Toskana: Steak Fiorentina bei Grazia und Riccardo

Toskana, Italien
Toskana, Italien(c) Bilderbox
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Agriturismo-Ferien, also Urlaub am Bauernhof, ist eine italienische Erfolgsgeschichte. Für den Gast ist er wie ein Besuch bei Freunden, und zwar bei solchen, die gut kochen können. Und Geheimtipps für die Umgebung liefern.

Sobald die Sonne zum Horizont hinabsinkt und die ockerfarbenen Mauern des Hauses noch einmal aufleuchten lässt, versammeln sich die Gäste im Garten. Es ist Zeit für ein Glas Wein. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum sich alle auf der Sonnenterrasse vor dem über dem Sprengel San Donato gelegenen Haus einfinden.

Die Familie aus Sachsen, die vier Freunde aus dem Rheinland, das Paar aus Mannheim – sie sind einem pawlowschen Reflex gefolgt, der sie um diese Zeit in die Nähe der Küche drängt. Sie wollen wissen, welche Köstlichkeiten Gastgeberin Grazia Busso zubereitet hat, seit sie und Yolanda, eine alte Freundin der Familie, ihre Menüplanung am Morgen um sechs Uhr mit einem Espresso eben dort begonnen haben. Grazia kocht mit Yolandas Unterstützung Tag für Tag traditionelle toskanische Gerichte, verfeinert mit Kräutern aus dem Garten und Öl der Olivenbäume hinterm Haus.

Jeder Tag im Agriturismo Podere Picciolo endet an der langen Tafel im Kaminzimmer oder, wenn es sommerlich warm ist, auf der Terrasse. Das gemeinsame Gelage ist Herzstück des Aufenthalts im Agriturismo, dem italienischen Urlaub am Bauernhof.

2000 dieser kleinen Familienbetriebe auf dem Land gibt es allein in der Toskana. Sie haben wenige Zimmer – der Gutshof Podere Picciolo besitzt fünf Zimmer und eine Ferienwohnung. Abendliches Turn-down-Service oder eine Minibar gibt es nicht. Die Gäste müssen willens sein, den Tisch mit Fremden zu teilen. Für frisch Verliebte oder Flitterwöchner ist diese Urlaubsform eher ungeeignet.

Alle anderen eint in der Regel eine Gemeinsamkeit: ein Faible für die Freuden der einfachen italienischen Küche – und fürs Landleben. Am Morgen zwitschern Vögel, über dem Arno-Tal vor dem Fenster liegt ein Nebelstreifen. Am Tag faulenzt man am Pool oder erkundet die Gegend, die mehr Sehenswürdigkeiten zu bieten hat als viele Länder auf größerer Fläche. Am Abend ist nicht mehr zu tun als an der langen Tafel Platz zu nehmen: vor dem Kamin, der die Größe eines Kleinwagens hat, und unter den Blicken der Großmutter des Hausherrn, die bildschön anzusehen von ihrem Porträt lächelt. Heute gibt es Lasagne nach einem Rezept von Grazias Großmutter, gefolgt von einem Schweinsbraten, den Grazia im Ofen geschmort und erst zum Schluss mit Olivenöl beträufelt und mit gehacktem Knoblauch und Rosmarin garniert hat. In großen Karaffen leuchtet dunkelrot der Landwein. Die Gäste erzählen von ihren Expeditionen in Reggellos Outlets italienischer Designer, vom Besuch der Uffizien in Florenz, von der Fahrt nach Arezzo.

