Italien: Sonne-Wonnebrocken

Capri
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Der Ford Capri ist gut 40 Jahre alt, das Capri-Eis über 50 und die Capri-Hose in den 60ern. Und wie geht's der Insel? Attraktiver denn je ist sie – und auf den zweiten Blick sehr deutsch. Eine Spurensuche.

Alice Irmgard Faehndrich Freiin von Nordeck zur Rabenau war ratlos: Das Gartenhaus ihrer Villa mit traumhaftem Meerblick hatte sie dem jungen Dichter herrichten und ihm eigens ein Stehpult maßtischlern lassen. Doch nun nörgelte die Edelfeder: „Diese Ausflügler, endlos ihr Strom und ewig lärmend!“ Einige hundert waren es und lösten im Jahr 1907 akute Wortfindungsstörungen bei Rainer Maria Rilke aus.

Heute brächte er auf Capri gar nichts zu Papier, angesichts der bis zu 18.000 Touristen pro Tag. Ausgespuckt von Fähren, wie auf dem Fließband per Standseilbahn hochbefördert, verklumpen sie auf Capris nicht mal Mini-Piazzetta spätestens ab zehn Uhr zu Menschenhäufchen rund um Winkewinke-Fähnchen und dazugehörige Reiseleiter. Also am besten schon zeitig einen Vorsprung herausschlendern – den Spuren deutscher Promis folgend.

Schnell hinunter durch die Via Vittorio Emanuele. Heute ein Edelboutiquen-Windkanal, hieß sie zu Rilkes Zeiten Via Hohenzollern. Eine Verneigung vor den adeligen deutschen Inselbesuchern und etwa 100 teutonischen Dauergästen. Einer davon gönnte sich hier um 1900 so eine Art „Schöner-wohnen“-Abo: Eine Vier-Zimmer-Suite im heute noch imposanten Luxus-Grand-Hotel Quisisana mietete Friedrich Alfred Krupp gleich für mehrere Monate.

Flucht aus Essen

Der Enkel von Firmengründer Friedrich Krupp wollte Naturforscher werden, doch sein Vater versuchte, aus dem introvertierten Friedrich Alfred einen „Kanonenbaron“ in dritter Generation zu schmieden. Der aber stahl sich aus der Stahldynastie mit 100.000 Goldmark fort und steckte sie ins erste Meeresinstitut der Welt bei Neapel. Für Krupp die VIP-Eintrittskarte in seine Traumwelt: Rund um Capri tauchte und forschte er, entdeckte dabei 27 bis dato unbekannte Kleinstlebewesen, darunter die Larve des Aals.

Einen gut 1,3 Kilometer langen Aal hat er der Insel hinterlassen, steinern und begehbar: die Via Krupp, den schönsten Serpentinenweg der Welt, hineingehauen in die Kalkfelsen des Monte Castiglione. Nach jahrelanger Renovierung nun wieder geöffnet, fasziniert er alle Bergabsteiger: Schulklassen, die Wettrennen veranstalten, mehr stehende als gehende Fotografen oder Ruhesuchende, die Krupps Via zur steinernen Sonnenliege umfunktionieren. Der Bauherr hingegen hatte nur eines im Sinn: schneller bei seinen beiden Forschungsschiffen unten in der Marina Piccola zu sein.

Die Marina ist heute noch ein Minihafen, oft mit Maxi-Promi-Dichte: Hier legen Rod Stewart, Elton John, Bill Gates oder Fiona mit KHG im Schlepptau an, weitgehend unbehelligt von Tagestouristen-Invasionen, denen der Rückweg über die Via Krupp nach oben viel zu beschwerlich ist. Ebenso wie der lange Marsch ans Inselende zu den Faraglioni, dem Postkartensymbol Capris.

