Selbstversuch: Keine Scheidung in der Schleuse

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Zum ersten Mal eine Hausbootjacht über die Mecklenburgische Kleinseenplatte zu steuern ist nicht immer ganz einfach. Vor allem, wenn das Schinakel eine behäbige Luxuszicke ist.

Ganz am Anfang ist das alles überwältigend. Groß und strahlend weiß liegt das Boot am Steg. Kaum zu glauben, dass zwei Personen es beherrschen können. Zumal es, wie sich bald zeigt, einen eigenen Willen zu haben scheint: Einmal schwenkt es zu spät in die gewünschte Richtung, dann wieder dreht es viel zu früh in die andere. Aufgeregt sehen sich der Skipper und sin Fru, wie man sie hier in Mecklenburg nennen würde, an: Ob wir das wohl wuppen?

Noch ist das alles kein größeres Problem. Noch ist Rainer Janke mit an Bord, als eine Art Blitzausbildner der Charterfirma. Vier Stunden lang zeigt er, wie man mit möglichst sanften Bewegungen möglichst vorausschauend steuert. Er lässt das seitliche Anlegen üben und auch schon mal die erste Einfahrt in eine Schleuse. Ganz am Anfang ist das eine gewaltige Aufgabe. Denn der Skipper und sin Fru sind Neulinge in Sachen Wassersport.

Trotzdem dürfen sie laut Gesetz dieses zwölf Meter lange Gefährt ohne Führerschein steuern. Voraussetzung ist eine entsprechende Unterweisung. Bei der theoretischen Einführung hatten sie eben noch gelernt, dass sie nicht nachts fahren dürfen und abends in Häfen anlegen müssen. Und jetzt geht es schon ganz praktisch Richtung Süden, von der Müritz auf die Mecklenburgische Kleinseenplatte, auf der Karte eine Ansammlung vielgestaltiger, blauer Amöben.

Der Skipper steuert das erste Hausboot seines Lebens – und furcht ein hübsches Zickzackmuster in die Müritz-Havel-Wasserstraße. Ein Rentner überholt in seiner knatternden Badewanne und fuchtelt mit den Händen: Geradeaus fahren! „Nicht beirren lassen“, sagt Janke. „Klein kann jeder.“

Die Luisa ist eine Hausbootjacht. Auf ihrem Schiffsrumpf sitzt ein respektables Häuschen in Weiß, das sich mit Flügeltüren und Panoramafenstern zum Bug hin öffnet. Küche, Wohnzimmer und Steueranlage sind eins. Es gibt zwei Schlafzimmer mit geraden Wänden und eigener Dusche, und das Oberdeck mit der Sitzgruppe ist fast so geräumig wie ein kleiner Tennisplatz. Wo sie auftaucht, erregt sie Aufmerksamkeit: „He, was ist das denn – eine schwimmende Arztpraxis?“

Am Spätnachmittag kommt der Hafen der Schlossinsel Mirow in Sicht. Rainer Janke greift ein letztes Mal selbst zum Steuer und bugsiert die Luisa zentimetergenau in eine Lücke. Dann wünscht er alles Gute und überlässt den Skipper und sin Fru ihrem Schicksal und Geschick.

Wiener und Berliner

Zwischen einem picobello restaurierten Schloss und der Johanniterkirche führt eine Lindenallee ins Städtchen. In der Blauen Maus gönnen die Seefahrer sich Damwildbraten und Aal in Gelee. Dann schlendern sie zurück in ihr Heim auf Zeit. Um die 20 Boote liegen im Hafen. Franzosen, Wiener und Berliner trinken Bier und lösen Kreuzworträtsel. Jetzt zählen nur noch der Sommerabend und der See mit seinem Überzug aus Blattgold.

Auch der Morgen beginnt entspannt: Der Skipper und sin Fru schwimmen ein paar Runden und stärken sich mit einem Matrosenfrühstück. Von Deck zu Deck erzählen die Nachbarn, wie es war, als sie vor zehn Jahren ihre ersten Touren fuhren. „Die meisten Ehen zerbrechen angeblich in der Schleuse“, sagen sie. Und da ist sicher was dran.

