Tirol: Zum Lachen auf den Friedhof

(c) Clemens Fabry
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Die skurrilen Inschriften auf dem Museumsfriedhof in Kramsach lassen schmunzeln. Eine Kunstschmiedfamilie sammelt historische Grabkreuze aus dem Alpenraum und stellt sie auf dem „Friedhof ohne Tote“ aus.

Ein stiller Herbstnachmittag im Unterinntal. Friedhofsruhe im Örtchen Kramsach. Kein Sterbensgeräusch zu hören. Gelbgrüne Lärchen und weiß gepuderte Bergspitzen deuten auf den nahenden November hin. Dem Monat des tristen Graus. Aber auch dem Monat des Totengedenkens. Ein Mann mit weißem Resthaar schreitet an schmiedeeisernen Kreuzen vorbei. Wirkt in sich gekehrt. Macht ein paar Schritte, kniet nieder. Doch nein, nicht zum Gedenken an einen Verstorbenen. Hans Guggenberger klaubt ein paar dürre Zweige auf. Nach der Putzaktion hat alles wieder seine Friedhofsordnung. Besser: Museumsfriedhofsordnung. Aufgestellt vom Chef, Hans Guggenberger.

Nicht in jedem Erdendasein ist alles in bester Ordnung. So mancher strauchelte durchs Leben. Oder segnete das Zeitliche durch ein Unglück. Wovon die rund 60 Inschriften auf dem historischen Schaufriedhof in Kramsach zeugen. Einige kurz und bündig: „Aufigschtieg'n, obagfall'n, hin gwös'n“. Die meisten skurril und in Reimen: „Hier ruht der Brugger von Lechleithen, er starb an einem Blasenleiden, er war schon je ein schlechter Brunzer, drum bet' für ihn ein Vaterunser.“ Viele stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, fast alle aus dem Alpenraum. Gereimt und gemalt von sogenannten Täfelemalern – oft den einzigen ihrer Gegend, die des Schreibens halbwegs mächtig waren. Hans Guggenberger beobachtet die Besucher. Und freut sich wie ein großer Lausbub über amüsierte Gesichter. Er ist Seniorchef eines Kunstschmied- und Steinmetzbetriebs für Grabmale. Sein Vater begann damit, Grabkreuze zu sammeln. „Weil ihm die alte Schmiedekunst zu schade war“, sagt Guggenberger. Nicht selten landen ausgediente, Jahrhunderte alte Kreuze im Altmetall. Oder verstauben auf Dachböden. Nachdem die Verträge auf den Gottesackern ausgelaufen sind und Familiengräber aufgelöst werden, weiß niemand, wohin mit ihnen.

4500 Euro für ein Grabkreuz

So manche historischen Kreuze zu erhalten, lohnt sich nicht nur wegen des teuren Schmiedehandwerks. Sondern auch, weil sie zur Erheiterung der Lebenden beitragen. „Unter diesem Rasen liegt die versoffene Kupferschmied-Nasen“, verrät etwa eine Inschrift, die ursprünglich den Friedhof in Jenbach/Tirol schmückte.

Auf einem anderen Kreuz prangt: „Hier liegt mein Weib, Gott sei's gedankt, oft hat sie mit mir gezankt. O lieber Wanderer, geh fort von hier, sonst steht sie auf und zankt mit Dir“. Die Inschriften liefern auch Einblicke in die Denkweise früherer Generationen und in den kargen, mühevollen Alltag in den Bergen. Die Partnerwahl etwa erfolgte seltener aus romantischen Motiven. Eheleute fungierten als Teile von Zweckgemeinschaften, wovon folgender emotionsloser Spruch aus dem Oberinntal zeugt: „Es liegt begraben die ehrsame Jungfrau Nothburg Nindl, gestorben ist sie im siebzehnten Jahr, just als sie zu brauchen war.“ Hans Guggenberger nennt solche Sprüche die „kürzesten Lebensläufe, die man sich vorstellen kann“.

Im Lauf der vergangen 50 Jahre kamen rund 900 Kreuze in die Hände der Familie Guggenberger, die allermeisten lagern in einem Depot. In unrestauriertem Zustand. Das Aufpolieren ist aufwendig und teuer. Die wenigsten bekommt Guggenberger zudem umsonst. Für sein teuerstes hat er 4500 Euro berappt. Das Restaurieren hat ihn weitere 7000 Euro gekostet.

Säufer und Blasenschwache – Lachen ist erlaubt auf dem Museumsfriedhof. „Hier liegen sowieso keine Toten“, sagt Hans Guggenberger. Wohl gebe es Besucher, die sich über die vermeintliche Pietätlosigkeit beschweren. „Aber das sind Ausnahmen“, sagt er. „Seinen Humor darf man nie verlieren“, mahnt Guggenberger. Auch in der Trauer. Zu einem produktiven Verarbeitungsprozess gehöre Humor und Lachen.

Gerade die Tiroler Berge eignen sich dafür als Kulisse. Die Umgebung von Kramsach bietet reichlich irdische Ablenkung. Sterbenslangweilig ist jedenfalls anders. Der Ort gehört zum Tourismusverband Alpbachtal und Seenland. Das Alpbachtal ist zwar nicht ganz so prominent wie seine Nachbartäler. Doch Unverfälschtheit soll's richten. „Wir haben keine Starallüren“, sagt Michael Mairhofer vom Tourismusverband, „was die Gäste bei uns vorfinden, ist authentisch“. Etwa das Kaiserhaus. In dem geschichtsträchtigen Forsthaus genoss schon Kaiser Franz Josef die Ruhe und Schönheit der Natur. Etwa in der nahen Kaiserklamm. Weltliche Genüsse leben auf im Alpbachtal, das erst 1926 eine asphaltierte Straße bekam. Einst abgehängt, hängen die Alpbachtaler heute andere ab. Etwa in der Kunst des Schnapsbrennens. Günter Kammerlander veredelt Äpfel, Marillen und sogar Heu zu exklusiven Bränden und Likören. Er ist außerdem einer der wenigen Edelbrandsommeliers Österreichs. Das Brennrecht wurde der Familie einst von Kaiserin Maria Theresia verliehen. Oder in der Kunst des Bierbrauens. Josef „Jos“ Moser beliefert mit seiner Kristall Brauerei nur ausgesuchte Gastronomen und ein bekanntes Münchner Feinkostunternehmen. Nach einer Bierverkostung in seiner Ein-Mann-Brauerei in Inneralpbach möchte man kein Supermarktbier mehr trinken. Ein Unterschied wie himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.

Hans Guggenberger ist als Steinmetz und Museumsfriedhofsdirektor permanent vom Thema Tod umgeben. Er habe es zwar nicht eilig, trotzdem habe er schon einen Reim verfasst, welcher eines Tages auf seinem Grabkreuz stehen soll. Er lautet: „Wanderer steh still und weine, hier ruhen meine Gebeine. Ich wollt' es wären deine.“

KRAMSACH, ALPBACH

Museumsfriedhof: im Winter täglich von 10 Uhr bis Einbruch der Dunkelheit, Eintritt kostenlos. Museumsfriedhof Tirol, Hagau 80, +053 37/624 47
Übernachten: Aus einem uralten Bauernhaus wurde das Romantikhotel Böglerhof in Alpbach, ab 84 Euro p.P./Frühstück, das u.a. in einer knarzigen, original Bauernstube eingenommen werden kann.
Hotel Pirchnerhof: Hildegard von Bingen-Küche, Kräutergarten und -Heilprogramm. pirchnerhof.at
Tourismusinformation Alpbach, +053 37/2 12 00 30; alpbachtal.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)

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