Fisch muss stehen, Schiff muss liegen

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VIETNAM-LIFESTYLE-MINORITY-FARMING(c) APA/AFP/HOANG DINH NAM
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Vietnam. Die Menschen im Mekongdelta leben auf dem Wasser und dem Land und arbeiten hart. Ein besseres Leben bleibt meist ein Traum. Ihre amphibische Heimat ist ein riesiger tropischer Garten – und bedroht.

Ebbe im südchinesischen Meer. Sechzig Kilometer davon entfernt liegt unser Kahn im Mekongdelta – und alles Wasser strömt zur See. Hier, in einem der zahllosen Arme des Riesenstroms, ist es nun so seicht, dass die Schiffe nicht weiterkommen. Auf dem Lastkahn vor uns stickt eine Frau an einer Decke, in einer Hängematte döst der Käpt'n. Als das Wasser langsam steigt, tuckert der Gegenverkehr wie in Zeitlupe vorbei. Die erste Bootsmannschaft grüßt herüber, die Reisschnapspause ist beendet.

Bis zur Hüfte watet eine Vietnamesin durchs braune Nass. Immer wieder einmal bückt sie sich und entnimmt einem Fuß eine Garnele. Sie erfühlt das Tier unter der Fußsohle und klaubt es blitzschnell mit den Zehen auf. Ihr Abendessen ist gesichert. „Wer hier geboren ist, kann das“, sagt Hien. Seine Heimat ist das Delta, obwohl er seit Jahren in Saigon lebt. Zwischen den Mündungsarmen des 4500 Kilometer langen Mekong wuchs er auf, in einem Dorf mit nicht mehr als einigen Hütten. Ein Dorf wie dieses. Immer schmaler wurden die Wasserwege hierher, immer dichter das Grün der Ufer, kaum auszumachen sind Häuser und Hütten im Bambusdickicht. Am morschen Bootsanleger verkauft eine junge Frau Reiscrêpes, heiser preist ein Mann Lotterielose an, Hähne krähen, und über Dächern aus Blech lodern Blütenfeuer von Bougainvilleen.

Reisschnaps & Schlangenwein

Darunter glühen Feuer von Kokosschalen in gemauerten Öfen. Es gärt in Bottichen, dampft aus Pfannen und Töpfen. Ganze Familien arbeiten so – Reispapier, Reisnudeln, Reisschnaps und Schlangenwein stellen sie her, einen langen Tag nach dem anderen, die feuchte Hitze liegt wie ein schweres Tuch auf ihnen. Behände rührt ein Halbwüchsiger eine träge Masse aus Kokosmark in der Riesenpfanne, immer wieder facht er das Feuer darunter an, fügt Durian, Ingwer, Schokolade, Kondensmilch oder Kaffee hinzu – ganz nach Geschmack. Frauen schneiden die plattgewalzte Masse in Streifen, diese in Vierecke zu Kokoskaramellen. Daneben streicht der Vater wieder und wieder hauchdünnes Reispapier auf einer heißen Platte glatt, die Mutter hebt sie vorsichtig mit einer Bambusform empor zum Trocknen in die Sonne. Zu Frühlingsrollen werden sie später, zu Reisnudeln, Teigtaschen. Am Ende des Monats wird jeder 110 Dollar verdient haben.

Von der Hoffnung auf ein besseres Leben bleibt da nicht viel. Man schuftet, kauft Lose wie verrückt, trinkt sich das Dasein mit Reisschnaps schön, Männer setzen bei Poker und Hahnenkampf die Haushaltskasse aufs Spiel, meist alles, was sie haben. Und dann gibt es dieses andere Vietnam – das des süßen Lebens in Hanoi und Saigon. Wo Gucci-Taschen wie Trophäen durch die Stadt getragen werden, neueste deutsche Luxuskarossen die Boulevards schmücken und Nachtklubs, Malls und Designerläden die Spielplätze der neuen Reichen sind.

