Marokko: Sterne, Ingwer und Peeling für die Füß'

(c) APA/AFP/KARIM SAHIB
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Wüstentrekking – das bedeutet sechs Stunden täglich marschieren – barfuß über den Sand, beschuht über Lehmboden. Untertags beeindrucken die Dünen und Felsen, in der Nacht die Myriaden funkelnder Sterne – und die ganze Zeit über: die Süße der Tees und die Gastfreundschaft der Berber.

Die Gruppe erreicht das Camp in der Nacht. Der Sand knirscht unter den Füßen, manchen rinnt er schon in die Schuhe. Ein Vorgeschmack auf die kommenden Tage. Nur wenige haben ihre Stirnlampen eingeschaltet, der Rest versucht, nicht zu stolpern, vor lauter Kopfverdrehen und Die-vielen-Sterne-am-Himmel-Bewundern. Am hellsten schimmert Orion, der Himmelsjäger. Seine drei Gürtelsterne werden die Gruppe in den nächsten vier Tagen ständig begleiten.

Als die Gruppe das Camp erreicht, geht der Mond als rote Scheibe hinter den Dünen auf. Das Camp besteht aus einem Gemeinschafts- und einem Küchenzelt, in dem Ibrahim, der Berber-Chefkoch, auf einem Gaskocher Fencheltee und Luisa, den landestypischen Zitronenkrauttee, zubereitet. Ab jetzt wird Teetrinken den Tag strukturieren. Morgens, mittags, nachmittags und abends. Das Nachtlager sind Schlafsäcke auf Schaumstoffmatten im Sand. Die Gruppe besteht aus 16 Touristen, zwischen 28 und über 60 Jahre alt. Dazu kommt die Berber-Crew, die Gastgeber und Helfer. Die Berber sind die ursprünglichen Einwohner Marokkos, rund 40 Prozent der Marokkaner wachsen noch mit Berberisch, Tamazight, als Muttersprache auf.

Tourguide Lahoucine, 44, ist stolz auf seine Sprache, spricht aber auch fließend Deutsch. Er kommt aus einem Bergdorf im Hohen Atlas und ist mit einer Schweizerin verheiratet. Sein Neffe Omar (28), der zweite Guide, spricht ebenfalls Deutsch, weiters fließend Spanisch, Arabisch, Französisch und eben Berberisch. Abgesehen von Ibrahim, dem Chefkoch, und seinem Helfer gehören noch die Dromedarführer und ihre elf Tiere zur Crew. Einige der Führer ziehen nach alter Tradition als Nomaden oder Halbnomaden durch das Land.

Vier Tage dauert die Wanderung durch die Sahara. Jeden Tag ist man sechs Stunden lang unterwegs. Jetzt im Winter ist die beste Zeit dafür: Skorpione, Horn- und Sandvipern sind in die Winterstarre verfallen. Auch die großen Fliegenschwärme gibt es nicht. Die Hitze, 30 bis 35 Grad, ist gut zu ertragen. Wüstentrekking wird in Marokko seit Jahren angeboten. Zwar hat das österreichische Außenministerium eine partielle Reisewarnung für Marokko ausgegeben, Touristen seien dort aber noch nie entführt worden, betonen die Marokkaner und Reiseveranstalter.

Kreuzkümmel, Zitronenkraut

Der Tag beginnt, bevor die Sonne richtig aufgegangen ist. Das Wechseln von warmer Jogginghose in leichtes Wanderoutfit ist gewöhnungsbedürftig. In der Nacht hat es nur ein paar Grad über null – die neu gekaufte Wärmeflasche ist jeden Cent wert. Das Camp liegt mitten in den Dünen, die sich mit der aufgehenden Sonne rotbraun färben. Neben den Zelten weiden die Dromedare, der Wind trägt ihren Geruch ins Camp. Im kleinen Küchenzelt hat Ibrahim schon Müsli aus frischen Äpfeln, Orangen, Getreideflocken und viel Zimt zubereitet. Dazu gibt es Luisa, Minz- und Fencheltee.

