Durch die Wüste auf den Voodoo-Markt

Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag (Farin Urlaub)
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Die-Ärzte-Sänger Farin Urlaub ist leidenschaftlicher Reisender und Fotograf. Hier spricht er über Abenteuer und Albträume, Trucker, moderne Völkerwanderungen und seine Neun-Kilo-Bildbände.

Es ist der 3.1.2009, 20.37 Uhr. „Wir legen endlich ab: Die El Djazair II verlässt den Hafen von Alicante und ist unterwegs nach Oran. Im Vorfeld der Reise gab es von allen Seiten Warnungen: Im Süden Algeriens breitet sich Aqim (al-Qaida im Islamischen Maghreb) immer weiter aus, im Niger gibt es einen Tuareg-Aufstand. Von unserem ursprünglichen Plan, von Algerien weiter in den Niger zu fahren, haben wir Abstand genommen – die Gegend um Agadez ist von Banditen vermint worden, angeblich.“

So begann Farin Urlaub seine Reise quer durch die nördliche Hälfte Afrikas, von Algerien durch die Wüste bis zum Golf von Guinea, wieder ans Meer. Und so beginnt Urlaub auch seine Neun-Kilo-Erzählung davon, in Wort und – vor allem – Bild. Denn der blonde Sänger der deutschen Kult-Punkband Die Ärzte hat eine zweite, weniger bekannte Seite: Er ist ein großer Reisender und ein guter Fotograf.

Schon zweimal sind daraus fette Bildbände entstanden, über Indien und Bhutan, Australien und Osttimor. Nun ist er mit seinem nach seinen Wünschen umgebauten Land Cruiser durch Afrika gefahren. Wobei, „eigentlich fahr ich relativ häufig durch Afrika“, sagt Urlaub. „Wann immer es geht, wann immer ich mehr Zeit habe.“ Die nun dokumentierten Trips seien eben zwei Reisen gewesen, auf denen „die Bilder und die Geschichten so schön waren, dass ich dachte, da könnte man doch was draus machen“. Der Verleger sagte ohne zu zögern Ja.

Sand und Paläste

So sieht man nun Dünen und Steinformationen in der Sahara, junge Schrottsammler, bunte Stoffe, buntes Plastik, Märkte, Straßenhändler, einen Toyota-Kleinbus voller Hammel und Ziegen im Inneren und auf dem Dach. Dazu Hütten und Lehmpaläste, sonnenbebrillte Jugendliche und die Maskentänze der Dogon in Mali, auf Panzern spielende Kinder in Angola, Flusspferde, Geparden und Geier in Tansania oder Porträts von Kindern in einem namibischen Himba-Dorf.

Selbst in Gerbereien und auf Afrikas größtem Voodoo-Markt ist der Pescetarier (Urlaub isst kein Fleisch, aber Fisch) dabei gelandet. Alles könnten die sogenannten Féticheurs und Charlatans dort für ihre Riten kaufen, „alle Tiere, die auf einer Liste stehen, als demnächst oder akut vom Aussterben bedroht, in verschiedenen Stadien der Skelettierung und Mumifizierung“. Die angebotene Erektionshilfe aus Fledermauspulver lehnte Urlaub dankend ab.

Zu jedem Land gibt es einen Einleitungstext mit einer kurzen Schilderung der politischen Lage und der Reise. Urlaub erzählt recht nüchtern, aber nicht ohne Witz von schlechten Straßen und mühsamen Grenzübertritten, Pass- und sonstigen Papierkontrollen, übellaunigen Polizisten und Soldaten, Warnungen vor Banditen und Tipps wie durch die nigrische Wüste den aufgestellten Tonnen zu folgen – und keinesfalls anzuhalten, „egal, was wir sähen“.

