»Monster raus aus der Lagune«

Das Verhältnis zwischen Venedig und seinen Kreuzfahrtschiffen ist angespannt.

„Monster raus aus der Lagune!“ Unter diesem Slogan haben sie zum ersten Mal vor Kurzem richtig protestiert: venezianische Bürgerkomitees und sonstige Italiener, Franzosen, sogar einige Stuttgart-21-Gegner aus Deutschland. „Wir können nicht mehr!“ Unter diesem Slogan ist Bürgermeister Giorgio Orsoni zu einem Krisengespräch mit der Regierung nach Rom gereist. Auf einmal schlagen Wellen hoch in dem, was engagierte italienische Denkmalschützer bisher als das „venezianische Meer der Gleichgültigkeit“ beklagt haben: Auf einmal diskutiert die Serenissima, ob und wie lange sie sich eine immer stärker sprudelnde Quelle ihres Wohlstands noch leisten kann.

Es geht um den rapide zunehmenden Kreuzfahrttourismus. Haben vor 15 Jahren nur 227 Schiffe mit 335.000 Passagieren vor Markusplatz, Dogenpalast und Campanile angelegt, so verzeichnete man für 2012 schon dreimal so viele Landungen und fast sechsmal so viele Kreuzfahrer (1,78 Millionen).

Allein an diesem Samstag drängen sich sechs „Traumschiffe“ an den Kais, das macht 16.000 Touristen – zu den gut 60.000, die ohnehin jeden Tag die Lagunenstadt fluten. Und das offizielle Venedig will noch mehr. „Unsere einzigartige Stadt ist Ziel grenzenloser Nachfrage“, erklärt Hafenchef Paolo Costa, „und Venedig wird sich, wie immer schon, an seine Schiffe anpassen“.

„Das ist Terror“, sagt der Fotograf Berengo Gardin, der in einer Reportage festgehalten hat, wie sich die „liegenden Wolkenkratzer“ durch Venedig schieben: Mit 300 Metern sind sie zweimal so lang wie der Markusplatz; 60 Meter ragen sie in die Höhe, das Doppelte des Dogenpalasts. „Von den Decks aus sinkt Venedig zur Miniatur, zum Spielzeug herab. Die haben jedes Maß verloren. Sie zerstören Venedig schon, indem sie durchfahren.“


Kontrollturm gerammt. Der Wellenschlag gegen die Holzpfähle, auf denen die Stadt steht, und die Abgase der Schiffsmotoren sorgen längst für Stirnrunzeln. Aber seit die „Costa Concordia“ 2012 vor Giglio gestrandet ist, und vor allem seit das Containerschiff „Jolly Nero“ im Mai bei einer banalen Wende im Hafen von Genua den vierundfünfzig Meter hohen Kontrollturm zum Einsturz und sechs Menschen zu Tode brachte, sind im engen Venedig die Ängste vor einer ähnlichen Katastrophe konkret geworden. Hafenchef Costa versucht zu beruhigen: „Es ist schwer, sich eine risikoärmere Seefahrt als die in der Lagune vorzustellen.“ Aber was, wenn eine neue „Costa Concordia“ doch den Dogenpalast unter sich begräbt? Umwelt- und Denkmalschützer halten das für denkbar. Massimo Bernardo von der venezianischen Kreuzfahrt-Lobby meint hingegen, bis 1977, so lange sind sämtliche Frachtschiffe zum Chemie- und Ölhafen Marghera am Markusplatz vorbeigefahren, sei das Risiko viel größer gewesen: gefährliche Ladungen, 12.000 Schiffe pro Jahr. Außerdem schafft der Kreuzfahrttourismus 6000 Arbeitsplätze.

Das ist das Hauptargument der Befürworter: 150 Mio. Euro lassen die Passagiere jedes Jahr in der Stadt; bei etwa 450 Mio. soll der Gesamtumsatz des „Systems Venedig“ liegen. „Solche Schiffe tanken bei uns Treibstoff für die ganze Reise; eine Füllung allein bringt 500.000 Euro“, sagt Hafenchef Costa.

Den Schiffen ihren hautnahen Kontakt zum Markusplatz zu verwehren, kommt für die Hafenbetreiber nicht infrage. Ein entsprechendes Dekret, von der Regierung kurz nach dem Unglück der „Costa Concordia“ verabschiedet, harrt seit 15 Monaten der Umsetzung. Nur Schiffe bis 40.000 Tonnen dürften die Strecke demnach befahren; moderne Kreuzfahrtriesen sind dreimal so groß oder gar noch größer. Aber es gibt die vom Dekret vorgesehene Alternativroute noch nicht: Sie kostet, sie dauert – und sie ist noch nicht einmal ausdiskutiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2013)

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