Die Wanderung beginnt auf ausgedörrtem Lehmboden, dessen Oberfläche mit einem leisen Knacken einbricht, wenn man darauf tritt. Spuren, Spuren, Spuren – sie sind die Währung in der Wüste. An sie soll sich jeder halten, wenn er die Gruppe hinter einer Düne aus den Augen verliert. Der Boden ist eben, das Gehen fällt leicht. Lehmboden wechselt sich mit Sanddünen ab, Sanddünen mit Ebenen, in denen Wüstengras und kleine Pflanzen wachsen. Immer wieder tauchen Hausruinen auf. Ihre einstigen Bewohner sind in die Städte gezogen.

Mittags wartet Ibrahim mit Couscous, gekochtem Rindfleisch und Gemüse auf. Die Trekkingküche ist dem Klima angepasst, leicht verdaulich, ein guter Mix von Kohlenhydraten, Eiweiß und Vitaminen. Eine große Rolle spielen Kräuter. Kreuzkümmel, der in jedes Gericht passt, Fenchel und Zitronenkrauttee sind gut für die Verdauung und helfen gegen Blähungen. Ein intakter Magen ist wichtig für längere Touren. Als ein paar Teilnehmer an Grippe erkranken, kochen die Berber Zwiebeltee gegen den Husten und Ingwertee zum Ausschwitzen. Die Geheimwaffe ist eine Suppe aus Knoblauch, Ingwer, Zimt, Honig und Milch. Wer zu schwach zum Wandern ist, setzt sich auf zwei Reitdromedare, die Said, einer der Dromedarführer, mitführt.

Die Kamelführer, Köche und Helfer gleichen Hochleistungssportlern. Sie sind schneller zu Fuß, kochen, packen ein und aus, während die Gruppe noch unterwegs ist. Sie sind die Ersten, die aufstehen und die Letzten, die sich schlafen legen. Einige können ein paar Brocken Deutsch, Französisch, der Rest wird unter Gelächter gestikuliert. Sie bringen den Gästen gern auch ein paar Brocken Berberisch bei. „Mir ist es wichtig, dass die Leute einen guten ersten Eindruck von Marokko gewinnen“, sagt Lahoucine. Er trägt wie die Dromedarführer eine weite Tunika und den Schesch, den Turban, den besten Schutz gegen die Sonne, ohne den vom ersten Tag an kaum jemand sein will. Lahoucine hat schon um die tausend Touristen durch die Wüsten und Berge seiner Heimat geführt, rund 60 Prozent davon Österreicher. „Viele kommen mit einem anderen Bild von Marokko heim“, sagt er. Unterdrückte Frauen, Islamismus, über alle möglichen Vorurteile, muss er aufklären.

Derzeit sind auch die Flüchtlinge ein Thema. Marokkaner haben in Europa derzeit keinen guten Ruf. „Wer arbeiten will, der hat in Marokko viele Möglichkeiten“, meint er. Er seien vor allem junge Menschen aus großen Städten, die ihr Glück in Europa versuchten. „Die Träumer, die gleich viel Geld wollen, ohne viel dafür zu tun.“ Lahoucine selbst könnte schon längst einen Schweizer Pass besitzen. „Aber es hat mich nie gereizt, nach Europa zu gehen“, sagt er. Zu sehr sei er mit seinem Land verbunden, mit seiner Freiheit, der Wüste, den Bergen, den Menschen.

