Frankreichs Westen I: Stadt auf der Surfwelle

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Früher reiste die Noblesse mit Entourage an, jetzt kommen die Wassersportler und Golfer nach Biarritz.

Der Atlantik brodelt, die Gischt spritzt hinauf bis zum Jungfrauenfelsen, dem Rocher de la Vièrge, den eine weiße Marienskulptur krönt. Ein Übergang verbindet das Festland mit dem Fels, den schönsten aller Panoramapunkte von Biarritz. Südwärts schweift der Blick über den Strand Côte des Basques bis zu den Ausläufern Spaniens in der Ferne, nordwärts liegen der Hauptstrand, Grande Plage, der Leuchtturm, hohe Klippen. Rund um den Rocher de la Vièrge bricht sich die See an Felsnasen, eine ist mit kleinen Kreuzen besetzt, die an Schiffbrüche erinnern.

Biarritz ist eine raue Schönheit, wind- und wettergeschüttelt am Golf von Biskaya. Französischer Charme mischt sich mit internationalem Flair und baskischer Identität. Wie aus einem Fischernest, von dem aus die Walfänger einst bis nach Neufundland vorgedrungen sind, ein Seebad mit Weltruf wurde, hat verschiedene Gründe. Wegweisend war Frankreichs Kaiser Napoléon III., der für seine Gemahlin, Eugénie, Mitte des 19.Jahrhunderts auf einer Anhöhe über dem Hauptstrand eine Sommerresidenz errichten ließ. Fortan tankten die beiden gesunde Seeluft – und blieben nicht allein. Was für die Royals gut war, würde ihnen ebenso wohltun, kam vielen Blaublütern in den Sinn, und sie strömten hinterher.

Von Sisi zu Rita

Biarritz stieg zum Tummelbecken der Hautevolee auf, dem Treffpunkt von Lords aus England, Aristokraten aus Spanien, Prinzen aus Osteuropa. Auf Plätzen und Promenaden spazierten Damen mit ihrem Gefolge, man traf sich zum Tee und Kaffee, zu Brettspielen und selbst zu spiritistischen Sitzungen, eine Mode jener Ära. Hinzu kamen rauschende Bälle und Soireen, Empfänge, Feuerwerk, Konzerte. 1880 sah sich die einstige Kaiserresidenz in ein Casino und 1893 in ein Luxushotel verwandelt, das Biarritz' Vorzeigeadresse geblieben ist: das Hôtel du Palais. Die Gästeliste liest sich wie ein Who's who aus Politik, Gesellschaft und Kunst. Was mit Kaiserin Elisabeth von Österreich und Englands König Edward VII. begonnen hatte, setzte sich später mit Kinostars wie Charlie Chaplin, Gary Cooper und Rita Hayworth fort.

Jeder Strand ein Surfspot

Der Chic, das Mondäne hat sich bis heute erhalten – es gibt edle Boutiquen, Cafés, Restaurants, Patisserien. Und doch machen sie nur einen Teil des Reizes der 26.000-Einwohner-Stadt aus. Biarritz, der Strand der Könige, ist eigentlich eine Königin der Strände mit sechs Abschnitten.

Bis auf die kleine Plage Port Vieux ist jeder Strand ein Surferspot. „Das Surfen in Europa ist genau hier geboren worden“, erklärt Surfschulleiter Laurent Ortiz und erzählt eine Anekdote aus dem Jahr 1957, als der Drehbuchautor Peter Viertel sein aus den USA mitgebrachtes Brett ausgepackt und sich in die Fluten gestürzt hat. Gegenwärtig bieten zehn Surfschulen Kurse und Aufenthalte an, etwa 10.000 Teilnehmer aller Altersstufen und vieler Nationalitäten sind es pro Jahr, ein echter Wirtschaftsfaktor. „Das Tolle bei uns sind die lang auslaufenden Wellen, und dass man ganzjährig surfen kann“, unterstreicht Ortiz und fügt hinzu, wie sehr sich das Surferimage in den letzten zwei Jahrzehnten gewandelt hat: „Früher wurden Surfer eher als Alternative oder Freaks gesehen, heute wird es als anspruchsvoller Sport, als Lebensart akzeptiert.“ Er, Laurent, 42, gehe jeden Tag surfen. Einen Lieblingsstrand hat er nicht. „Kommt ganz auf Wind und Wellen an“, sagt er. „Kein Tag ist wie der andere.“

„Als ich erstmals in den Ferien als Jugendlicher hierherkam, war mein Traum: Hier will ich irgendwann einmal leben“, sagt Pascal Audoin. Seinen Traum hat der 46-Jährige sich längst erfüllt, der einstige Profigolfer ist heute Golflehrer und bekennt, während er über das Grün des Trainingszentrums Ilbarritz auf die Küste hinausschaut: „Ja, irgendwie fühlt man sich bei der Arbeit wie im Urlaub.“ Golf ist hier ein großes Thema. Allein im Umkreis von 30 Kilometern liegen hier zehn Golfplätze. Wer eine Woche hier verbringt, kann jeden Tag auf einem anderen Platz spielen. Ein Klassiker unter den Anlagen ist der Golf Le Phare, der, 1888 von Briten gegründet, der zweitälteste auf dem europäischen Kontinent sein soll.

Und dann lockt noch der Stadtkern selbst: Einen Steinwurf von den Markthallen ist das Historische Museum in einer früheren anglikanischen Kirche im selben Art-déco-Komplex wie das Casino untergebracht. Promenaden ziehen sich nicht nur an den Stränden entlang, sondern auch um den Lac Marion, einen idyllischen See im Stadtgebiet.

Hammerhaie und Muränen

Ein Kapitel für sich ist die Architektur. In Nachbarschaft des Hôtel du Palais erhebt sich die orthodoxe Kirche, zehn Gehminuten sind es von der überbordend dekorierten Kaiserlichen Kapelle, Chapelle Impériale, zum Gare du Midi. Hinter der Fassade des ausrangierten Midi-Bahnhofs verbirgt sich ein topmoderner Konzertsaal mit exzellenter Akustik. Noch gewagter ist die zeitgenössische Architektur am Stadtrand, wo sich die Cité de l'Océan in Leuchtweiß aus dem Wiesengrün abhebt; die Inhalte dieses interaktiven Museums kreisen um den Lebensraum Meer.

Ein breiteres Publikum spricht das Musée de la Mer an, in dem Beckenboss Charlie und seine vier Begleiterinnen täglich um 10.30 und 17 Uhr auf ihre Fischhappen warten. Die Fütterung der Robben auf der Aussichtsterrasse ist eine Attraktion in diesem gelungenen Mix aus Meeresmuseum und Aquarium, einem der besten in Frankreich. Die Hammerhaie sind die Stars im Hauptbassin, begleitet von Stechrochen und Riffhaien. Zwei Dutzend Becken belegen die Vielfalt der Fauna im Golf von Biskaya – Oktopusse, Sardinen, Krabben, Quallen und sogar Muränen.

Einiges an Fischen landet noch im Netz, rund um den Fischerhafen geht es bodenständig zu. Netze stapeln sich vor den alten Häusern, deren Inneres denkbar einfach ist. Ein Tisch, ein paar Stühle, Kübel, Angelruten. „Das Wichtigste bei uns ist aber immer der Kühlschrank“, erklärt einer der Besitzer verschwörerisch, „wegen des Aperitifs.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2014)

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