Genau eine solche steht jetzt an, die Schleuse von Diemitz, die erste ohne Beistand an Bord. Vorsichtig steuert der Skipper in die Schleusenkammer. Hier ein leises Plong, dort ein sanftes Kratzen – wie eine Billardkugel zieht die Luisa vor bis zur gelben Linie. „Wir machen das heute zum ersten Mal“, ruft sin Fru dem Schleusenwärter fröhlich zu. Der grinst gelassen. Dann schließt sich die Kammer, langsam sinkt das Wasser und mit ihm das Schiff.

Feuerprobe bestanden – und noch hält die Ehe.
In aller Gemütsruhe tuckert das Boot durch Kanäle und über Mössensee, Vilzsee und Labussee. Seerosen blühen, zwischen Kühen stolzieren gelbe Schafstelzen umher. Flöße mit aufgebauten Blockhütten sind unterwegs, Kajaks, Kanus und Ausflugsschiffe. An der Schleuse in Canow taucht ein Deck voller Herren in weißen Hemden aus der Tiefe, und als die Tore sich öffnen, ertönt ein vielstimmiges „Seemann, lass das träumen“. „Das glaubt einem wieder keiner“, sagt sin Fru zum Skipper.

Im Wechsel steuert er oder sie. Der andere hält Ausschau und studiert die Gewässerkarte. So langsam erschließt sich das ominöse Gewirr aus blauen Flecken, roten Ankern und weißen Blitzen. Noch ist es kein ungetrübter Genuss, unterwegs zu sein. Noch herrscht Spannung vor, und der Wille, nicht allzu viel verkehrt zu machen. Möglicherweise sind nautische Naturtalente imstande, ein Zwölf-Meter-Boot am zweiten Tag problemlos zu lenken.

Die Ausnahmeerscheinung

Der Skipper und sin Fru sind es nicht. Und die Luisa ist zwar eine interessante Ausnahmeerscheinung in allen Häfen, zeigt sich aber auch als störrisches Sensibelchen: Auf jeden Windhauch, jede Strömung reagiert sie mit zickigen Abweichungen – und kümmert sich um kein Kommando, wenn es mal schnell gehen soll. Mehr oder weniger schwänzelnd zieht sie über die Gewässer.

Unbeirrt grüßen der Skipper und sin Fru die Vorbeifahrenden, ganz so, als würden sie besonders pfiffige Manöver fahren. Doch die lassen sich nicht täuschen: Die Blicke sind manchmal verächtlich, meist aber amüsiert bis mitleidig – es herrscht viel Nachsicht auf dem Wasser. „Stark bleiben, Skipper!“ Wen kümmert's, dass die Zickzack fahrende weiße Villa heute Gesprächsstoff ist in den Häfen der Region? Auch wenn das nautische Überleben und die Natur im Vordergrund stehen – die Kultur darf bei einem solchen Törn nicht fehlen. Rheinsberg ist der südlichste Punkt der Reise. Gleich hinter dem Stadthafen liegt das Schloss, cremegelb, mit zwei runden Türmen. Das Tucholsky-Museum mit dem Schreibtisch aus dem Exil, einer Totenmaske und vielen Briefen und Erstausgaben hat hier den passenden Ort gefunden. Mit „Rheinsberg: Ein Bilderbuch für Verliebte“ war der Dichter 1912 bekannt geworden. Die Dokumente seines späteren Kampfes gegen Militaristen und Nazis bilden einen düsteren Kontrast zur heiteren Urlaubswelt ringsum.

Zur guten Nacht soll die Luisa in der Marina Wolfsbruch anlegen. Das Hotel, die vielen Charter-Boote, die bunten Holzhäuser – all das nimmt der Skipper nur am Rande wahr. Ihm geht nur eines durch den Kopf: Mann, ist das voll hier!

„Neben der Mon amour könnt ihr rückwärts anlegen“, ruft der Hafenmeister vom Pier. Rückwärts? In diesen Schlauch? Vor Dutzenden Zuschauern? Es hilft nichts. Der Skipper dreht, der Skipper steuert, sin Fru ruft Kommandos, Bug- und Heckstrahlruder rauschen im Sekundentakt – und, kaum zu glauben: Ganz, ganz langsam, ohne bei den Nachbarn anzuklopfen, schiebt sich die Luisa folgsam in den engen Korridor.