Reisschüssel der Nation

Mit Vietnam ist das so eine Sache. Da war und ist die Herrschaft der einen Partei, da waren und sind Vergesellschaftung von Produktionsmitteln und kollektive Landwirtschaft, die das eigene Volk längst nicht mehr ernähren konnte. Da fiel 1986 Doi Moi aus dem kommunistischen Ideenhimmel: die marktwirtschaftliche Runderneuerung – Turbokapitalismus wurde sie im Kommunismus. Das fruchtete zuerst in der Landwirtschaft. Im Delta wurde Bauern Boden überlassen, als Erbpacht bis zu fünfzig Jahre, eingetragen im Grundbuch. Menschen mussten die Erträge ihrer Arbeit nun nicht mehr dem Kollektiv abliefern, bald sicherte diese Reisschüssel der Nation dem Volk volle Mägen und eine Karriere zum zweitgrößten Reisexporteur weltweit.

Als wir von Saigon aus in das Delta eintauchen, glitzern die Reisfelder in der Morgensonne. Bauern hocken da und arbeiten, Wasserbüffel käuen wieder. Bananenpflanzen, Mangobäume, Kokospalmen... alles steht voll und grün im Saft, Häuser und Häuschen dazwischen und immer wieder hohe steinerne Gräber jener Familien, die diese Felder bestellen, eine Landnahme. Keine Regierung rührte solch einen Friedhof an. Das verriete die Ahnen und ist schlecht für das Karma, denn dann verraten einen Kinder und Kindeskinder.

Ku Long, Neun-Drachen-Distrikt, nennen sie das Delta – mit neun Armen ergießt sich der Mekong ins Meer. Es ist halb so groß wie Österreich, aus Sediment entstanden, das der Fluss aus dem Himalaya heranschafft und hier ablagert, ein Labyrinth aus Kanälen, Inseln, Sumpf und Mangrovenwäldern. Sinnbild von Kraft und Dynamik ist der Drache und hier das grüne Treibhaus Vietnams. Überall wird gewerkelt, gesät, geerntet, gefischt, auf Feldern, in winzigen Gärten, in den Fluten des Stroms.

Auf dem Hau Giang, dem weiten Südarm, tuckert unser Motorboot in aller Früh dahin. In Werkstätten am Ufer spitzen Männer mächtige Hölzer an, um sie tief in den Grund zu rammen und die Inseln vor Erosion zu bewahren. Jeder Meter zählt – und der Kampf wird härter. Die neuen Dämme in China rauben dem Mekong Kraft. Rund 150 weitere große Wasserkraftwerke in seinem Einzugsbereich sind geplant oder in Bau. Weniger Wasser führt er schon jetzt, weniger Sediment. So dringt das Meer bei Flut zehn Kilometer in das Delta ein, vor ein paar Jahren waren es noch fünf. Mit ihm kommt das Salz, es wird die Erde weniger fruchtbar machen. Es schaut nicht gut aus für das Schwemmland und seine Menschen.

Schwimmende Fischfarmen

Auf Stelzen säumen Hütten aus Bambus und Wellblech die Ufer, grüne Teppiche von Wasserhyazinthen treiben vorüber und schwimmende Fischfarmen voller fetter Welse für den Export. Frauen schrubben Wäsche in den braunen Fluten, Fähren voller Menschen queren sie, und immer mehr Schiffe tummeln sich nun auf dem Wasser: Das ist der Markt von Cai Rang, der größte im Delta. Schwimmende Lagerhäuser sind dabei, auf denen ganze Sippen leben, Handel treiben, gebären und sterben. Bis zu sechzig Jahre trotzen die Schiffsfossilien der feuchten Hitze, der gleißenden Sonne, dem peitschenden Monsun. „Sie sind Teil der Familie. Mit den Augen am Bug besänftigen wir die Wassergeister, die für eine sichere Reise und ein gutes Geschäft sorgen sollen“, sagt ein alter Mann, der seinen Kahn voller Melonen vorsichtig manövriert. In einem fort gleiten Schiffe und Boote vorbei, klapperdürre Bauern mit Kähnen voller Ananas, Zwiebeln, Kürbis, Kohl, von einem Zwischenhändler zum anderen, um den besten Preis zu erzielen, und – geht alles gut – mit dicken Dongbündeln heimzukehren. Bis unter die letzte Planke sind die schwimmenden Lagerhäuser gefüllt, auch an Deck stapelt sich die Ware. An hohen Bambusstangen zeigen sie, was sie anbieten: Da steckt ein Kohlkopf an der Spitze, manche flaggen Melone, Zwiebelbünde... So sehen die Endhändler, wo sie bekommen, was ihre Kunden brauchen.

