Spanien: Kleine Fische, große Köche

Das Beste an der spanisch-mediterranen Küche wird kreativ interpretiert und ist heimgekehrt: an die Küste. Ein kulinarischer Streifzug an der Costa Blanca.

An den wirklich großen Fischen ist die Polizei nicht interessiert. Im Gegenteil, gefahndet wird nach den kleinen, den allzu kleinen. Die werden beschlagnahmt. „Das sind aber die besten, und meine Kunden verlangen sie“, sagt Fischhändler Toni Ivars. Die Versorgung von Feinschmeckern an der Costa Blanca birgt eben Risiken. „1000 Euro habe ich unlängst Strafe bezahlt“, klagt Toni. Gleich in der Kurve nach dem Fischmarkt in der Hafenstadt Calpe hat die Guardia Civil den Händler aus dem Nachbarort Benissa abgefangen – mit vielen Fischen, kürzer als das Gesetz erlaubt.

An den Fischtheken der Küste Alicantes wird auch vieles verkauft, das von weit her kommt: Seezungen aus Chile, Schwertfische aus Indien. Aus dem nordspanischen Galicien, 2000 Kilometer durch Iberien, werden vor allem die feineren Muscheln geliefert. Goldbrassen und Wolfsbarsche stammen meist aus der Region, doch fast immer aus der Zucht. Besonders begehrt ist aber, was nahe und knapp ist: Jene Fische und Schalentiere, die die pescadores aus Calpe oder dem nördlichen D©nia aus dem Mittelmeer ziehen und fangfrisch an der Fischbörse verkaufen. Und die ganz anders schmecken als lang gekühlte Importware.

An der zu Wohlstand gekommenen Costa Blanca wird die regionale Küche neu entdeckt. Rund eine halbe Million sonnenhungriger Zuwanderer aus Mittel- und Nordeuropa lebt an der 200 Kilometer langen Küste Alicantes zwischen Torrevieja im Süden und D©nia im Norden. Besonders im Teil zwischen Alicante und D©nia wetteifern Köche in der Neuinterpretation traditioneller Gerichte und setzen ihren Ehrgeiz da­rin, die feinsten regionalen Grundlagen zu verwenden. Koste es, was es wolle.

Deswegen sitzt Toni unter dutzenden Wirten und anderen Händlern in der lonja, der Fischbörse, mit einem kleinen Gerät in der Hand und blickt gespannt aufs Laufband. Dort kommen soeben Cigalas, Kaisergranaten, vorbei. Ihr Kilopreis wird auf einer Leuchttafel sehr schnell heruntergezählt: 40, 39, 38, … Bei 29 Euro drückt Toni rasch auf den kleinen Knopf am Gerät: Zuschlag! Diesmal gibtÂ’s kein Problem mit der Obrigkeit, die blassrosa Leckerbissen sind ausgewachsen.

Pascuala verkauft neben der Versteigerungshalle frische Meerestiere an Laufkundschaft. Ein paar vorwitzige Muscheln, die aus ihren Schalen rauslugen, erhalten einen kleinen Klaps und ziehen sich schnell zurück. Die Verkäuferin, ein Leben lang im Fischhandel, erinnert sich noch an die Anfänge des Tourismus Ende der 60er-Jahre. „Meine Tante hatte eines der ersten Restaurants hier.“ Damals holten sich die Fremden den Fisch am Markt und brachten ihn in die kleinen Buden daneben, wo er zubereitet wurde. Meist so, wie es Pascuala auch heute noch am liebsten hat: a la plancha, auf der heißen Kochplatte, und darüber etwas Öl und rohen Knoblauch. „Nada m¡s“ –„mehr nicht.“
Aus diesen Buden wurden Riesen-Restaurants, wo Touristen in Massen abgefertigt werden und die Fische oft eine längere Anreise hinter sich haben als die Gäste. Der frische Fisch aus der lonja findet sich in vielen, kleinen Lokalen, oft weit hinter der ers­ten Strandlinie, wo einheimische, aber auch zugewanderte Wirte erkannt haben, dass die große Küche am Mittelmeer ihre Produkte aus der Nähe bezieht und die besten Stücke nicht immer die mit den berühm­testen Namen sind. „Caballa“, Makrele, der billigste Fisch, ist Pascualas persönlicher Favorit. Die verkannte Delikatesse wird sogar von Greenpeace empfohlen. Die Makrele ist keine bedrohte Art, anders als die meisten ihrer Genossen aus dem Mittelmeer.