Was ist es, das den Berliner daran reizt, einsam durch entlegene Winkel der Erde zu fahren, da er doch in Deutschland ein Leben als Rockstar führen kann? „Das, was anders ist als der Alltag“, sagt Urlaub. „Das Unberechenbare. Ich will gar nicht sagen, das Fremde, weil es ist mir ja gar nicht mehr fremd. Das, was mich rausreißt aus meinem normalen Leben – das ist das Schönste.“ Und ja, er brauche das auch. „Wann immer ich kann, versuche ich, mir das zu gönnen, neue Länder zu bereisen.“ Was oft nicht funktioniere, „weil ich auf manche Länder auch so neugierig bin, dass ich sie mehrmals bereise. Es geht also langsam, langsam voran.“

Hinter der ersten der beiden nun dokumentierten Afrikareisen, die Urlaub mit seiner Schwester unternahm, stand eine konkrete Frage. „Was kommt dahinter?“ – hinter dem grünen Küstenstreifen in Algerien, wenn es steppig wird und irgendwann die Wüste beginnt. Quer durch die Sahara ist er also gefahren, durch Sand und Gebirge, bis man irgendwann in den Niger kommt, und, Wochen später, den ersten Baum wiedersieht. Weiter ging es durch Benin und Togo, plötzlich durch dichten Dschungel, und irgendwann, irgendwann ist man dann am Meer. „Jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn man da durchfährt“, sagt Urlaub zufrieden. „Ein schönes Gefühl.“

Risiko und Paranoia

Zumal mehr oder weniger alles glattgegangen ist, was auch nicht selbstverständlich ist. In der algerischen Wüste hatten Urlaub und seine Schwester einen Targi als Guide, „alles andere wäre verwegen oder wahnsinnig“. Ein Risiko ging er auf seiner viermonatigen Rundreise, die ihn unter anderem durch Mali in den Senegal und zurück nach Mauretanien, Westsahara und Marokko führte, trotzdem ein. Zum Teil auch deshalb, sagt Urlaub, „weil ich damals gar nicht wusste, wie gefährlich das ist“.

Heute, das weiß er, wäre die gleiche Reise unmöglich. „Das Traurige daran ist ja, dass es nicht nur die paar Reisenden betrifft, sondern auch die Einheimischen, die auch überhaupt keine Lust haben auf ein Leben unter brutaler Steinzeit-Scharia. Sondern die gern ihr freies und tolerantes Leben wieder hätten.“ Über gefährliche Situationen, die er erlebt hat, spricht er ungern. „Dann traut sich keiner mehr dorthin zu fahren.“ Und – er lebe ja noch und sei gut gelaunt: „Also so schlimm kann alles nicht gewesen sein.“

Apropos schlimm: Albträume hatte der 51-Jährige, bevor es 2012, auf einer Halbjahresreise Richtung Tansania, via Kamerun und Gabun in den Kongo ging. Der Kongo sei dann nicht nur harmlos gewesen, „sondern so bezaubernd, dass ich mich über meine Paranoia geärgert habe“. Er wolle jetzt so schnell wie möglich wieder hin. Wohl ein gängiges Problem der Europäer – die Gratwanderung zwischen Naivität und Furcht.

Wie macht man es richtig?

„Am besten baut man Vorurteile ab, wenn man hinfährt und es sich anguckt“, glaubt der Mitbegründer der Ärzte und Kopf des Soloprojekts Farin Urlaub Racing Team. Er informiert sich vorab in Foren und auf der Website des britischen Außenministeriums, „weil die etwas differenzierter sind und etwas realistischer bei der Gefahrenbeschreibung“. Vieles lerne man dann unterwegs. Etwa, die richtigen Leute zu fragen. Lkw-Fahrer zum Beispiel, die meist weit in einem Land herumkommen. „Wenn man nicht genau weiß, was einen erwartet, ist es immer gut, ein nettes Gespräch mit einem Trucker zu führen, der einem entgegenkommt.“

