Brasilien: Duell im Karneval

(c) EPA (Antonio Lacerda)
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Im jahrzehntelangen Wettstreit der beiden brasilianischen Karnevalsmetropolen Rio de Janeiro und Salvador da Bahia zeichnen sich zwei eindeutige Sieger ab.

Jahr für Jahr stehen sich im brasilianischen Karneval zwei Stadtgiganten gegenüber. Hier der breitbeinige Weltmarktführer Rio de Janeiro, dort der auch nicht mehr ganz so neue Newcomer Salvador da Bahia. Es geht um Besucherzahlen, mit Millionen wird dabei nicht gegeizt. Dabei könnten die beiden Karnevalskonzepte unterschiedlicher nicht sein. Das von Rio gilt als Mutter aller „Humtatas“ und dürfte leidlich bekannt sein. Wahrscheinlich zeigt uns das Fernsehen sowieso schon seit 1984 dieselben Bilder aus Rio und keiner merkt’s. Sambaschulen paradieren durch das Sambadrom, man sieht Brüste, Strass und Feder-Klimbim. Das Motto: fast nackt in Rio.

Ganz anders der Karneval in Salvador. Wo bitte? Gute Frage:  Bis vor Kurzem konnte nicht einmal die deutsche Fluglinie Condor den Namen der Stadt richtig schreiben, obwohl sie mehrmals wöchentlich von Frankfurt aus dorthin düst. Jahrelang musste man es als Condor-Fluggast hinnehmen, nach Salvador de Bahia geflogen zu werden, obwohl man eigentlich an den Strand von Salvador da Bahia wollte. Wenigstens der Rückflug gelang stets einwandfrei nach Frankfurt am Main. Nie kamen sie auf die Idee, stattdessen vielleicht Frankfurt im Main anzufliegen.

Einfach Salvador.
Noch einmal zum Mitschreiben also für alle Airline-Routenplaner: Salvador da Bahia, genauer gesagt São Salvador da Bahia de Todos os Santos oder, wenn es dann doch etwas schneller gehen soll, einfach Salvador. 2,7 Millionen Einwohner, Hauptstadt des tropischen Bundesstaates Bahia im Nordosten Brasiliens. Salvador hat kein Sambadrom, keine Sambaschulen und kein Feder-Klimbim und gilt trotzdem als die Party-Hauptstadt Brasiliens. Love Parade? Spring Break? Maturareise nach Antalya mit Alkohol inklusive? Sie alle müssen sich hinten anstellen, denn Salvador hat das Phänomen der Streetparty erfunden. Nicht zufällig ist Bahia die beliebteste Urlaubsdestination der Brasilianer selbst. Wer hat den Samba erfunden? Bahianer. Und wer den Musik-Truck? Ebenfalls Bahianer, und das immerhin schon 40 Jahre vor der Love Parade. Das kam nämlich so: Im Karneval der 1950er war ein Musikantentrio in Salvador als Erstes in einem umgebauten Auto mit Trichter-lautsprechern unterwegs. Diese Sensation wurde damals von der staunenden Presse „Trio Elétrico“ genannt – die Bezeichnung hat sich bis heute gehalten. Aus dem Töff-Töff sind im Laufe der Jahrzehnte Sattelschlepper geworden, mit gigantischen Bühnenaufbauten und Boxen in Stadionqualität. Ein ausgewachsenes Trio Elétrico wiegt 35 Tonnen, und seine Stromgeneratoren können eine Kleinstadt versorgen. „Das Trio Elétrico wurde ein Riesenerfolg und bewirkte eine Demokratisierung des Karnevals“, analysiert die Musikwissenschaftlerin Franziska Röszl. Denn: „Der Karneval hat über lange Zeit die gesellschaftliche Spaltung dokumentiert – hier die geschlossenen Clubs der Oberschicht, dort der Straßenkarneval der Armen. Hinter dem Trio Elétrico tanzten erstmals alle gemeinsam.“ Auf festgelegten Routen von insgesamt 25 Kilometern Länge ziehen in Salvador Karnevalsblöcke durch die Stadt, meist angeführt von einem Trio Elétrico, auf dem ein Star der bahianischen Axé-Musik (gesprochen Aschääh) die Menge auf Touren hält. Axé kombiniert afro-brasilianische Rhythmen wie den Samba-Reggae mit eingängigen Popmelodien, anzüglichen Texten und – meist ebenfalls anzüglichen – Choreografieanweisungen für das Partyvolk. Kostprobe gefällig? „Ich möcht küssen / Deinen wahnsinnigen Mund. Ich möcht reinstecken / Die Weintraube bis zu deinem Gaumen. Lutsch sie ganz! Ich sagte, ganz! Lutsch sie ganz! Ich sagte, ganz!“ (aus: Ivete Sangalo, Céu da Boca).