Spaniens Köche werden derzeit international gefeiert, allen Kollegen voran der Katalane Ferr¡n Adri . In seinem Restaurant und Labor El Bulli in Roses bei Girona, nahe der französischen Grenze, experimentiert er wie sonst keiner. Gemeinsam mit anderen Kochkünstlern wie dem Basken Juan Mari Arzak oder der katalanischen Nachbarin Carme
Ruscalleda hat er Spanien an die Weltspitze des guten Geschmacks katapultiert und sich selbst auf die Titelseite des New York Times Magazine.

Revolution. Die internationale Furore der großen cocineros wirkt auch nach innen. Im vergangenen Jahrzehnt hat Spaniens Küche einen Umbruch erlebt. Ganz besonders spürbar ist das in Regionen mit kaufkräftigem Publikum, den großen Städten und den Küs­ten. In der Casa Pepa, einem mit Michelin-Stern ausgezeichneten Restaurant in Ondara bei D©nia, bereitet Chefin Pepa die caballa vom Fischmarkt in einer Art knuspriger Frühlingsrolle zu. Eine simple Makrele als Gaumenkitzel.

In Häusern wie jenem von Pepa sind aber auch unbekannte Fische zu finden, regionale Arten, die nur zu bestimmten Jahreszeiten gefischt werden. Eine örtliche Zahnbrassenart, der „Denton“, wird  mit Pilzen auf der Terrasse neben den Olivenbäumen serviert. Dentons Tod mit delikatem Ergebnis ist dabei nur eine kulinarische Facette zur sanften, gastronomischen Revolution an Spaniens Mittelmeerküste. Das Dessert in Pepas Restaurant ist bereits Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins: N­speros, Mispeln – mit Fenchelschaum und Safran-Eis. Traditionelle Früchte, mutig arrangiert, das Gefrorene kühn mit Safran von der Küste versetzt. Experiment geglückt.

Wohl haben die Zuwanderer an der Costa Blanca der spanischen cocina Impulse gegeben. Der wichtigste Anstoß aber kam von den Einheimischen. Zum einen sind sie selbst zum wohlhabenden Zielpublikum geworden, das sich nie und nimmer mit Touristen-Menüs (Huhn mit Pommes, Seehecht mit Pommes, Pizza ohne) abspeisen lässt. Zum anderen ist es gerade die Internationalität und die damit einhergehende Angst um den Verlust eigener (Küchen-)Kultur, die den Aufschwung gebracht hat.

Schokozigarre mit Tabakaroma. Octavio Moreno ist vor mehr als 25 Jahren aus der westspanischen Extremadura in die Kleinstadt D©nia an der Costa Blanca gekommen. Mit seinem Restaurant OctavioÂ’s halten er und seine Familie die Tradition der spanischen Küche hoch. Der Chefkoch und Schwiegersohn stammt aus Madrid, viele Produkte kommen von Bauern der Extremadura, die Meeresfrüchte aus der Fischhalle in D©nia. Bei OctavioÂ’s macht es der ganzen Familie Spaß, neue Gerichte zu erfinden, meist gelingen sie so gut wie das carpaccio de gambas rojas mit den berühmten Garnelen aus D©nia. Manchmal haben sie etwas Manieriertes – wie die Hommage an Kuba zum Dessert: eine Schokozigarre mit Tabak-Aroma. Trotz aller Lust am Tüfteln sieht Octavio die neue spanische Küche nicht unkritisch: „Ferr¡n Adri  hat mit seinem El Bulli viel Gutes bewirkt, aber auch Schaden angerichtet. Heute wollen viele junge Köche Schaum von Linsen auf den Tisch bringen, bevor sie wissen, wie man Linsen kocht.“

Bei OctavioÂ’s könnte das nicht passieren. Traditionelles und Kreatives sind gleichwertig. Octavios Frau Marta ist die maestra de arroces, die Expertin in Sachen Paella und anderer Reisgerichte. „Auf die richtige Brühe kommt es an“, erklärt Octavio in dem großen, freundlichen Speiseraum, während die Gattin in der Küche die Pfanne rührt. Und wer dann von der Gemüsepaella – mit Bohnen, Paprika, Zwiebeln und vor allem Artischocken (aus der Region) – kostet, braucht nie wieder Fleisch und Fisch im Reis.
Paella, so hieß ursprünglich nur die flache, runde Pfanne, in der Reis gekocht wird: mit Huhn und Kaninchen, oder mit Fisch und Meeresfrüchten, mit Blutwurst und Ei, nur mit Gemüse oder in einer der dutzenden anderen Varianten.