Riccardo liefert Geheimtipps

Riccardo, Grazias Mann, hat seinen Gästen schon beim Frühstück Tipps für die Erkundung der Umgebung gegeben. Er weiß, wo man im 20 Autominuten entfernten Florenz parken soll, welche Geschäfte in Siena lohnen und wo man in Reggello, dem nächsten Städtchen, Hustensaft bekommt. Und er kennt die Sehenswürdigkeiten, die es angesichts der Fülle von Kunstschätzen der Toskana nicht in die Reiseführer schaffen: das alte Grand Hotel in Saltino etwa, das auf 980 Metern Höhe einen Panoramablick bis nach Florenz öffnet und vor bald 100 Jahren Wintersportadresse für die Florentiner Hautevolée war, und die nahe Abtei von Valombroso. Beides liegt nur wenige Kilometer oberhalb des Gutshofs inmitten von Kiefernwald, den wohlhabende Florentiner einst eigens mit Pflanzen aus Nordeuropa anlegen ließen, um es in ihrer Sommerfrische schön schattig zu haben.

Schnell stellt sich das Gefühl ein, bei Freunden zu Besuch zu sein. Die Küchentür ist immer offen, und bald halten sich auch die Gäste nicht mehr damit auf, ihre Türen abzusperren. Lernwillige weiht Grazia in die Geheimnisse der Herstellung frischer Ravioli ein. Am Abend sind sie in Butter und Salbei der erste warme Gang. Bei den Gesprächen in der Küche und beim Essen beginnt man zu begreifen, woher die kulinarische Obsession der Italiener stammt. Womöglich bildet nicht nur der innere Zirkel aus Familie und Freunden das eigentliche Universum, sondern das gemeinsame Essen auch dessen Zentrum. Riccardo und Grazia Busso haben sich mit dem eigenen Agriturismo ihren Lebenstraum erfüllt.

Die Bussos stammen aus dem Piemont, ebenfalls eine Region, in der sich das Leben ums Essen dreht. Als Sohn Lorenzo flügge wurde, wollte Grazia ihre Leidenschaft fürs Kochen in geselliger Runde zum Beruf machen. „Sie kann ja nicht still sitzen“, sagt Riccardo mit stiller Resignation. Dazu ist nun auch keine Gelegenheit mehr. In einer gewaltigen Anstrengung restaurierten die beiden den Gutshof aus dem 16.Jahrhundert, den sie an einem grauen Wintertag des Jahres 2008 fast auf der Stelle kauften – trotz des finsteren Februarhimmels und des desolaten Zustands der Gebäude eine Liebe auf den ersten Blick.

Die Begeisterung für das Objekt, das mit zehn Hektar Landwirtschaft eine Menge Arbeit macht, für gutes Essen und für die Harmonie zwischen Ort und Menschen teilt sich auch den Gästen mit. Wenn Grazia am Morgen in der Küche mit dem seligen Startenor Pavarotti „O Sole Mio“ singt, fühlt man sich wie im Film. Und wenn Riccardo am Abend gewaltige Florentiner Steaks auf den handgefertigten Holzofengrill in der Außenküche gart, wünschen sie sich, noch länger zu bleiben. So zart ist das Fleisch, für das Grazia am Morgen bis kurz vor Siena gefahren ist, weil dort der beste Fleischhauer weit und breit ansässig ist. Beilagen brauchen diese Steaks nicht, höchstens grünen Salat. Sie sind mit Rosmarinzweigen gegrillt, darüber kommen nur ein paar Rucola-Blätter, junges Olivenöl eigener Herstellung und etwas Salz.

Dass die Gäste in dieser Woche alle Deutsche sind, ist Zufall – auch wenn es für deutschsprachige Urlauber durchaus angenehm ist, dass die Bussos nach langem Aufenthalt in Deutschland die Sprache perfekt beherrschen. Außer Europäern zählen auch Amerikaner zu den Stammgästen des Hauses. Eine Familie aus den USA mietet der Einfachheit halber einmal im Jahr das gesamte Gut und übernimmt auch die Herrschaft über die Küche. So schön es sein mag, das Anwesen für sich zu haben – die beiden wesentlichen Komponenten des Aufenthalts im Agriturismo fehlen dann: die abendlichen Gaumenfreuden aus der Küche der Hausherrin und die Tischgespräche mit anderen Gästen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

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