Santiago de Cuba: Aussichtsreich

(c) René Laglstorfer
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Santiago de Cuba, die alte Hauptstadt der Insel, ist reich an historischem Erbe. In der Stadt pulsiert das Leben im Rhythmus von Salsa, Son – und tausenden Zweitaktern.

Neun Uhr früh. In der brennenden Sonne stehen Dutzende Menschen in allen erdenklichen Hautfarben schwitzend vor dem einzigen Internet-Café der Stadt Schlange. Mittendrin werden die Wartenden traurig von zwei hechelnden Vierbeinern angestarrt, die sich beim Liebesakt ineinander verkeilt haben und nicht mehr voneinander loskommen. „Passiert das öfter?“, fragen wir unseren Vermieter Ernesto Molina, der uns ins Stadtzentrum begleitet. „So gut wie jeden Tag“, schmunzelt er. Santiago ist ein bunter, prunkvoller und lebendiger Ort. Ernesto hat sein ganzes Leben in der früheren Hauptstadt Kubas verbracht. Sein Job im öffentlichen Dienst bringt gerade einmal so viel ein, wie die monatlichen Stromkosten ausmachen. Seit ein paar Jahren stellt er in seinem Haus zwei Privatzimmer Touristen zur Verfügung und bringt damit seine Familie mehr schlecht als recht über die Runden. „Das kubanische Sprichwort stimmt schon: ‚Der Staat tut so, als bezahle er uns, und wir tun so, als arbeiteten wir‘.“

Nach einem Fußmarsch durch leicht ansteigende schmale Straßen stehen wir plötzlich auf einem weitläufigen Platz: „Willkommen in Santiagos Schatztruhe kolonialer Architektur“, sagt Ernesto. Einst Exerzierplatz für das spanische Militär, trägt der Parque Céspedes heute den Namen eines kubanischen Freiheitskämpfers, dem eine Bronzebüste in der Mitte des Platzes gewidmet ist. Abgesehen von der schrill-modernen Fassade der Kubanischen Nationalbank präsentiert sich dieser quirlige Platz als das historische Herz Santiagos, das zu jeder Tages- und Nachtzeit lautstark pulsiert. „Hier steht nicht nur die erste Kathedrale der Insel, sondern auch das älteste noch erhaltene Haus Amerikas“, sagt Ernesto.

(c) René Laglstorfer

Dominiert wird der Parque Céspedes von der alles überragenden Kathedrale, die über dem Platz thront, ein riesiger Engel wacht über dem Eingang. Das architektonische Highlight ist das Haus von Diego Velázquez aus dem Jahre 1522. Einst Sitz des Gouverneurs, dann Handelshaus und Goldgießerei, beherbergt die im andalusisch-maurischen Stil erbaute Casa de Diego Velázquez heute ein kleines Museum. „Bemerkenswert sind die Sichtblenden an den Fenstern, die es ermöglichen, auf den Parque Céspedes zu blicken, ohne selbst gesehen zu werden“, sagt Ernesto, von dem wir uns verabschieden, um das Umland von Santiago auf eigene Faust zu erkunden.

Motorradtaxis. Wie von Ernesto empfohlen, heben wir die rechte Hand und winken eines der vielen Motorradtaxis heran, die durch die Stadt knattern. Zu erkennen sind sie am zweiten Sturzhelm, der vom Lenker baumelt. Für zehn kubanische Pesos – umgerechnet 30 Cent – rasen wir zum ehemaligen Marktplatz Plaza de Dolores, wo einer der beiden staatlichen Auto- und Mopedverleiher der Stadt zu finden ist. Private gibt es – noch – keine. Agostino Cardenal sitzt vor dem Geschäft unter einem Baum auf einer Parkbank und verneint unsere Frage nach Motorrädern: „In Kuba werden nur noch Mopeds an Touristen vermietet, es sind wegen der schlechten Straßen einfach zu viele Unfälle passiert.“ Also mieten wir einen der modernen Roller chinesischer Bauart, Höchstgeschwindigkeit: 65 km/h. Doch in Kuba sind selbst Mopeds führerscheinpflichtig. Nach kurzer Überzeugungsarbeit gibt sich Cardenal grummelnd mit unserem Reisepass zufrieden. Nach einer konfusen Wegerklärung, wie wir aus der 500.000-Einwohner-Stadt herausfinden, kann die Entdeckungsfahrt durch Santiago und seine Umgebung beginnen.