Dabei ist die dorthin führende Via Tragara eine veritable Sensation. Rechts der Straße liegen satt-saftige Paradiesgärten, gepflegt oder wild wuchernd. Die Terrassen dazwischen haben zwar Horizontblick aufs azurblaue Meer, aber weder Hollywoodschaukel noch Holzkohlengrill. Und links, meist oberhalb der schmalen Via: säulenumrahmte Prunkvillen, elegant weiß oder lässig verwittert. Heute ist hier kulinarisch alles Italia pur: Hotelgäste genießen Zitronenrisotto im La Certosella (Via Tragara 15), unübertroffen bei Kerzenscheinromantik an lauen Sommerabenden. Nur für Schwindelfreie: Die „Schauderterrasse“ im Nobelrestaurant Terrazza Brunella (Via Tragara 24a), weit übers Kliff hinausragend, der ideale Ort für Linguine ai tre colori – Bandnudeln mit Auberginen, Zucchini und gelbem Paprika. Keinen Hunger? Dann immer den „O Sole mio“-Klängen folgen. Sie kommen am Ende der Via Tragara aus einem grünem Kiosk, dekoriert mit Zitronen und Orangen. Darin trällert Maria die Titelzeile des Kultschlagers alle paar Sekunden wie einen Klingelton und schenkt frisch gepressten Orangensaft aus. Verklumpt mit Eis in einem Schnapsglas schmeckt er genau wie Capri-Eis aus Jugendtagen, ist allerdings nur halb so groß und dreimal so teuer, weil Marias Gesangsgage inkludiert ist.

Die Felsendrillinge

Gleich gegenüber ist alles gratis: Belvedere di Tragara – der schönste Blick über die mit Pinien, Ginster, Lorbeer, Zypressen und Kiefern zugewucherten Kalkfelsen sowie auf die Faraglioni, Capris Felsendrillinge im Meer, eine grandiose Kulisse für zwei Felsenbadestrände mit angedockten Restaurants: dem Da Luigi und dem etwas vornehmeren La Fontelina. Nur einem hat es hier nicht gefallen: „Verfluchte blaue Limonade“, schimpfte Dichter Bert Brecht 1924 mit Blick aufs Meer, ließ Frau und Kind auf Capri sitzen und flüchtete ins verruchte Nachtleben Neapels.

Ab dem frühen Nachmittag, wenn die Tagestouristen auf dem Rückweg aufs Festland sind, kann man sich langsam zurückwagen ins Dorf Capri. Hier irgendwo, in der Boutique Emilio, wurde sie vor über 60 Jahren erstmals verkauft, die Capri-Hose – dreiviertellang mit kurzem seitlichem Schlitz. Emilio Pucci, ein Capreser Modeschöpfer, hatte sie sich bei ihrer deutschen Erfinderin Sonja Lennart abgeschaut und konnte bald die Damenwelt von Audrey Hepburn bis Brigitte Bardot damit begeistern.

Viele träumen vom Bleiben, nur wenige schaffen es. Thomas Manns Tochter Monika Mann etwa floh 1953 hierher, verliebte sich in den Fischer und Andenkenbastler Antonio Spadaro und heiratete ihn. Im selben Jahr landete hier Gerhard Winkler aus Potsdam nebst Gattin. Er wollte wissen, wie die Insel aussieht, der er seinen Wohlstand verdankte. Winkler hatte 1943 den Schlager „Die Capri-Fischer“ mit der weltberühmten Zeile „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt“ komponiert, ohne je da gewesen zu sein.

Wenn vor Capri die rote Sonne im Meer versinkt

Anreise. Wien–Neapel–Wien direkt mit Lufthansa (ab 212 €) oder per Charter mit Air Berlin (ab ca. 300 €). Weiter per Fähre nach Capri (ca. 30 € tour-retour).

Essen. Aurora: Hier sitzt man auf der schmalen Gasse mitten im Treiben oder entnimmt drinnen den Fotos und Schaukästen, wer außer Loriot, Sylvester Stallone und Rudolfo Valentino schon alles hier war. Gute Pizza. Via Fuorlovado 18. Im Da Luigi sind fast nur Italiener; hier muss man vor der Kulisse der Faraglioni nach einem Bad im Meer unbedingt Pennette ai Faraglioni essen, würzige kleine Nudeln mit Champagner, Fleisch und Schinkensauce.

Übernachtung. Hotel Canasta, schlicht, gepflegt und preiswert, mit Blick aufs Meer und die Faraglioni. (hotel-canasta.com). Hotel Villa Brunella, ein Haus für Ruhesuchende, Via Tragara 24a.


Pauschal. Flug-Hotel-Kombinationen u. a. bei Dertour Austria. dertour.at

Weitere Informationen:
www.capritourism.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2015)

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