Gilberto Gil im Axé-Fieber. Dieser Unsinn lässt auch noch eine zweite Deutung zu. Doch bevor sich jetzt die eine oder andere Augenbraue hebt – dieser Song wird auch vom ehemaligen Kulturminister, der Tropicalismo-Legende Gilberto Gil, ohne Wimpernzucken performt. Von diesen Axé-Hits gibt es Dutzende, und sie sind jedem Brasilianer geläufig. Und am meisten Spaß machen sie im Gedränge des Karnevals von Salvador. Die jugendfreien Sambaschulsambas aus Rio, die die Entdeckung Brasiliens beschreiben und die Schönheit des Amazonas besingen, sind dagegen machtlos. Dennoch hat Rio den größten Karneval der Welt. So steht es immerhin im Guinnessbuch der Rekorde von 2004. Rio hat jedoch auch ein Problem: das Sambadrom, 1984 vom visionären, vor einem Jahr verstorbenen Oscar Niemeyer hingestellt. 700 Meter weißer Asphalt flankiert von Tribünen. Seine Kapazität wurde unlängst für die Olympischen Spiele 2016 auf 90.000 Besucher erhöht. In den vier Karnevalsnächten von Freitag bis Dienstag passen daher maximal 360.000 auf die Tribünen. Dazu kann man noch die zählen, die unten auf dem Asphalt in einer der 30 Sambaschulen mitdefilieren, zwischen 1000 und 4000 pro Schule, je nach Liga und Reputation. Zusammengerechnet sind es somit weit weniger als eine halbe Million, die im Sambadrom von Rio ihren Karneval feiern können.

Altbackenes Rio. Vor einem Jahrzehnt noch war Salvador offiziell anerkannt als größter Karneval der Welt. Gegen Salvadors Streetparty-Konzept wirkte der Karneval im Sambadrom von Rio altbacken. 2013 bilanzierte das Fremdenverkehrsamt von Salvador mit zwei Millionen Karnevalsbesuchern, die Kollegen in Rio jedoch mit mittlerweile über fünf Millionen, ein Vielfaches der halben Million, die dort ins Sambadrom passt.

Wie das? Rio setzt voll auf die Straße und das bahianische Trio Elétrico als Wachstumsraum neben dem kapazitätsbeschränkten Sambadrom. Mainz mag ja Mainz bleiben, aber Rio de Janeiro wird zunehmend zu Salvador da Bahia. Dennoch halten Experten die Zahlen aus Rio für viel zu hoch bemessen und rechnen einander vor, wie viele oder eben wenige Menschen sich überhaupt auf einen Quadratmeter Straße pferchen lassen. Aber wer zählt schon die Völker, nennt die Namen? Es gibt eine untrügliche Kennzahl, und nach dieser hat Rio eindeutig die Nase vorn: Dixi-Klos. 16.000 davon wurden 2013 in Rio aufgestellt, in Salvador hingegen nur magere 1900. Der Punkt für den größten Karneval geht daher wahrscheinlich zu Recht an Rio, wenngleich das siegreiche Know-how dafür aus Salvador kommt: das Trio Elétrico. Und auch der Punkt für die fetteste Party geht definitiv an Salvador. Schließlich ist alles eine Frage der Zielgruppe: Tanzende über 30, verheiratet und die Schwiegermutter im Gepäck? Viel Spaß im Sambadrom in Rio! Unter 30, Beziehungsstatus „es ist kompliziert“? Um Himmels willen! Mach schnell, sonst fangen die in Salvador ohne dich an!

