Heiße Feger wischen, bürsten und schrubben das Eis mit dem Besen

Selbstversuch. Curling sieht lustig aus. Daher gehen lustige Esel auch gern einmal aufs Eis tanzen – bei einem Anfängerkurs in der Schweiz, wo Curling sehr populär ist.

Die ersten Schritte in einer neuen Sportart sind immer die schwierigsten. Beim Curling sind sie auch noch halsbrecherisch. Denn das Neuland, das der Anfänger betritt, besteht aus einer rutschigen, sauglatten Oberfläche. Etwa die Eisbahn des Curling-Klubs Disentis im schweizerischen Graubünden, wo Curling inoffizieller Breitensport ist. Das ist diese putzig anzusehende, olympische Wintersportart, bei der man freiwillig zum Besen greift.

Etwa Tumaisch Desax. Der Rätoromane ist Klubpräsident in Disentis und mein Lotse für die allerersten Schritte. Der Crashkurs am Rand der Eisfläche hörte sich noch recht gangbar an: „Zielen, abspielen, kehren, ins Haus treffen.“ Doch dann die Kehrseite: die ersten Gehversuche auf dem Eis mit Spezialschuhen. Damit gleiten die Curler elegant übers Eis. Wenn man's kann. Ich aber fühle mich wie ein Pinguin auf Schmierseife. Doch Rettung ist in Sicht: der Abstoßblock mit seinem rauen Filzbelag. Der sogenannte Hack ist höchstens so groß wie ein Fußabstreifer.

Ursache der Rutschpartie ist der Slider – eine Art Gamasche, die Tumaisch Desax unter meinen linken Schuh geschnallt hat. Der Slider besteht aus einer Schicht Teflon. Man muss kein Kotelett sein, um damit jede Bodenhaftung zu verlieren. Erst recht auf Eis. Mit glatter Absicht, denn der Curler soll beim Abstoßen des Steins geschmeidig über die Bahn gleiten und das Spielgerät taktisch geschickt platzieren. Jetzt gibt es kein Zurück mehr: Ich muss mein linkes Bein vom Hack bewegen und auf der spiegelglatten Eisfläche abstellen. Das rechte Bein fummle ich in eine Art Startblock. Mein linker Arm umkrampft den Besen.

Erste Steinabgabe. Das rechte Bein sorgt für Schwung, mit dem linken gleite übers Eis. Die Antihaftsohle lässt's laufen. Ich spiele weitere Übungssteine, gleite auf und nieder und versuche die grauen Spielgeräte im Ziel oder kurz davor zu platzieren. Curling ist ein strategisches Spiel und erinnert an Boccia.

„Das kostet eine Runde!“

Bald klappt's ganz passabel. Tumaisch erklärt, wie man kleine Kurven erzeugt: durch Drehen des Griffs. Das mit den links- und den rechtsdrehenden Steinen hab' ich schnell kapiert, weshalb mich Tumaisch befördert: zum Mitspieler in der Gruppe bei einem Miniturnier. Okay, let's slide. Bei meiner ersten Steinabgabe im Team bin ich etwas nervös, weshalb ich glatt den ersten Stein statt linksherum nach rechts drehe. „Das kostet eine Runde“, jubiliert Räto, ein pensionierter Architekt, mein Klub- und Schrubbkamerad. Trotz eisiger Temperaturen, Disentis liegt auf 1130 Metern, wird einem beim Schrubben schnell warm. „Bürsten ist streng“, sagt Räto in charmantem Schweizerdeutsch. Ob wischen, kehren, schrubben oder bürsten – fegen müssen alle Curler, damit sich ein Wasserfilm bildet. Der verlängert die Laufbahn.

Unsere Nachbarn wischen und schrubben, was das Zeug hält. Studenten und Handwerker, Hausfrauen und Rentner – alle mutieren auf dem Glatteis zu heißen Fegern. Die Schweiz ist drittstärkste Curlingnation. Rund 8000 Vereinsaktive gibt es. Zum Vergleich: In Österreich sind es nur wenige hundert.

In Disentis ist man besonders eifrig. Im Schatten des Sankt-Gotthard-Massivs und diverser Gletscher kennt man sich mit Schnee und Eis aus. Der beinahe schon sagenumwobene Glacier-Express macht in Disentis halt, nachdem der Zug vom Matterhorn kommend den Oberalppass erklommen hat. „Curling ist eine sehr faire Sportart“, sagt Tumaisch Desax. Nach dem Sport wird's erst recht gemütlich: Der Gewinner zahlt die Getränke, das ist internationaler Usus. Es fließt Grappa sowie Rotwein aus dem Wallis in der Vereinsheim-Caféteria. Einen Namen hat das Lokal noch nicht. Wie wär's mit Besenwirtschaft? Bürstenwirtschaft klänge irgendwie verkehrt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2013)

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