Aserbeidschan: Märtyrer und Magnaten

Baku
Baku(c) Wikipedia
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Die Hauptstadt der autoritär regierten Kaukasusrepublik ist eine bezaubernde Mischung von europäischen und nahöstlichen Einflüssen. In Baku faszinieren die mittelalterliche Altstadt, zahlreiche Ölmagnaten-Paläste aus dem 19. Jahrhundert, blühende Gärten – und berührende Denkmäler.

Das Risiko, sich zu verirren, lauert an jeder Ecke. In den engen, labyrinthartigen Gassen der Altstadt Bakus findet man hier eine halb versteckte geheimnisvolle Moschee, da türmt sich ein Minarett auf. Die jahrhundertealten Häuser schimmern in verschiedenen Schattierungen von Ocker, mit frühen Abendschatten, die sich über die Fassaden heranschleichen. Raue Backsteinmauern strahlen noch die Hitze des Tages ab, während die letzten Sonnenstrahlen die Dächer in warmem Orange erglühen lassen.

Die Dämmerung ist die beste Zeit für einen Spaziergang. Dafür sollte man aber einen guten Stadtplan zur Hand haben. Die gepflasterten Straßen sind dafür bekannt, unerwartete Wendungen zu nehmen. Die ersten Sterne schimmern am Himmel über dem Kaspischen Meer, als plötzlich ein merkwürdiger Schattenriss erscheint. Hoch und fensterlos ragt der Jungfrauenturm 29 Meter in den Himmel. Er ist eines der wichtigsten nationalen Symbole. Der Turm gilt als der Big Ben von Baku, das Wahrzeichen der Stadt stammt aus dem zwölften Jahrhundert.

Zusammen mit der Stadtmauer, die den größten Teil der Altstadt bis heute umgürtet, war der Turm ein Teil der Befestigungsanlagen von Baku. Im Lauf der Geschichte versuchten die Einwohner der Stadt, sich gegen persische, russische und osmanische Invasionen mit unterschiedlichem Erfolg zu verteidigen. Die Altstadt von Baku ist auch die Kulisse für Kurban Saids berühmten Roman „Ali und Nino“. Dieses Nationalepos gibt einen ergreifenden Einblick in die Geschichte der aserbaidschanischen Kultur. Es ist ein faszinierender Bericht über Baku am Vorabend der Russischen Revolution von 1917.

Muslim liebt Christin

Der Plot: Junger aserbaidschanischer Adeliger und Muslim liebt eine christliche georgische Prinzessin. Im Lauf des Romans nimmt der Leser Baku als einen Ort wahr, an dem Ost und West zusammenstoßen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts wird die Stadt als Schmelztiegel von verschiedensten Traditionen und Lebensweisen porträtiert, eine Gesellschaft, die vor großen Veränderungen steht, als die Bolschewiki 1920 nach Aserbaidschan kommen, um das Land zu einer sowjetischen sozialistischen Republik zu machen. Die Jahrzehnte vor diesem Schicksalsjahr waren die Zeit des ersten Ölbooms Aserbaidschans. Im späten 19. Jahrhundert produzierten die Felder vor den Toren Bakus mehr als 50 Prozent des weltweiten Angebots – ausländische Magnaten strömten in Scharen nach Baku, um vom Ölgeschäft zu profitieren, darunter Mitglieder des Rothschild-Clans und die schwedischen Nobel-Brüder.

Direkt neben dem Jungfrauenturm wird genau diese Stadtgeschichte durch die Residenz von Ölbaron Isa Bey Hajinski aus dem Jahr 1912 repräsentiert. Seine überreich verzierte Fassade ist eine merkwürdige Mischung aus Jugendstil und Neugotik, Horden von Fabelwesen wirbeln auf fünf Stockwerken über den Köpfen der Passanten herum. Die Ölbarone versuchten, sich gegenseitig zu übertreffen, indem sie immer verschwenderischere Villen errichteten. Neben der Residenz Hajinski gibt es heute noch zahlreiche Magnatenvillen und stellen attraktive Sehenswürdigkeiten dar.

Nationale Traumata

Eine Fahrt mit der Standseilbahn auf den Hügel von Baku offenbart, was die aserbaidschanische nationale Psyche in den vergangenen Jahrzehnten geprägt hat. Shahidlar Khiyabani, die Märtyrerallee, bietet einen tollen Blick über die Stadt und das Kaspische Meer, doch die meisten Menschen kommen hierher, um jener Aserbaidschani zu gedenken, die ihr Leben in den Ereignissen des Schwarzen Januar verloren – dem brutalen Vorgehen der Roten Armee gegen Demonstranten im Jahr 1990 – und der Opfer des Krieges mit Erzfeind Armenien zwischen 1988 und 1994. Die Märytrerallee ist Gedenkstätte und Friedhof, 15.000 Menschen haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden. Eine lange Reihe von Grabsteinen in schwarzem Marmor, mit schönen und unschuldig aussehenden Gesichtern der Toten beeindruckt nachhaltig.

Die Linie von Gräbern führt zu einer großen ewigen Flamme. Dahinter zeigen sich die Konturen einer Schulklasse, ein wenig unscharf durch die wabernde Wärme der Flamme, eine Lehrerin gestikuliert und erklärt. Unter der kapellenartigen Struktur, die diesen gelben und orangefarbenen Geist beherbergt, werden die Kinder stiller und aufmerksam. Wie hypnotisiert starren sie in das mäandernde Feuer.

Beim Lesen der Gesichtsausdrücke in diesem jungen Publikum und mit dem Gefühl der Wärme von der Flamme auf der Haut, fängt man langsam an, die Tiefe dieser nationalen Traumata zu begreifen und dass die bitteren Feindschaften im Kaukasus keineswegs vergessen sind.

DURCH DIE ALTSTADT UND AUF DEN MÄRTYRERHÜGEL

Anreise: Wien–Baku–Wien u. a. mit Ukraine International Air über Kiew ab 286 € (Flüge 2./9. 4. 2016; flyuia.com) oder mit Turkish Airlines ab 292 € (Flüge 2./9. 4. 2016; turkishairlines.com).

Schlafen: Fairmont Baku Flame Towers, futuristisches Fünfsternehotel in einem der drei futuristischen „Flammen“-Skyscraper in Baku. DZ ab 250 €, fairmont.de/baku
Icheri Sheher Hotel: gepflegtes Altstadthotel, DZ ab 100 €, icheri-sheher. az/de
Trinken: Es gibt viele Teehäuser im Freien, die Tee und Süßigkeiten servieren.

Essen: Die aserbaidschanische Küche ist sehr vielfältig. Im Restaurant Mugam Club kann man das einheimische Essen probieren. facebook.com/Mugham-Club-311430205620759/

Panorama:
Beste Aussichten vom Märtyrerhügel, auf den eine Standseilbahn führt.

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