Der Blanke Hans muss leise sein

roter Strandkorb
roter Strandkorb(c) www.BilderBox.com
  • Drucken

Kein Auto, kaum Fahrräder. Und wenn das Pferd nicht will, verkehrt nicht einmal die Eisenbahn auf Spiekeroog. Hier ist es beschaulicher als auf anderen ostfriesischen Inseln.

Falls der Blanke Hans – so heißen die Nordseestürme – anklopft, werden die Schotten der Backsteinhöfe auf Spiekeroog dicht gemacht, Grog und Friesentee gebraut, und schaurige Geschichten machen die Runde. Verstehen müsste man das Plattdüütsch halt. Die Dwarslooper (Querläufer), die riesigen Krabben, sind jedenfalls schneller in ihren Löchern, als man schauen kann. Selbst hält man sich bei Sturm drinnen an Sanddornkuchen und Tote Tante – Rum mit Kakao oder umgekehrt. Am besten schmeckt das im „Dat olle Huus“ oder im „Klabautermann“, wo man vorher Matjes, roh vergorenen Hering, einfach die Kehle runtergleiten lässt, wenn es schnell gehen soll. Nach dem Sturm gingen früher die Strandjer (Plünderer) an den Strand und sammelten die Überreste geborstener Schiffe ein. Das Wrack der „Verona“ kann man noch ausmachen, die „Johanna“ ist schon verschwunden.

Doch das ist lange her. Genauso wie die Zeiten, als man mit Friesenmützen fischen konnte. Zeitungen kommen per Fähre und werden nicht mehr von Flugzeugen abgeworfen. Auf Lärm reagiert man hier empfindlich. Zwischen zwölf und 15 und von 22 bis neun Uhr muss noch mehr Ruhe als sonst auf Spiekeroog herrschen. Das kontrolliert der Inselpolizist, der sich auch um die vierbeinigen Gäste mit Beißkorb kümmern soll, die nicht sonderlich willkommen sind, genauso wenig wie Surfboards und Fahrräder. Die gröbste Umweltbelastung heute sei der Vogeldreck, sagt er. Discostreitereien muss der Inselpolizist nicht schlichten – es gibt keine Disco.

Mit dem Wagen ins Wasser

Die Kark to Spiekeroog, die älteste Inselkirche (1696), hat wohl schon Ärgeres erlebt: Damals gab es gerade 19 Häuser, viele davon aus Muschelkalk errichtet, und 100 Bewohner, die meisten davon Seefahrer und Walfänger. 1846 wurde die Insel offiziell Seebad: Sittenwächter verteilten die ersten 162 Gäste züchtig auf Damen- und Herrenbad an der Westseite von Spiekeroog, wo man mit ausgemusterten Badekarren aus Norderney in den kühlen Atlantik gerollt und eingetaucht wurde. Diese ersten Touristen waren vom Festland aus über zwei Tage lang unterwegs und angeblich hellauf begeistert.

Heute geht es schneller. Die meisten nehmen die Fähre ab Neuharlingersiel, einem beschaulichen Fischerdorf am niedersächsischen Festland, sechs Kilometer entfernt: 230.000 Passagiere im Jahr, viele auf Tagesauflug, die den Lebensunterhalt von 800 Menschen hier sicherstellen. Wann genau sie kommen, hängt vom Wasserstand ab, genauso wie der Fahrplan. Drüben warten jedenfalls schon Wüppen, zweirädrige Karren, für den Gepäcktransport. Noblere Hoteliers schicken Elektrokarren. Die letzte Pferdeeisenbahn auf Spiekeroog fährt nur mehr dreimal täglich den Kilometer über die Salzwiesen hinüber nach Westend. Die Endstation liegt bei einer Kneipe – Old Laramie, wo es vor allem Matjes gibt. Und Surfboards zum Leihen, wenn der Betreiber nicht gerade kitesurft oder Sand schaufelt, den ihm der Wind vor das Fenster gehäuft hat.

An Sand mangelt hier es nicht unbedingt. An Wasser auch nicht, bei Hochwasser zumindest, wie die Flut hier heißt. Der Nationalpark Wattenmeer zählt zu den außergewöhnlichsten Ökosystemen Europas: Bei Ebbe lassen sich die sieben ostfriesischen Inseln – neben Spiekeroog eben Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog und Wangerooge – zu Fuß erreichen, wenn man sich ortskundigen Wattführern anschließt. Das dauert Stunden, geht es doch etliche Kilometer hinaus in die Nordsee, die dann zu einem matschigen Gemisch aus Prielen (kleinen Wasserläufen), dunklem Schlammschlick und Sandbänken wird, auf denen Vögel sitzen und nicht selten ein paar Seehunde liegen. Die Artenvielfalt ist hier gewaltig; 1500 Pflanzenarten und 8000 Tierarten bewohnen die Dünen, Salzmarsch- und Moorlandschaften. Die „Big Five“ hier sind aber selten größer als ein paar Zentimeter.

Andere Inseln wie Norderney und Borkum sind mondäner, zweifellos. Spiekeroog, ein Unesco-Weltnaturerbe, ist das egal. Spazieren ist hier angesagt und tief Luft holen – ein Paradies nicht nur für Pollenallergiker und Vogelfreunde. Man geht zu Fuß, die Kinder hocken im Bollerwagen. Und alle ziehen über die Holzplankenwege zu den weißen Stränden hinter den bis zu 24 Meter hohen Dünen, wenn sich wieder die Sonne blicken lässt und man sich einen der Strandkörbe gesichert hat. Was gar nicht so einfach ist, obwohl es in Ostfriesland geschätzte 22.000 geben soll.

www.spiekeroog.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.