Sambamanie in Deutschland.
Und wer sich immer noch nicht zwischen Rio und Salvador entscheiden kann, der kann auch einfach in Europa bleiben. Das ist CO2-freundlicher und obendrauf auch noch billiger. Das Motto lautet dann: Oberfranken statt over the ocean. Denn im oberfränkischen Coburg findet alljährlich das größte Sambafestival Europas statt: 200.000 Besucher treffen hier auf die unterschiedlichen Sambaschulen, Axé-Stars und immerhin 3000 Sambatrommler.

Zulauf und Wachstum sind dabei noch lange nicht abgeschlossen, glaubt Rolf Beyersdorf, Geschäftsführer des Sambafestivals in Coburg: „In zehn Jahren wird die Sambaszene in Europa einen noch größeren Stellenwert einnehmen. Dies liegt zum einen an den vielen engagierten Sambagruppen und Sambaschulen in Europa und zum anderen an der enormen Aufmerksamkeit, die Brasilien durch die Fußball-WM und die Olympischen Spiele in den kommenden Jahren genießen wird.“ Ziehen wir also Bilanz: Salvadors Streetparty hat Rios Sambadrom den Rang abgelaufen und deshalb hat Rio jetzt mehr als doppelt so viele Karnevalsbesucher wie Salvador. Und wer diesen und jenen Karneval live erleben möchte, der fährt am besten erst einmal nach Coburg.

Tipp

Wichtig. Beim Durchmachen die Wasserflasche nicht vergessen! www.aguasourofino.com.brSchillernd. Booties von Paul Andrew. www.paulandrew.com

Malerisch. Brasilien im Überblick.

Duftend. Bodylotion mit Ringelblume. www.granado.com.br

Luis Kranebitter ist Mitgründer von Sambagruppen in Österreich, Russland und Kroatien. Sein Roman „Schwarze Römerin. Das Sambamädchen aus der Favela“ erscheint Ende November, Tredition Verlag, Hamburg. Präsentation & Lesung: SambAttac Fest, 6. Dezember, 21 Uhr im Fania Live, Lerchenfelder Gürtel, Stadtbahnbögen 22-23, 1080 Wien.

Schlafen in Salvador: Von den großen Strandhotels ist abzuraten. In den zentrumsnahen Stadtteilen Ondina und Rio Vermelho thronen die Hotelburgen hoch über der Küste. Besser ans andere Ufer der Allerheiligenbucht und auf die Insel Itaparica übersetzen.

Club Med Itaparica: Palmenstrand, All-inclusive-Angebote, Sport, ideal mit Kids. clubmed-urlaub.com. In Salvador selbst wird „klein“ großgeschrieben: schicke Boutique-Hotels garantieren Stil und Komfort in ausgesuchten Lagen:
Aram Yami Hotel: Liebevoll saniertes Altstadtjuwel mit tollem Service, auf der „richtigen“ Seite gelegen, also mit Blick über Unterstadt, Hafen und Allerheiligenbucht. hotelaramyami.com
Cocoon Hotel: Designhotel mit viel Sichtbeton und gewagter Formgebung. Wer‘s hip und spacig braucht, der ist hier richtig. 200 Meter vom Strand von Jaguaribe, der allerdings keinen Schönheitspreis gewinnt, zehn Gehminuten weiter der von Piatã hingegen schon: belebter Party- und Familienstrand. hotel-cocoon.com

Salvador: Essen und Trinken
Mistura: Seit Jahrzehnten eine verlässliche Institution für Langusten und anverwandtes Meeresgetier im nördlichen Stadtteil Itapũa, dem ehemaligen Fischerdorf. restaurantemistura.com.br
Fogo de Chão im Künstlerviertel Rio Vermelho: Churrasco heißt die brasilianische Fleischorgie, ständig wird vom Grill nachserviert. Für Fleischjunkies. fogodechao.com.br
Bahia Marina: Der Jachthafen beheimatet in seiner privilegierten Lage gleich mehrere Cafés und Restaurants, allesamt Kategorie smart-elegant. Ebenfalls erwähnenswert: das Restaurant Amado gleich nebenan. Bootsschuhe und Khakis nicht vergessen. bahiamarina.com.br

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