Kap Hoorn: Am Ende Amerikas ein ewiger Wind

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Die Drake-Straße vor Kap Hoorn – eine der gefürchtetsten Schifffahrtsrouten. Hunderte Schiffe gingen vor der Südspitze Südamerikas in Stürmen unter. Doch wir bezwangen das berüchtigte Hoorn: auf einem Segelboot.

Ich bin der Albatros,
der auf dich wartet
am Ende der Welt.


Ich bin die vergessene Seele
der toten Seeleute,
die von allen Meeren kamen
und vor Kap Hoorn kreuzten.


Doch sie starben nicht
in den tobenden Wellen.
Sie reisen heute auf meinen
Schwingen in die Ewigkeit,

mit dem letzten Aufbrausen
der antarktischen Winde.

(Sara Vial, chilenische Dichterin)


Für Segler ist's der Traum: Kap Hoorn. Und jetzt fährt die „Tari II“ um jenen berüchtigten Felsen am Nordrand der Drake-Straße zwischen Feuerland und Antarktis, vorn der Pazifik, hinten der Atlantik. Der Wind ist gnädig, bläst nicht zu stark und aus Nordost. Das bringt einen Bonus, denn so können wir Kap Hoorn glatt von Ost nach West passieren. Es ist eine der härtesten Schifffahrtsrouten der Welt, ihre Bezwingung für Segler das Äquivalent zum Mount Everest.

Wir haben's geschafft. Viele andere haben das nicht. In diesen wilden Wassern sind mindestens 800 Schiffe gesunken oder an Klippen zerschellt, für mehr als 10.000 Menschen wurden sie zum nassen Grab. Wir segeln über den größten Schiffsfriedhof der Welt.

Haben wir uns den günstigen Wind verdient? Ja! Bei der Fahrt zum Kap haben wir nämlich an Wetter und Wellen alles erlebt, was man sich nicht vorstellen mag. Manchmal kam die Frage auf, ob man nicht Ski fahren gehen sollte. Doch dann blinkte in der Ferne jäh das „Albatros“-Denkmal auf der Isla de Hornos in der Sonne. Auf der Südspitze des sechs mal zwei Kilometer großen Eilands, auf dem außer Moos und Farnen wenig wächst, ist Kap Hoorn, Südamerikas Südspitze. Sie gehört zu Chile.


Die drei vom Leuchtturm. Es gibt auf Hornos einen Leuchtturm, eine zweite Leuchtmarkierung direkt am Kap, ein Postamt, eine Wetterstation, eine Kapelle, einen Fahnenmast. Ein Trupp von drei Chilenen, meist von der Marine, hält alles in Schuss, sie werden alle drei Monate ausgetauscht. Und dann ist dieses metallene Denkmal, daneben ein Stein, auf dem das Gedicht der chilenischen Lyrikerin Sara Vial eingraviert ist. Vial (*1929) war lange eine Freundin ihres großen Dichterlandsmanns Pablo Neruda. Ich spreche ihre Zeilen leise vor mich hin. Und es kommt mir wieder fast unwirklich in den Sinn, was die Dichterin träumerisch umschreibt: Hier unter uns ist ein Seemannsmassengrab.

Es waren die Gewürze. Rückblende. Es waren die Gewürze. Sie begannen im Europa des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit eine heute kaum nachvollziehbare ökonomische, politische und soziale Rolle zu spielen. Die Erschließung einer „Gewürzroute“, eines Seewegs von Europa zu den Inseln Hinterindiens, des heutigen Indonesiens, wurde zur obersten Priorität in einer Zeit, in der man Pfeffer mit Gold aufwog.

Ein Weg führte nach Osten über den Indischen Ozean. Im Westen hielt der amerikanische Kontinent Europas Mächte vom ersehnten Ziel ab. Expedition um Expedition machte sich auf, suchte Durchfahrts- oder Umwegstrecken. Der Portugiese Ferdinand Magellan fand 1520 den nach ihm benannten Kanal zum Pazifik zwischen Südamerikas Festland und Feuerland. Vielleicht sah der Brite Francis Drake 1578 als erster Europäer Kap Hoorn: Er fuhr durch die Magellanstraße, kam in einen Sturm und kreuzte einige Tage gen Südosten.