„Ist gut!“ schreit sin Fru und kommt strahlend nach vorn. „Ich bin so stolz auf dich, mein Kapitän!“ In diesem Augenblick schwebt der Skipper so etwa im siebten Seemannshimmel. Und zieht schon mal eine Zwischenbilanz: keine Wracks auf dem Wasserweg zurückgelassen, kein Kanu gekippt, keinen Steg demoliert. Würde er sich noch einmal auf das Abenteuer einlassen? Bitte sehr, bitte gern. Aber beim nächsten Mal darf's ein schnuckeliges kleines Sportboot sein.

Essen, Schlafen, Hausboot steuern in Mecklenburg

Anreise: Aus Richtung Berlin über die A24. Bis Autobahnkreuz Wittstock/Dosse. A19 Richtung Rostock. Ausfahrt Röbel/Müritz. B198. Ca. 18 km bis Vietzen. Nach links Richtung Rechlin – Rechlin-Nord – Luftfahrttechnisches Museum.

Veranstalter: MYM vermietet Boote unterschiedlicher Größe, Ausstattung und Preisklasse. Die Preise reichen von 550 €/Woche in der Nebensaison bis 2790 € in der Hauptsaison. Die Luisa kostet von 1025 bis 2175 €/Woche. Alle Boote sind mit einem Selbstbehalt von 750 € versichert.

Die Charterbescheinigung zu erwerben kostet 65 €. Sie gilt für Jachten bis zu einer Länge von 15 Metern. Müritz Yacht Management, Müritzstr. 65, 17248 Rechlin, +49/39823 27081, mueritz-yacht.de

Essen, Trinken und Übernachten:

Seehof: Köstlichkeiten wie eine Bouillabaisse aus heimischen Fischen, Schweinsfilet unter der Senf-Zwiebel-Kruste mit Kartoffelgnocchi oder Rindergeschnetzeltes mit Roter Bete und Gurke. Die Hotelzimmer in einem alten Ackerbürgerhaus haben einen sehr eigenen Charme (DZ +F ab 100 €). Seestr. 18, 16831 Rheinsberg, 033931/4030, seehof-rheinsberg.de

Gasthof Blaue Maus: Dass der Besitzer des 250 Jahre alten Fachwerkhauses Jäger ist, drückt sich im Wandschmuck wie auf der Speisekarte aus. Daneben kommt natürlich Fisch aus den Seen zum Einsatz. Die geräumige Ferienwohnung im Obergeschoß kostet 65 €. Schlossstr.11, 17252 Mirow, +49/39833 21734, gasthof-blaue-maus.de

Biberferienhof: Holzhäuser, eine Schäferwagenburg, Ferienwohnungen, ein großes Ferienhaus und ein Campingplatz direkt an der Diemitzer Schleuse. Naturliebhaber finden höchst unterschiedliche Unterkünfte zu ganz unterschiedlichen Preisen.
Diemitz Schleuse 5, 17252 Diemitz, +49/39827 799888, biberferienhof.de

Ratskeller Rheinsberg: Hier hat Theodor Fontane angeblich am liebsten Altbrandenburger Schmorbraten mit Ingwersauce und Apfelrotkohl gespeist. Mit 12,90 € sind die Gäste von heute dabei. Aber auch die Kalbsleber, die La-Ratte-Kartoffelpfanne und die Rheinsberger Fischplatte stehen dem nicht nach. In der angeschlossenen Pension „Elfmeter“ am Sportplatz nächtigt man für 50 Euro im DZ + F. Markt 1, 16831 Rheinsberg, +49/33931 2264, www.ratskeller-rheinsberg.de

Schlosshotel Rheinsberg: Die Anlage wurde 1827 erbaut und hat geräumige, helle Zimmer. Seinen Hunger stillt man im hauseigenen Steakhaus. (DZ+F ab 100 €). Sonderangebote in der Nebensaison. Seestr. 13, 16831 Rheinsberg, +49/33931 39059,
schlosshotel-rheinsberg.de
tucholsky-museum.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2015)

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