Aus Kähnen wie Nussschalen verkaufen Frauen dampfende Nudelsuppen. Unter ihren konischen Hüten kann man die Gesichter kaum sehen, kein Kunde aber entgeht ihnen, kein Dong. Auf den großen Pötten wird selbst gekocht. Familien sitzen um gegrillten Elefantenohrfisch, der in einem Gestell senkrecht serviert wird – senkrecht, so wie ein Schiff im Wasser liegen soll. Den Fisch auf den Teller legen? Niemals. Das wäre ein ganz schlechtes Omen. Dann könnte das Schiff kippen und Unheil hereinbrechen.

Der gute Onkel Ho

Am Abend sitzen wir auf einer Dachterrasse in einer anderen Welt. Can Tho ist die freundliche Metropole des Deltas. Hier kellnert Sang im L'Escale, dem Gourmetrestaurant der Region. Der angehende Elektroingenieur zeigt uns, wie man Banh Xeo, das Nationalgericht des Südens, isst. Elegant nimmt er ein fast durchsichtiges Reispapier, legt mit Stäbchen Salat und Kräuter hinein, dazu nimmt er von der zartknusprigen Reiscrêpe etwas Füllung – Garnelen, Schweinernes, Sojasprossen und Pilze. Rollt es zusammen und reicht uns das Fingerfood. In einen pikanten Dip getunkt schmeckt es köstlich. Unten im Park am Strom schimmert im Licht der Laternen Ho Chi Minh als riesige Skulptur. Familien spazieren umher, immer wieder zeigen Eltern ihren Kleinen den guten Onkel Ho. Da steht er. Für seine Idee eines Vietnam, das es wohl immer nur als Ideal gab.

IN DER REISSCHÜSSEL


Infos:
www.vietnamtourism.com

www.indochina-services.com

www.diethelm-travel.com

aktuelle Reisehinweise:

www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation

Visum für österreichische Staatsbürger bei: Vietnamesische Botschaft

Felix-Mottl-Straße 20

1190 Wien, 01/368 07 55-10

embassy.vietnam@aon.at

Die Visumabfertigung in Saigon kann bis zu drei Stunden dauern.


Flug
ab Wien nach Ho Chi Minh City (Saigon) z. B. mit Air France und Vietnam Airlines via Paris, Charles-de-Gaulle, return ca. 900 €

bb Bangkok Don Mueang Airport nach Ho Chi Minh City ( Saigon ) mit Vietnam Airlines ca. 117 € return

Landeswährung: Dong, 1 € = 25 Dong


Unterkünfte.
Nam Bô Boutique Hotel, Can Tho,
zentral gelegen im Delta und in der Deltametropole, nahe Nachtmarkt. Zeitgemäße geräumige Zimmer mit ortstypischem Touch, zwei Restaurants. Zuvorkommendes Service, sehr gutes Frühstück. nambocantho.com

Victoria Can Tho Resort, Can Tho,

luftige, komfortable Hotelanlage um einen großen Pool, umgeben von Gärten am Mekong. victoriahotels.asia


Speisen.
Vietnams französisches Kolonialerbe kann man sich bis heute auf der Zunge zergehen lassen. Die vietnamesische Küche, meist frisch, oft mit vielen Kräutern zubereitet, kann pikant sein. Verglichen mit der thailändischen ist sie mild.

Tischzeiten etwa wie in Mitteleuropa

L'Escale im Nam Bô Boutique Hotel

Die Adresse für Feinschmecker in Can Tho und weit darüber hinaus. Köstliche vietnamesische und gute französische Küche auf der Dachterrasse.

Can Tho Nachtmarkt mit Street Food für kleines Geld. Die Preise für gastronomische Leistungen, abgesehen von Street Food, sind in Vietnam generell hoch, verglichen etwa mit Thailand.


Beste Reisezeit:
November bis April

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2016)

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