Vom Versuch, meine Flugangst zu verlernen

Seminarleiterin Irene Rausch und „Presse“- Redakteurin Anna Gabriel
Seminarleiterin Irene Rausch und „Presse“- Redakteurin Anna GabrielDie Presse
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Beim Seminar "Freude am Fliegen" soll ängstlichen Flugpassagieren mithilfe psychologischer Tipps und eines Einblicks in die Arbeit von Lotsen, Technikern und Piloten die Furcht genommen werden.

Am schlimmsten ist das Warten auf den Start. Wenn das Flugzeug die Parkposition verlässt und der Pilot seiner Crew die Anweisung „Prepare for take-off“ gibt, klebe ich an der Fensterscheibe und bin – völlig ohnmächtig der Technik und dem Können der Piloten ausgesetzt – in meiner düsteren Gedankenwelt gefangen: Was, wenn der Wind zu stark für das problemlose Abheben des Fliegers ist? Ein Triebwerksbrand in der Luft zum Absturz führt? Oder sich das Fahrgestell bei der Landung nicht ausfahren lässt?

Es ist Donnerstagnachmittag, Flughafen Wien-Schwechat, und ich muss heute gar nicht fliegen. Trotzdem setzt die hektische Atmosphäre aus Koffer rollenden Touristen, Lautsprecherdurchsagen und dem unverkennbaren Geräusch von in die Luft jagenden Düsenjets eine Gedankenkette in Gang, die sofort zu einem physisch spürbaren Beklemmungszustand führt: Herzklopfen, kalte Hände und ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. Erst im „Austrian Airlines Trainingscenter“ abseits des bekannten Flughafengeländes bessern sich die Symptome. Gemeinsam mit zwölf Leidensgenossen will ich hier die nächsten drei Tage verlernen, was ich mir über die Jahre selbst antrainiert habe: meine Flugangst. So jedenfalls lautet das ambitionierte Ziel des Seminars mit dem – zu diesem Zeitpunkt – völlig absurden Titel „Freude am Fliegen.“

Panik vor Kontrollverlust. Zuallererst ist Ursachenforschung nötig: „Gab es ein bestimmtes Ereignis, das die Angst ausgelöst hat?“, will Seminarleiterin Irene Rausch von jedem Einzelnen wissen. Ich kann mich an keinen besonders unangenehmen Zwischenfall erinnern. Irgendwann war es plötzlich da, dieses unangenehme Gefühl vor Flugantritt, und wurde mit jedem Mal ein bisschen schlimmer. Meine Neigung zu Klaustrophobie dürfte dabei wohl ebenso eine Rolle spielen wie die Panik vor Kontrollverlust und meine überdurchschnittlich ausgeprägte Höhenangst. Ich fliege trotzdem: Lang- und Kurzstrecke, privat und beruflich. Doch es ist jedes Mal eine Überwindung, oft eine Strapaze, manchmal sogar eine Qual. Der Trick sei, sagt Psychologin Rausch, die Angst zu erwarten, „ablaufen zu lassen“ und sich nicht dagegen zu wehren – gleichzeitig aber die „bösen“, völlig irrationalen Gedanken im Zusammenhang mit dem Fliegen abzustellen und die kognitive Verbindung Fliegen = Gefahr zu trennen. Auch progressive Muskelentspannungsübungen wie die Methode nach Edmund Jacobson können den Angstkreislauf unterbrechen. Vorerst ist das Theorie, an deren praktische Umsetzung keiner so recht glaubt.

Doch schon am nächsten Vormittag können wir die Wirksamkeit der Übungen im beweglichen Kabinensimulator testen. Alles hier ist täuschend echt, selbst der Geruch und das mulmige Gefühl im Bauch. Dann „startet“ das Gerät; Turbulenzen der Stufe zwei – auf einer dreistufigen Skala – werden simuliert. Ein bisschen fühlt es sich an wie beim Tagada-Fahren im Prater; normales Fliegen ist für Gleichgewichtssinn und Magennerven jedenfalls meist weniger unangenehm. „Warten Sie nicht darauf, dass die Turbulenzen nachlassen“, sagt Psychologin Rausch, „sondern nehmen Sie die Bewegungen als etwas ganz Normales, Ungefährliches an, das zu jedem Flug dazugehört.“ Die Muskelentspannung hilft tatsächlich – jedenfalls bei konsequenter Konzentration auf den Übungsablauf. Dann schließe ich die Augen, befolge einen weiteren Rat der Psychologin und stelle mir vor, nicht in einem Flugzeug, sondern einem Zug zu sitzen. So richtig gelingen will das (noch) nicht.


