Reisemesse: Erfahrungen ja, aber bitte abgesichert

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„Natur reloaded“, Abenteuer im „gesicherten Raum“ sind die neuesten Trends, die der Reisesalon nächste Woche in der Wiener Hofburg zeigt.

Wie baue ich in nur elf Stunden ein seetaugliches Kanu? Wer sind die Big Five der heimischen Tierwelt? Wie hacke ich Holz? „Walden“, „die Zeitschrift, auf die Männer gewartet haben“, erscheint seit Mai 2015 im Verlag Gruner & Jahr und widmet solchen Themen etwa 140 Seiten. Sie richtet sich an Natur-Enthusiasten, stillt die Sehnsucht nach Wildnis und setzt ideell die Klammer über gleich mehrere Trends. „Natur reloaded“ ist einer von ihnen. Einen Tag allein im Wald verbringen, sich von Spitzenköchen mit Moos und Beeren verköstigen lassen, unter Baumwipfeln nächtigen. Angebote wie diese lassen die Pfadfinder in uns wieder aufleben. Die Erkenntnis daraus: Sonne und Pool allein reichen nicht mehr aus, um im Urlaub glücklich zu sein.

Selbst wenn die Entwicklung für den Welttourismus positiv verläuft – der World Travel Monitor prognostiziert für 2016 ein weltweites Wachstum im Tourismus um 4,3 Prozent –, verliert das Reiseziel an Bedeutung, stehen Erlebnisse im Vordergrund. „Normtrotter“ nennt es das Zukunftsinstitut in Frankfurt und meint damit jene Traveller, die das suchen, was vormals Rucksacktouristen und Abenteurern vorbehalten war. Allerdings sind ihre Ansprüche andere. „Echte Individualität war gestern“ heißt es da, „zumindest die anstrengende Version.“ Die Sehnsucht nach dem Besonderen bleibt, sie mit Komfort und Sicherheit zu verknüpfen, ist Sache der Veranstalter.

„Der Trend geht in Richtung kleinere Unternehmen mit Fokus auf individuell zugeschnittene Angebote für den einzelnen Kunden“, sagt Christine Neumeister-Böck, die heuer bereits zum vierten Mal den Reisesalon in der Wiener Hofburg veranstaltet. Der facettenreiche Mix aus 135 Ausstellern – Destinationen, Hotels, Veranstalter, Airlines – spiegelt gut aktuelle Tendenzen wider. Die auffälligste unter ihnen: Der Globetrotter von heute setzt auf Abenteuer, aber im gesicherten Raum. Er will Individualität, gibt aber gern die Verantwortung für Planung und Organisation ab. Er wünscht sich intensives Erleben, auch wenn sein Zeitbudget noch so knapp ist.

Trendziele Äthiopien, Iran

Und wo zieht es ihn hin? „Äthiopien“, sagt Christine Neumeister-Böck. Die Geschichte des Landes reiche bis ins neunte Jahrhundert vor Christus zurück. Vielerorts seien Fundamente der menschlichen Entstehungsgeschichte zu bestaunen. Außerdem beherberge Äthiopien zahlreiche Unesco-Welterbstätten. Es sei unter 31 Mitbewerbern vom „European Council on Tourism and Trade“ als „Bestes Reiseziel der Welt für 2015“ gewählt worden und mit Ethiopian Airlines ab Wien mit modernsten Flugzeugen bequem erreichbar.

„Auf der Fernstrecke ist der Iran extrem gefragt“, sagt Ilic Frano von Studiosus Reisen. Ein absolutes „Trendziel“ bestätigt Harald Golda vom Akademischen Reisedienst in Wien. „Kuba“ wirft Elisabeth Kneissl-Neumayer von Kneissl Touristik ein: „Alle wollen hin, bevor die Amis kommen.“ Und natürlich das südliche Afrika: Stammesrituale, Wildbeobachtungsfahrten in den Nationalparks, Aktivreisen seien im Trend: „Die Region ist politisch unproblematisch, und durch die Abwertung des südafrikanischen Rand können wir gute Preise anbieten.“

Apropos Südafrika: Der deutsche Veranstalter Lernidee Reisen hat 2015 einen Sonderzug gechartert, der von Kapstadt bis Windhoek verkehrt und nachts weite Strecken zurücklegt, was den Reisenden erlaubt, an einem Tag über die Sanddünen von Sossusvlei zu stapfen und am nächsten bereits auf Löwenpirsch zu gehen im Etoscha-Nationalpark. Starkes Zugpferd beim Afrika- und Australien-Spezialisten Jedek Reisen sind Tierbeobachtungen im afrikanischen Busch oder Fahrten ins australische Outback in Begleitung ortskundiger Ranger.

Dem Bedürfnis nach Wildnis werden aber genauso gut die Magic Moments gerecht, die seit diesem Sommer das lange auf Sonne und See reduzierte Kärnten erlebbar machen. Der Alpe Adria Trail etwa gehört genauso dazu wie „Tierbeobachtung im Nationalpark“ oder „Sonnenaufgangswanderung in den Nockbergen“.