Gesichert umrundete erst Ende Jänner 1616 der Holländer Willem Schouten das Kap: „Gegen Abend sichteten wir in Nordwest und Nordnordwest wieder Land, das gleiche Land, das südlich der Magellanstraße liegt. Es ist ein hohes, bergiges, schneebedecktes Land, es läuft zu einer Spitze aus, die wir Kap Hoorn nennen“, notierte er.

Kap der Öfen? Spanischer Irrtum!Schouten ist übrigens schuld, dass der Name das Kaps in mancherlei Sprachen falsch übersetzt wird. Auf Deutsch heißt's etwa oft „Kap Horn“, auf Englisch „Cape Horn“ – dabei hat das Ganze nichts mit einem Tier zu tun. Auf Spanisch sagt man „Cabo de Hornos“ – das heißt „Kap der Öfen“, verfehlt aber auch den Sinn. Schouten kam einfach aus der nordholländischen Stadt Hoorn. Daher der Name.

Noch lange nach der Entdeckung des Hoorns waren die Magellan-Straße und der schmalere, 1831 gefundene Beagle-Kanal im Süden Feuerlands die bevorzugten Routen, dabei sind die Strömungen ungünstiger. Für die großen stählernen Segelschiffe und Dampfer war aber später die Umfahrung des Hoorns die bessere Wahl.

Ein Maat auf dem Robbenfänger „Concord“ schrieb anno 1800: „Dieses lähmende, verdammte Wetter, das zu nichts gut ist, es macht mich bis in mein Herz krank. Ich rate niemandem, Cape Horn des Vergnügens willen aufzusuchen!“

208 Jahre später bin ich auf der Segeljacht Tari II auf dem Weg zum Hoorn, um es zum Vergnügen zu umrunden. Bisweilen denke ich an den Rat des alten Seemanns.

Beim Ablegen in Ushuaia, der argentinischen Stadt am Nordufer des Beagle-Kanals, haben wir wenig Wind und Sonne, doch mitten im Kanal beginnt es zu schneien. Stürmischer Wind veranlasst den Hafenmeister von Puerto Williams, dem chilenischen Örtchen am Südufer, den Hafen für einen Tag zu sperren. Im 30-Einwohner-Nest Puerto Toro weiter östlich müssen wir nach dem Aufwachen zehn Zentimeter Schnee vom Deck schaufeln.

Die Welt verschwindet im Nebel. Das Segeln zum letzten Ankerplatz vor dem Kap, auf der Insel Lennox, wird für den Steuermann zum Abenteuer: Nebel und Hagel lassen die Sicht auf einige Meter, gerade bis zum Bug, schrumpfen. Anders als die Mannen der Concord sitzen wir aber warm verpackt im Schiffsrumpf und genießen das aufkommende Gefühl von Zeitlosigkeit. Was ist schon Zeit am Ende der Welt?

In einem kleinen Fischerhafen liegen wir wieder fest. Micki, der Skipper, zaubert ein Krabbenmenü. Dazu Musik, argentinischer Wein. Alles spricht spanisch, deutsch, italienisch und englisch durcheinander. Alles ist okay.

Für das schlechte Wetter gibt es in der feuerländischen Inselwelt reichlich Entschädigung. Delfine spielen stundenlang um den Bug des Schiffes und versuchen einander in ihren akrobatischen Leistungen zu übertreffen. Ein Sonnenuntergang bringt die schneebedeckten Berge im Beagle-Kanal in den verschiedensten Rottönen zum Glühen. Es hinterlässt einen sprachlos.

Under the Southern Cross. Es klart auf, nachts blinkt oben der südliche Sternenhimmel mit dem „Kreuz des Südens“. Was das bedeutet, haben Crosby, Stills and Nash am besten umschrieben: „When you see the Southern Cross for the first time – you understand why you came this way.“

Je näher das Kap kommt, desto unwirtlicher, oder unwirklicher, ist die Landschaft. Schroffe Felsküsten, an denen Wellen brechen, darauf grünbraune Moose und Gräser. Sturmvögel, Kormorane, Albatrosse und Seelöwen verfolgen uns zu Wasser und in der Luft.

Auf den langen Reisen der Segelschiffe war Kap Hoorn eine kurze Etappe, die es aber in sich hatte! Folgendes sollte man sich vorstellen: Eine riesige, den Erdball umspannende Wasserfläche, in die eine kleine Felsnase ragt. Hier toben oft Stürme aus Westen, manchmal von Osten, die gewaltige Wasserberge auftürmen. Dazu starke Strömungen aus dem wärmeren Pazifik in den kälteren Atlantik, mit Gewalt schieben sich tobende Fluten durch die Drake-Straße, den aus dem Atlantik kommenden Schiffen entgegen.