Landen im Minutentakt. Die Erleichterung ist also groß, als wir den Simulator nach einer Stunde wieder verlassen, um im Tower die Arbeit der Lotsen zu beobachten: Aus der Vogelperspektive ist der Flugbetrieb plötzlich nicht mehr ganz so Furcht einflößend. Im Minutentakt starten und landen die tonnenschweren Stahlgerüste; jede Sekunde eines Flugverlaufs wird vom Boden aus überwacht, die Stärke des Windes permanent überprüft. Dreht sich die Windrichtung, werden Starts und Landungen auf eine andere Piste verlegt. Am Nachmittag entlässt Frau Rausch uns mit der Aufgabe, vor dem Einschlafen noch einmal die Entspannungsübungen auszuprobieren. Morgen ist der große Tag.

Unser Flug an diesem Samstag startet zwar erst um 17:30, die Nervosität aber ist schon bei der morgendlichen Führung durch die Werft deutlich spürbar. Ein Techniker erklärt das physikalische Geheimnis, das hinter der Fliegerei steckt. Es lässt sich – sehr vereinfacht – darauf zurückführen, dass die Luft von den Tragflächen verdrängt wird und durch die spezielle Wölbung oben schneller strömt als darunter, weshalb Auftrieb entsteht. „Die Luft“, sagt er, „ist ein dichtes Medium. Der Flieger bewegt sich nicht im Nichts, er gleitet wie auf Watte.“ Ein beruhigender Gedanke. Als wir wenig später auf den Kapitän treffen, der uns heute nach Hamburg und wieder zurück fliegen wird, lässt die Anspannung weiter nach. Wir befinden uns jetzt in jenen Räumlichkeiten, wo sich die AUA-Piloten auf ihren Einsatz vorbereiten, die Flugroute festgelegt wird und eine genaue Analyse des Wetters auf der Strecke erfolgt. Der Kapitän beantwortet geduldig alle Fragen und versucht, Bedenken auszuräumen: Dass die meisten Turbulenzen nur wenige Prozent der Belastung verursachen, die ein für den Linienverkehr zugelassenes Passagierflugzeug aushalten muss, und dass „Luftlöcher“ ein Mythos sind – genauso unwahrscheinlich wie ein „Loch“ im Wasser – wussten die meisten von uns nicht.

Was in der Theorie natürlich jeder schon gehört hat: Fliegen ist die sicherste Art zu reisen. Statistisch gesehen müsste jeden Tag ein Flugunfall ohne Überlebende passieren, damit im Luftverkehr genauso viele Menschen sterben wie im Straßenverkehr. Wer jetzt noch Bedenken hat, kann diese mit Frau Rausch in einer letzten „Entspannungsrunde“ vor Abflug ausräumen. Dann geht es los.

Noch ist es da, dieses mulmige Gefühl auf dem Weg zum Gate. Aber: Zum ersten Mal seit langer Zeit muss ich mich heute nicht überwinden, in ein Flugzeug zu steigen – in dem Bewusstsein, dass es Wege gibt, den selbst produzierten Stress zu bekämpfen. Und ich habe etwas ganz Wesentliches zurückgewonnen, das mir auch in Zukunft beim Fliegen helfen wird: Vertrauen. Und das Gewissen, mit meiner Angst nicht allein zu sein.

Euphorie spürbar. Noch während des Fluges werden Sekt und Urkunden überreicht. Alle haben das Seminar erfolgreich bestanden. Nach der Landung in Wien ist die Euphorie unter den Teilnehmern spürbar. Die Psychologin gibt uns auf den Weg, bald wieder zu fliegen und das Verlernen der Angstregelmäßig zu trainieren. Das nehmen wir uns vor – und planen einen gemeinsamen Städteflug.

»freude am fliegen«

Austrian Airlines bieten seit mehr als 30 Jahren das Seminar „Freude am Fliegen“ an, das eine erfahrene Psychologin leitet. Auch ein Techniker, ein Pilot und ein Flugbegleiter gehören zum Team.

Die Gebühr von 620 Euro beinhaltet die psychologische Arbeit in Kleingruppen, den Besuch im Kabinensimulator, eine Werftführung, den Besuch des Towers und einen Abschlussflug.

Mehr Infos: www.austrian.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2015)

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