Jung, wissbegierig, ehrgeizig

Dabei tut sich viel in Marokko. Wer durch das Land fährt, sieht überall Häuser und Straßen, die gebaut werden. Mit seinen 28 Jahren ist Omar die nächste Generation. Jung und wissbegierig. Bereit, etwas aus sich zu machen. Seine Fremdsprachen hat er sich selbst beigebracht. Um die dreijährige Bergführer-Ausbildung absolvieren zu dürfen, musste Omar einen Marathon laufen. Auch er hat Bekannte, die es in Europa probiert haben. „Viele wissen gar nicht, was sie erwartet“, sagt er. Seine Bekannten schufteten in Plantagen in Spanien wie Sklaven oder mussten auf der Straße schlafen, weil sie keine Unterkunft fanden. „Wenn sie scheitern, schämen sich viele zurückzukommen“, sagt Omar, der schon ein paar Mal in der Schweiz und Österreich war. Leben wolle er dort aber nicht. Zu viel Alltagsrassismus. „In der Schweiz bin ich in einer Zugfahrt dreimal kontrolliert worden. Niemand sonst“, sagt er.

Schutz vor der Sonne

Omar erzählt das, während die Gruppe barfuß durch die Dünen stapft. Der feine Sand ist wie ein Peeling für die Füße. Um zwei, drei Uhr erreicht die Hitze ihren Höhepunkt. Bis dahin gehen viele noch im Pullover oder tragen zumindest ein langes Hemd. Der Körper verträgt die Hitze besser, wenn er ganz bedeckt ist. Gegen 17 Uhr ist die Tagesetappe beendet. Dann gibt es wieder Tee – und aus dem Küchenzelt sind schon Ibrahims Kommandos zu hören. Auf den Dünen sitzend, sehen sich die meisten den Sonnenuntergang an. Danach beginnt das Trommeln.

Die Berber haben Wasserkanister zu Trommeln umfunktioniert und singen dazu. „Musik ist wichtig“, sagt Omar später. Die Lieder werden als Frage und Antwort gesungen. Sie handeln oft von Liebe, sind aber auch ein Kommunikationsmittel, wenn etwas diskutiert werden muss. Auf einer Seite sitzen die Frauen, auf der anderen die Männer. Jeder singt seinen Part. In der Wüste müssen Männer den Frauenpart übernehmen. Jeder im Camp darf mitsingen.

Davor hat einer der Berber im Sand Wüstenbrot gebacken. Das Feuer flackert noch ein bisschen, während Lahoucine die Geschichte von Ali, der Hyäne, und dem Igel, dem schlausten Tier in der Wüste, erzählt. Die Glut des Feuers wärmt noch ein bisschen, als jeder in seinen Schlafsack schlüpft. Am Himmel funkeln die Sterne, am hellsten Orion, der Himmelsjäger, unser Wächter.

Reise nach Marokko

Trekkingtouren durch die marokkanische Wüste bietet u. a. Weltweitwandern an. Der Grazer Reiseveranstalter führt jährlich etwa 400 Gäste durch die Wüste und hat zudem zahlreiche Rundreisen in Marokko im Programm. Die Reise erfolgte auf Einladung von Weltweitwandern. 0316/583 50 4-14; www.weltweitwandern.at

Anreise: Jeden Donnerstag und Sonntag fliegt FlyNiki mittlerweile direkt nach Marrakesch und retour. Return-Flüge Wien–Marokko gibt es ab 209 Euro inkl. Steuern und Gebühren sowie einem Gepäcksstück. Die Airline fliegt zudem jeden Dienstag nach Agadir am Atlantik. flyniki.com

Berbertee
Eine Handvoll Fenchel oder Zitronenkraut in einen Topf geben und mit heißem Wasser übergießen. Das Wasser noch einmal aufkochen lassen – manchmal kocht der Tee leicht über, fertig.
Zwiebeltee gegen Husten:
Eine große Zwiebel in einen Topf reiben. Dann gerade so viel Wasser hinein, dass alles bedeckt ist. Einen Teelöffel Zucker dazu. Aufkochen, zehn Minuten kochen lassen. Dann die übrige Flüssigkeit durch ein Sieb in eine Tasse gießen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2016)

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