Die Reiselust gepackt hat Farin Urlaub erstmals mit neun, als ihn die Eltern allein in ein Zeltlager verschickten; mit 16 war er erstmals auf eigene Faust unterwegs. Die Kamera hat er schon sein halbes Leben mit, wenn auch die ersten 15 Jahre ohne Erfolg. „Ich hatte immer nur ganz schlechte Kameras und überhaupt keine Ahnung von Technik. Ich hab mich immer nur geärgert, wenn ich die entwickelten Bilder vom Drogeriemarkt abgeholt hab. Die waren alle grausam, aber ich wusste nicht, woran es liegt. Ich dachte, vielleicht bin ich einfach kein guter Fotograf.“ Es war dann seine Schwester, die ihm zu einer „vernünftigen“ Kamera riet und ihm das erste Grundwissen vermittelte. „Und dann hab ich mir Bücher geholt und gelernt, gelernt, gelernt und geübt, geübt, geübt.“ In erster Linie gehe es ihm aber immer um die Reise. „Es gibt Tage, an denen ich gar nicht fotografiere, obwohl es schöne Bilder gibt.“

Neue Lieder

Einen Lieblingskontinent hat Urlaub nicht. „Mich interessiert alles, wirklich alles.“ Afrika, „das ist halt das größte Abenteuer“. Zum Entspannen würde er es nicht eben empfehlen, „aber wenn es Nervenkitzel sein soll und überwältigende Naturschönheit und ganz fantastische, zauberhafte Menschen – dann ja“.

Einfluss auf seine Musik hätten die Reisen allenfalls indirekt. „Es scheint so zu sein, dass mein Gehirn in Bewegung kommt, wenn es viel Input hat. Dann komme ich nach Hause und schreibe Lieder. Dieser kreative Prozess ist ein bisschen komisch, aber er funktioniert.“ Die Musik, die er anderswo hört, würde er indes nie einfließen lassen. „Diebstahl“ wäre das für ihn.

Schrei nach Liebe

Knapp 200 Euro kosten die beiden Bildbände gemeinsam im Schuber. Urlaubs Honorar geht dabei an Ärzte ohne Grenzen. In Deutschland hat es indes „Schrei nach Liebe“, der Anti-Nazi-Song der Ärzte aus dem Jahr 1993, wieder auf Platz eins der Charts geschafft. Als „Zeichen gegen Fremdenhass“, wie es die von einem Musiklehrer gegründete Aktion formuliert. Versteht Urlaub auch seinen Bildband als Beitrag zur Flüchtlingsdebatte?

Das, meint er, „wäre zu hoch gegriffen. Ich war in vielen Gegenden, aus denen Migranten jetzt zu uns wollen. Und vielleicht nützt es ja was, wenn man sich die Bilder mal anschaut und die Geschichten dazu liest, um zu verstehen, warum sie wegwollen.“ In der Geschichte der Menschheit habe es immer dann Völkerwanderungen gegeben, „wenn das Leben zu gefährlich oder unerträglich oder überhaupt unmöglich geworden ist. Und das soll jetzt plötzlich aufhören, weil wir Pässe eingeführt haben? Das ist doch Quatsch.“

Eine schlüssige Erklärung der Problematik sei sein Buch – trotz kritischer Anmerkungen – nicht. „So größenwahnsinnig bin ich nicht“, sagt Urlaub. Aber es passe, leider, gerade ganz gut.

BÜCHER

Unterwegs 3: Vom Mittelmeer zum Golf von Guinea, Unterwegs 4: Vom Golf von Guinea nach Sansibar

Farin Urlaub: Afrika, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag. Limitierte Auflage von 3333 nummerierten und handsignierten Exemplaren. Je Band 352 Seiten, ca. 700 farbige Abbildungen. Gemeinsam im Schuber 204,60 Euro. Einzeln je 101,80 Euro.

Der Urlauber

Farin Urlaub wurde 1963 als Jan Ulrich Max Vetter in Westberlin geboren und ist Teil der 1982 gegründeten Punk-Band Die Ärzte.

Nach eigenen Angaben hat Farin Urlaub mehr als hundert Länder bereist. Über jene Reisen, die er nicht mit einem Bildband dokumentiert hat, bewahrt er großteils Stillschweigen. Sein Künstlername bezieht sich auf seine Leidenschaft („Fahr in den Urlaub“).

Seit 2002 ist Urlaub Kopf der zwölfköpfigen Band Farin Urlaub Racing Team. Am 18. September erscheint die erste Live-DVD, „Danger!“ Olaf Heine

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2015)

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