

Museumsstadt: Bytown Museum, 1 ruelle Canal Lane, im ältesten Steinhaus der Stadt erfährt man alles über Herrn By, den Rideau-Kanal und die wilde Vergangenheit; bytownmuseum.ca, museebytown.ca;
Canadian Museum of Civilisation, 100, Laurier Street, Gatineau, ist der Dinosaurier eines Museums, das größte des Landes, mit einer unfassbar breit angelegten Geschichte Kanadas, ideal für einen ganzen verregneten Tag; civilisation.ca; Restaurantstadt: Courtyard Restaurant in the Byward Market, 21 George Street. courtyardrestaurant; Le Café, National Arts Centre, 53 Elgion Street, lecafe.ca; Murray Street, 110 Murray Street, murraystreet.ca, serviert die kanadische Brettljause.

Der Autor wurde von Ontario Tourism und Ottawa Tourism eingeladen und flog mit Air Canada.

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