Bollwerk am Meer. Unser erster Stopp ist die Festung San Pedro de la Roca, zehn Kilometer im Südwesten von Santiago an der Küste gelegen. Auf einem 60 Meter hohen Felsvorsprung ragen hohe Mauern auf und ermöglichen uns für etwas mehr als umgerechnet drei Euro Eintritt einen eindrucksvollen Rundblick über die Bucht und die Hafeneinfahrt Santiagos. 1587 von einem italienischen Militäringenieur entworfen, wurde das scheinbar unbezwingbare Bollwerk im Lauf der Jahrhunderte immer wieder von Piratenüberfällen heimgesucht und später als Gefängnis genutzt. Heute beherbergt die Festung mit ihren massiven Geschütz- und Verteidigungsstellungen lediglich ein kleines Piratenmuseum und ist dennoch einer der vielen Touristenmagneten in der Region. Seitdem die Unesco die Festungsanlage 1997 als „das besterhaltene und vollständigste Beispiel der spanisch-amerikanischen Militärarchitektur“ in die Liste der Weltkulturerbe-Stätten aufgenommen hat, erfreut sich San Pedro de la Roca von Jahr zu Jahr wachsender Beliebtheit bei in- und ausländischen Gästen.

(c) René Laglstorfer

Nach einem kurzen Aufstieg auf das Dach der Festung, wo wir mit einer fantastischen Aussicht auf das Meer, die Bucht Santiagos und seine Ausläufer belohnt werden, ist es Zeit für die nächste Entdeckung. Wir starten unseren Roller und steuern eine weitere Attraktion im Umland von Santiago an: Im rustikalen Badeort Siboney, etwa 19 Kilometer im Südosten von Santiago, sucht man idyllische Sandstrände und Luxusresorts, wie sie an der Nordküste Kubas typisch sind, vergebens. Stattdessen präsentiert sich der sichelförmige Strand kiesig und schroff und wird fast ausschließlich von Santiaguëros bevölkert, die dem Chaos und der Gluthitze ihrer Stadt zu entfliehen versuchen.

Dennoch gibt es zwei Highlights in Siboney. Das Restaurant Sitio del Compay bereitet nicht nur köstliche afrokubanische Gerichte zu, wovon wir uns persönlich überzeugen. Nein, es erinnert auch an einen der berühmtesten Musiker Kubas, der 1907 auf diesem Grundstück geboren wurde: Francisco Repilado, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Compay Segundo. Im hohen Alter von 90 Jahren wurde er mit der Seniorenband Buena Vista Social Club weltberühmt. Als Kuba-Tourist hört man an vielen Straßenecken seine bekannteste Komposition „Chan Chan“, die – typisch für die Musikschöpfung Son – die Gitarrenmusik spanischer Landarbeiter mit afrokubanischen Trommelrhythmen verschmelzen lässt und schnell zum Ohrwurm wird.

Doch Siboney hat sich nicht nur mit seinem berühmtesten Sohn ins Geschichtsbuch von Kuba eingetragen. Nach zwei Kilometern landeinwärts auf unserem knatternden Moped erreichen wir die unscheinbare, aber schön renovierte Granjita Siboney, ein früheres Bauernhaus. Unter der Führung Fidel Castros haben sich 1953 von diesem Nachtquartier aus Dutzende Kubaner auf den Weg gemacht, um die Moncada-Kaserne im nahen Santiago zu erobern – ein erster Revolutionsversuch mit zahlreichen Toten. Der Angriff scheiterte kläglich, doch da Castros Revolution am Ende erfolgreich geblieben ist, befindet sich heute im rot-weißen Haus ein kleines Museum mit Fotos, Waffen und persönlichen Gegenständen, das an den gescheiterten Putsch erinnert und ein Prototyp kubanischer Verklärung und kommunistischer Staatspropaganda ist.

Genug von historischen Orten. Zeit für die einzigartige Natur Kubas, schließlich befinden wir uns im Nationalpark Baconao, der dank seiner Artenvielfalt und seines beispielhaften Ökosystems unter Unsesco-Schutz steht. Und wir haben uns Großes vorgenommen: einen der höchsten Berge Kubas zu besteigen. Der Gipfel Gran Piedra, zu Deutsch Großer Stein, gehört zum höchsten Gebirge Kubas, der Sierra Maestra.