Paella ist auch nur eine von drei Zubereitungsarten – trocken aus der Pfanne (eben als Paella), oder feucht-cremig (arroz meloso) oder auch ganz nass (arroz caldoso) im suppenartigen Eintopf. Besonders nach einem arroz caldoso ist klar, warum Spanier Reis ausschließlich zu Mittag essen und wozu eine Siesta dient.

Reden und essen und reden.

Die Mahlzeiten – in der Früh, am Vormittag, zu Mittag, nachmittags und abends – bestimmen den Tagesablauf in Spanien, danach werden, wenn irgend möglich, Arbeit und Freizeit eingeteilt. Ebenso wichtig ist Gesellschaft dazu, die Speisen werden unter Freunden geteilt. So werden Tapas immer für die ganze Runde am Tisch bestellt und die Paella gehört eigentlich in der Pfanne auf den Tisch – jeder löffelt daraus.

Paco Teuler ist der passende Wirt zu dieser Kommunikationsfreudigkeit. Er ist Redner aus Berufung und Gastronom von Beruf. Um beides zu vereinbaren, verzichtet er im familieneigenen Restaurant Ca LÂ’ ngeles auf die Speisekarte. Im Lokal im adretten Hinterlanddorf Polop sind die Wände mit traditionellen Fliesen, azulejos, verkleidet, auf den alten Anrichten stehen Schwarz-Weiß-Fotos – die Einrichtung erinnert da­ran, dass zu Zeiten von Pacos Großeltern der Speiseraum das Wohnzimmer war.

Entspannt wie zu Hause essen hier die Gäs­te, oft verirren sich nur ein paar kleinere Runden in den geheimen Gourmettempel, in dem Massentourismus auch fehlgeleitet wäre. „Wir sind ein ruhiges Lokal, das ist uns lieber so“, gibt Paco gerne Auskunft. Und hebt zum Vortrag an: Unbedingt müss­ten die von Mutter €ngeles frisch gemachten mintxos, edle Verwandte der spanischen Teigtaschen empanadas, probiert werden. Ja und natürlich Salat, nirgendwo sei der so frisch, „der Vater hat ihn heute Nachmittag vom Feld geholt.“ Und dann ein Tintenfisch, calamar, selbstverständlich mit Gemüse aus der Region, nur der Spargel käme von ein bisschen weiter her – „Na ja, warum nicht?“ ringt sich Paco durch, das ortsfremde Gemüse auch zu servieren. Hier im ruhigen Hinterland der lauten Bettenhochburg Benidorm, werden fast ausschließlich lokale Produkte präsentiert, ohne Experimente und Gigi, aber stets auf den Punkt gebracht. „Platos verdaderos“ – „wahrhaftige Speisen“, das ist Pacos größtes Kompliment und der Anspruch an die ­eigene Küche.

Fischhändler Toni ist ein ähnlicher Purist. Im Geschäft verkauft er den Fisch aus der Bucht, daheim bereitet er gerne den Klassiker aus seinem Heimatort Benissa zu: putxero de polp – Oktopus-Eintopf mit Bohnen und Erdäpfeln. Aber am allerliebsten fährt er aus, „keine Anreise ist mir zu weit für ein gutes Essen“. Und bleibt doch meist in der Region – zum Beispiel in Benimantell, neben der berühmten Felsenstadt Guadalest. In der rustikalen Venta de Monta±a lässt Toni zu Mittag auffahren, was die Gegend hergibt: Gemüse, Kroketten – mit Schinken oder Käse, cocas – Blechkuchen mit Paprikawurst oder Sardellen – und wenn dann niemand mehr kann, geht es so richtig los: Der Wirt stellt einen brennend heißen Tontopf auf den Tisch, eine olleta de blat. Der suppenartige Eintopf mit Weizen und Fleisch ist vor allem im Sommer eine echte Herausforderung. Der sich Toni gerne stellt. Danach kommen noch ein Weinbrand, ein Kaffee und eine echt spanische Frage: „Was sollen wir am Abend essen?“

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