Ukraine: Höchste Geheimhaltungsstufe

(c) Kathrin Singer
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Bis 1991 war das idyllische Hafenstädtchen Balaklava auf der Krim streng geheim: In einem atombombensicheren unterirdischen Werk reparierten die Sowjets ihre U-Boote.

Balaklava. Irgendwoher klingt der Name bekannt. Ein türkisches Gebäck ist es nicht. Aber türkisch klingt es schon. Und es waren auch die Türken, die 1475 das griechische Handelszentrum auf der Halbinsel Krim eroberten und dem Ort diesen wohlklingenden Namen gaben.

Balaklava kennt man in der Ukraine aber nicht wegen der Krim, sondern wegen der schwarzen Kopfbedeckung, die man sich tief über die Augen zieht, wenn man unerkannt bleiben will. Und das hat doch mit der Krim zu tun: Balaklava, ein kleiner Ort, geschützt zwischen steilen Klippen und strategisch supergünstig am Schwarzen Meer gelegen, war im Krimkrieg 1854 von den Engländern als Stützpunkt ausgesucht worden, um von hier aus Sewastopol zu erobern. Doch der Krieg zog sich länger hin als geplant. Es wurde Winter, gegen die Kälte zogen sich die englischen Soldaten in Balaklava ihre wollene Mütze bis tief über die Ohren. Geboren war der Ausdruck Balaklava. Für die Kopfbedeckung.

Und so kommt es, dass jeder den Namen für diese Mützen, aber kaum jemand den hübschen Ort mit seinem Hafen, seinen Jachten und Cafés kennt. Das betrifft nicht nur Ausländer, sondern auch 99 Prozent der Ukrainer und Russen, denn Balaklava war zu sowjetischen Zeiten geheimer als geheim – noch geheimer als die zehn Kilometer entfernte verbotene Stadt Sewastopol. Aber die fand man wenigstens auf der Karte. Balaklava hingegen verschwand nach 1950 von den Landkarten.

126 Meter unter der Erde

Nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki beschloss Moskau im August 1945, im direkt ins Meer reichenden Berg von Balaklava einen unterirdischen Bunker zur Reparatur von U-Booten zu errichten. Das unterirdische Bollwerk sollte einer 100- Kilotonnen-Atombombe standhalten. Stalin selbst verlieh dem Bau die allerhöchste Geheimhaltungsstufe. Von 1954 bis 1963 wurde die 15.000 Quadratmeter große Anlage aus Trockendocks und Werkstätten 126 Meter tief im Berg erbaut. Vier U-Boote konnten hier gleichzeitig repariert werden. Nach der Unabhängigkeit von Russland 1991 erklärte die Ukraine den atomwaffenfreien Status. 1997, nachdem das letzte U-Boot die Ukraine verlassen hatte, wurde auch das Städtchen Balaklava geöffnet. Seitdem können Touristen unbeschwert dieses Relikt des Kalten Krieges bestaunen.

Das Werk ist genial platziert, ist doch die Bucht von Balaklava ganz besonders geschnitten: wie ein großes S. Vom Meer aus ist der Ort, der sich entlang der Bucht erstreckt, unsichtbar. Die U-Boote fuhren in die Bucht und durch ein schweres Metalltor in den Berg hinein. Durch ein zweites Tor schlichen die U-Boote wieder direkt ins Meer hinaus.

Der unterirdische Weg der U-Boote kann heute nachvollzogen werden. Die Tour geht vorbei an der Schleuse, den Trockendocks, an den ehemals sehr gut belüfteten Werkstätten, in denen die Torpedos getestet wurden. Im Werk arbeiteten 300 Spezialisten im Dreischichtsystem, je vier Stunden. Es gab eine eigene Küche und auch eine Poliklinik. Im Ernstfall war man auf die Evakuierung von 3000 Menschen eingestellt. Für 30 Tage hätten Flüchtlinge und neun U-Boote versteckt werden können. Die mächtigen Wände und Tore, die die Räume teilten, machen enormen Eindruck. Ein Gemisch aus Beton, Zement und Glas sollte für die Sicherheit im Ernstfall garantieren. Eine Kulisse, perfekt für einen James Bond-Film. Verrückter kam man sich das alles gar nicht ausdenken. Aber es ist Teil der Geschichte. In einem Saal stehen denn auch einige Schaukästen mit Torpedos, Fotos und Erklärungen – der Versuch, diese Epoche aufzuarbeiten, wirkt aber unentschlossen. Dazu kommt, dass der U-Boot-Bunker seit der Öffnung fast vollständig ausgeraubt wurde. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, selbst das 120 Tonnen schwere Eingangstor, wurde abmontiert und als Altmetall zu Geld gemacht. Der Eindruck ist trotzdem unvergesslich.

Cafés und Luxusjachten

Das Kontrastprogramm findet sich auf der anderen Seite der Bucht: Die hübschen Häuser, die Anfang des 20. Jahrhunderts von wohlhabenden Bürgern der Stadt Sewastopol als Sommerresidenz erbaut worden waren, sind restauriert. Im Hafen schaukeln Fischerboote neben Luxusjachten und Ausflugsschiffen, die Touren auf dem Schwarze Meer und nach Jalta anbieten. Cafés und Fischrestaurants laden zum Entspannen ein, ein Tauchfachgeschäft bietet Ausrüstung sowie Kurse an.

Die Region, in der seit Jahrhunderten erbittert um die Vormacht am Schwarzen Meer gekämpft wurde, ist zu einem Paradies für Taucher und Sonnenanbeter geworden. Urlaub in einem mediterran anmutenden Hafenstädtchen, das vor noch gar nicht langer Zeit einer der geheimsten Orte des sowjetischen Imperiums war, ist ein seltsames, exklusives Gefühl.

NJET & SOWJET

Balaklava: Museum täglich von
10 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt: zehn Hrivna; Marmonaja Straße 1
Exkursionen: Reservierung unter
T 00380/692 535 990

Flug: Wien–Simferopol (Krim)

Anfahrt: Vom berühmten Markt in Sewastopol mit Bus Nr. 9

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2008)

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