Ob in Europa oder Übersee – Nachhaltigkeit bleibt ein Thema. Trendziel für viele Ökos ist Costa Rica, eines der an Biodiversität reichsten Länder der Welt, wo man schon seit Langem auf Öko-Lodges und sanften Tourismus setzt. Derzeit beträgt der Anteil an Ökostrom in dem zentralamerikanischen Staat 94 Prozent, die Regierung hat angekündigt, die Energieversorgung bis 2021 zu 100 Prozent klimaneutral gestalten zu wollen. Nicht selten sind auch kulinarische Erlebnisse Vorboten neuer Reisetrends. Mit Quinoa und pulverisierter Maca-Wurzel, die wir Europäerinnen in unsere Supersmoothies tun, steige auch das Interesse für die Kultur der Anden, erklärt Anja Kirig, Autorin des „Tourismus Reports 2015“, herausgegeben vom Zukunftsinstitut Frankfurt.

40 Prozent Pauschalreisen

Zu den „einzigartigen Erfahrungen im abgesicherten Modus“ gehörten seit Kurzem auch die sogenannten „kleinen Urlaubsländer“: Destinationen, „die lange nicht gar so angesagt waren“, sagt Kneissl-Neumayer, werden jetzt neu entdeckt. Katalonien etwa, und da wiederum die Pyrenäen und dort das Ebro-Delta, eine in Europa einzigartige Landschaft. Genauso wie der Alentejo in Portugal. Oder die Extremadura mit ihren Kulturschätzen.

Seit zehn Jahren schon versuche sie, diese Destinationen zu forcieren. Jetzt sei die Zeit gekommen: „Europa zieht Kulturreisende an, die auf Nordafrika wegen der politischen Lage verzichten.“ Die Fremde bzw. Exotik vor der Haustür – Länder wie der Kosovo, Albanien oder Mazedonien – sei angesichts der Krisen im arabischen Raum auf einmal mehr gefragt.

Das gleiche gilt für Kreuzfahrten, die, so der „Tourismus Report 2015“, Komfort, Pauschalangebote und einen hohen Grad an Individualisierung vereinen. „Einerseits vermitteln sie das Gefühl einzigartiger Erlebnisse, gleichzeitig bieten sie Sicherheit und eine Ebene zur gemeinsamen Identifikation: Jeder macht das Gleiche, bekundet aber seine Individualität durch die Wahl einzelner Programmpunkte bzw. Aktivitäten.“ Die vom Deutschen Reiseverband (DRV) veröffentlichten „Fakten und Zahlen 2013“ belegen, dass Komfort bei der Urlaubsplanung immer noch wichtiger ist als do it yourself. Von 70,7 Millionen in Deutschland gebuchten Reisen waren 2013 mehr als 40 Prozent Pauschal- und Bausteinreisen, die mit Hilfe von Reiseveranstaltern und Reisebüros organisiert wurden.

Neue Dimension von Wellness

Spielraum für Individualität findet sich natürlich auch in den Hotels. Beim Reisesalon vertreten sind die Naturidyll Hotels – von Eigentümerfamilien geführt, liegen sie in idyllischer Landschaft, tragen das Umweltzeichen und bieten schwerpunktmäßig Gartenurlaub, Urlaub mit Hund und/oder vegetarische bzw. vegane Kost. Zimmer mit Mehrwert – auf dieser Klaviatur spielt das Hotel Hochschober seit den 1970er-Jahren. Damals hat man begonnen, mit den Gästen gemeinsam zu basteln oder wandern zu gehen. Heute sind es Persönlichkeitsentwicklung und schöngeistige Dinge, die das „Mehr“ ausmachen. Neuerdings kann man sich mit einem Coach über Spirituelles austauschen. Auch für den Südtiroler Hotelier Franz Hinteregger ist Selbsterfahrung „die neue Dimension von Wellness“. Als „erstes Hotel in den Alpen“ bietet er eine von brasilianischen Indios geleitete Schwitzhütte an. Ob Barbara Štern den „Tourismus Report“ des Zukunftsinstituts gelesen hat, bleibt dahingestellt, ihr 3-Generationen-Bauernhof Pri Kovačniku bei Maribor trifft jedenfalls haargenau einen weiteren Trend: Omas Modell für den Ausstieg auf Zeit. Was für Barbara ganz normal ist – mit den Gästen Brot backen, Marmelade einkochen, Kräuter trocknen, Schwammerln suchen, Saft pressen, Tiere füttern, nennen die Trendscouts „Hyperlokalität“. Mehr als um das Konsumieren regionaler Produkte ginge es um Identifikation, Mitmachen, um das Sammeln von Insiderwissen. Rund um den Hof erstrecken sich die Wälder des Pohorje-Gebirges, und wer beim Baumfällen mit Barbaras Mann Danilo zupacken will, ist willkommen, auch wenn in „Walden“ noch keine Anleitung dazu erschienen ist.

Tipp: Reisesalon, 20.–22 Nov., Wiener Hofburg, 14 € (Tageskasse), freier Eintritt zur Photo-Adventure (21./22. 11. Messe Wien), Fr. Fachbesuchertag, Sa 10–18, So 10–17 Uhr. reisesalon.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2015)

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