An bis zu 300 Tagen im Jahr Nebel, Regen, Schneesturm, Orkan. 265 km/h Windgeschwindigkeit maß man schon. An Schönwettertagen gibt sich die rumplige Wetterwaschküche aber ruhig, sanft, ja lieblich. Derlei Momente sind aber extrem selten. Eine alte Seemannsweisheit lautet denn auch: „Wenn du alt werden willst, meide Kap Hoorn und raffe rechtzeitig die Segel.“ Auch den Rat habe ich nicht beachtet, und so ist ausgerechnet mein Geburtstag der ersehnte „Hoorn-Tag“.

Wir packen das Hoorn! Aber das bringt uns anscheinend Glück: Auf einmal Sonne, der Wind dreht auf eine hier ungewöhnliche Nordostrichtung. Wir packen das Hoorn von Ost nach West! Und dann ist endlich die Südspitze der Isla Hornos da. Das Ende der (amerikanischen) Welt. Kaum zu glauben, dass auf einigen Inseln hier bis ins 19. Jahrhundert noch kaum bekleidete Indianer, die Yámanas, gelebt haben.

Alle verteilen sich plötzlich übers Schiff, jeder hängt seinen Gedanken nach. Der Mount Everest für Segler ist bezwungen. Über das dafür zuständige Gefühl muss ich mir erst klar werden. Die vielen Bücher, die ich darüber gelesen habe, gehen mir im Kopf herum. Ich denke an die Seefahrer, die hier ihr Leben ließen. Der Skipper bringt es auf den Punkt: „It's a big thing to sail here.“

Ich hab mich in den Wanten an Steuerbord eingehängt, mit Blick aufs Hoorn. Übermütig fliegt das Schiff übers Wasser. Die eine oder andere Welle schlägt über den Bug. Ich werde nass, mir ist kalt, trotzdem genieße ich diesen Augenblick mit allen Sinnen. Ich zittere vor Kälte und Glück.

Viel zu schnell ist der eine Moment vorüber, der der höchste eines Seglerlebens ist. Das Hoorn vergeht im Osten, das Boot verlässt die gefährliche Drake-Straße und taucht ins Inselgewirr Feuerlands ein. Manch einer wischt verstohlen eine Träne weg. Das hat natürlich keiner gesehen.

Zerschellt. Gekentert. Entmastet. Für die alten Seefahrer konnte der Mythos Kap Hoorn jäh zum Alptraum werden. Viele Schiffe strandeten auf Riffen, wurden durch Stürme entmastet, kenterten oder krachten in Eisberge.

Seit der Zeit des Goldrauschs in Kalifornien um 1850, als Glücksritter aus Europa auf schnellstem Weg mit Schiffen über Kap Hoorn nach Kalifornien fuhren, vergleicht man die Zeit, die ein Schiff braucht, um vom 50. südlichen Breitengrad vor Südamerika ums Kap auf 50° Süd auf der anderen Seite zu gelangen. Den Rekord stellte 1938 der deutsche Viermaster „Priwall“ auf: fünf Tage, 14 Stunden. Es kann aber auch etwas länger dauern: Die „Susanna“, ebenfalls ein deutscher Segelfrachter, brauchte 1905 dazu 99 Tage.

Überhaupt haben viele Kapitäne (etwa 1788 William Bligh von der „Bounty“, gegen den später gemeutert wurde) hier aufgegeben und liefen Amerikas Pazifikküste lieber im großen Bogen um die ganze Welt „von unten her“ über Südafrika und Australien an.

Viel ist hier nicht mehr los. Im Jahr 1905 sanken 53 von 130 Großsegelschiffen, die an Kap Hoorn vorbeiwollten. Nach der Öffnung des Panamakanals 1914 und transkontinentaler Überlandwege durch Amerika ging die Bedeutung der Route stark zurück. Bisweilen fahren noch Tanker, Kreuzfahrtschiffe und Flugzeugträger durch; als regelmäßige Schifffahrtsroute hat die Drake-Straße aber ausgedient.

Als letztes großes Schiff sank hier 1938 das Hamburger Schulschiff „Admiral Karfanger“ mit 60 Mann Besatzung.

Auch ihre Seelen reisten auf den Schwingen des Albatros mit den arktischen Winden in die Ewigkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2009)

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