Bei der Abzweigung zur zwölf Kilometer langen Bergstraße kommen uns die mahnenden Worte des Mopedverleihers Cardenal in den Sinn: „Der Motor ist zu schwach für den Berg, nur geländegängige Autos schaffen die extreme Steigung hinauf auf den Gipfel.“ Wir versuchen es dennoch. Zu verlockend ist der Gedanke, den grünsten und artenreichsten Gebirgszug Kubas auf eigene Faust zu erkunden. Die ersten Kilometer sind kein Problem, aus steilen Kurven werden Serpentinen – Herden von Ziegen und Kühen kommen uns wie beim Almabtrieb in den Alpen entgegen. Nach etwa der Hälfte der mit zahllosen Schlaglöchern übersäten Straße ist Schluss: Wie angekündigt macht der Motor nicht mehr mit und beugt sich ermüdet der extremen Steigung. Zugleich setzt ein sommerlicher Sprühregen ein. „Jeden Nachmittag gegen 14 Uhr beginnt es rund um den Gran Piedra zu regnen. Es herrscht dort ein erfrischend kühles Mikroklima, aber keine Sorge, der Regen hält nicht lang an“, hat uns heute morgen Vermieter Ernesto beim Frühstück mit auf den Weg gegeben. Er sollte recht behalten.

(c) René Laglstorfer

Unter Mangobäumen. Wir lassen das Moped an einer gesicherten Weggabelung zurück. Es bleiben also noch etwa sechs Kilometer zu Fuß durch den immergrünen Regenwald. Je höher wir hinaufkommen, desto schöner wird die Wanderung, weil die immer weniger werdenden Bäume – darunter zahlreiche Mangobäume – immer häufiger den sehenswerten Blick ins Tal und auf das Karibische Meer freigeben.

Nach einer Stunde Fußmarsch erreichen wir die Villa la Gran Piedra, das einzige Hotel und Restaurant weit und breit. Nur noch 459 Stufen trennen uns vom Gipfel, auf dem ein 50 Meter langer und 25 Meter hoher Monolith thront. Wie ein herabgestürzter Asteroid wirkt dieser riesige, 63.000 Tonnen schwere Große Stein, den wir auf einer festgeschweißten Eisenleiter besteigen. Der Panoramablick von 1234 Metern Seehöhe über die benachbarten Bergketten der Sierra Maestra, die historischen Kaffeeplantagen und weit in das Karibische Meer rauben uns für einen Moment den Atem.

„An klaren Nächten kann man vom Großen Stein sogar die Lichter Jamaikas erkennen“, hat Ernesto am Frühstückstisch gesagt. „Schließlich liegt Santiago näher bei Haiti, der Dominikanischen Republik und Jamaika als bei unserer Hauptstadt Havanna.“ Vielleicht ist auch das mit ein Grund für den besonderen Charme dieser abwechslungsreichen Gegend zwischen Karibischem Meer und Sierra Maestra.

Trip-Info

Obligatorisch: Zigarrenschneider, z. B. von
www.davidlinley.com
Vollmundig: Rum, hier von der Corporación Cuba Ron, zBsp über www.rumundco.de

Anreise
Wien-Santiago de Cuba-Wien, derzeit mit Air France und Cubana Airlines ab 1527 € via Paris und Havanna. Deutlich günstiger geht es nach Kuba mit Swiss via Zürich (615 €). Von Havanna Weiterreise individuell per Flugzeug, Bahn, Bus oder Mietwagen ans andere Ende der Insel nach Santiago de Cuba.

Beste Reisezeit
Dezember bis April mit Temperaturen von ca. 20 bis 30 Grad. Empfehlenswert ist auch der Mai, wenn die wärmere, aber niederschlagsreichere Nebensaison beginnt. Kuba ist ganzjährig ein attraktives Reiseziel.

Unterkunft
Casa Grande, modernes Viersternehotel im historischen Stadtzentrum. Von der Terrassenbar im fünften Stock hoch über dem Parque Céspedes hat man einen lohnenswerten 360-Grad-Rundblick zum Meer, in die Berge und über die Dächer der Stadt. hotelcasagranda.com

Wer es gern familiär und günstig hat, sollte auf Kuba in einer Casa particular (Privathaus) übernachten. In der Casa Colonial Zaly von Ernesto und Dania gewinnen Reisende nicht nur einen authentischen Einblick ins kubanische Familienleben, sondern leisten mit ihrer Miete (ab ca. 20 Euro) einen wesentlichen Beitrag zum Ein- und Auskommen der Familie. daniaernesto406@hotmail.com

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