Singapur: Rosa Blüten im Beton

Megaprojekt. Auf trocken gelegtem Land wurde ein Riesengarten errichtet.
Megaprojekt. Auf trocken gelegtem Land wurde ein Riesengarten errichtet.(c) Gardens by the Bay
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Singapur ist Asiens grünste Stadt. Schon in den Siebzigerjahren hatte Staatsgründer Lee Bepflanzungen verordnet – heute soll jedes Haus überwuchert werden.

Manche mögen Singapur nicht. Der Schriftsteller Christian Kracht hat vor einigen Jahren in der „Zeit“ eine virtuos geschriebene Vernichtung des Stadtstaats publiziert. „Genauso hätte ich tagelang in einer Einkaufspassage in Göttingen herumlungern können“, bilanziert er. Kracht, Feind der „rigiden Politik, konservativen Moral und reaktionären Ästhetik“, brach seinen Besuch frühzeitig ab und flüchtete zum Flughafen.

Man kann seine Gefühle nachvollziehen, wenn man die Orchard Street hinaufspaziert, wo sich eine Shoppingmall an die nächste reiht. Da bleibt wirklich nicht viel vom alten Asien. Dieses Land, 5,5 Millionen Einwohner, Republik und Metropole zugleich, trägt jedoch mehr in sich als das Konzept Einkaufspassage. Je länger man durch Singapur spaziert, desto klarer kriegt das Bild des geistlosen Finanzzentrums – allerdings ebenso das staatlich propagierte Bild der glücklichen Welt – den einen oder anderen Riss. Und man könnte sagen, aus den meisten dieser Risse wachsen Pflanzen.

Urwuchs. Der botanische Garten der Stadt beherbert 10.000 Arten.
Urwuchs. Der botanische Garten der Stadt beherbert 10.000 Arten.(c) Singapore Tourism Board

Anpflanztag in der tropischen Oase. Lee Kuan Yew (1923 bis 2015) steuerte 31 Jahre lang die einstige britische Kolonie, die zunächst selbst nicht wusste, ob sie lebensfähig war. Kürzlich ist der Premierminister, danach Senior Minister und Minister Mentor und zuletzt absoluter Lenker Singapurs, gestorben. Dieser Mann, unter dessen direktiver, undemokratischer Politik Chinesen, Malaien und Inder niemals aufeinander losgingen, war bei vielen Einwohnern beliebt, von den meisten respektiert. Barack Obama bezeichnete ihn anlässlich seines Ablebens als „Giganten der Geschichte“, und niemand, kein Trauergast beklagte den Demokratiemangel des Systems.

Eines steht fest: Der Vater des modernen Singapur war Visionär und Gärtner. Lee Kuan Yew ließ überall, wo irgend möglich, Bäume pflanzen – sah er doch den Preis für die Industrialisierung seines Kleinstaats, die Betonwüsten, voraus. Schon am 16. Juni 1963 pflanzte er in einem Park einen Mempat-Tree (Cratoxylum formosum, wächst imposant, trägt rosa Blüten). In der Folge ließ er sich vierzig Jahre lang am liebsten mit Schaufel und Gießkanne ablichten. Unter anderem dafür führte Lee Kuan Yew 1971 den jährlichen „Planting Day“ ein, an dem jeder Staatsbürger zur Baumpflanzung schreiten sollte: ein utopisches Singapur als Oase, „clean and green“. Und so geschah es.

Dracula fliegt. Man darf bei aller Freude am Gärtnern jedoch nicht vergessen, dass 95 Prozent des Regenwalds Singapurs vernichtet worden waren, einst von den Kautschukfarmen, gegenwärtig durch den Quadratmeterpreis in der City. 1930 wurde der letzte Tiger erlegt, heute sind nützliche Spinnenarten in Gefahr. Biologen beklagen auch in den Schutzgebieten eine fortschreitende Abnahme der Biodiversität. Das Bukit-Timah-Reservat, seit 1883 ein Waldschutzgebiet, ungefähr zwölf Kilometer vom Zentrum entfernt, dient zwar heute der Naherholung, hier findet man jedoch auch den einzigen primären Regenwald des Landes mit fast 1000 Pflanzen- und 100 Tierarten. Nachts trifft man den unheimlichen Riesengleiter oder Colugo an, katzengroß und draculaähnlich, der mit seiner Flughaut bis zu hundert Meter weit fliegen kann – von Baum zu Baum, bis zu Singapurs höchstem Punkt, auf 163 Metern Seehöhe. Der große Bruder dieses Reservats, die Singapore Botanic Gardens mit ihrem spektakulären Orchideengarten, ist gar noch zwei Jahrzehnte älter, seit Kurzem Unesco-Welterbe, und beherbergt 10.000 Spezies.

Futuristisch.  Illuminierte „Supertrees“ in den Gardens by the Bay.
Futuristisch. Illuminierte „Supertrees“ in den Gardens by the Bay.(c) Gardens by the Bay

Der Ehrgeiz des regierenden Obergärtners zielte jedoch nicht auf Artenvielfalt, er dachte in erster Linie an die Menschen. Na ja, und nebenbei noch an den Standortvorteil, den Innovation nun einmal mit sich bringt. Lee entwickelte den Ehrgeiz, den Finanzplatz und Betondschungel in die grünste Metropole der Welt zu verwandeln. Zunächst durch Bepflanzungen von Häusern, durch Gärten in oberen Stockwerken, vor allem aber durch hängende Grünflächen, sogenannte Pflanzenwände mit automatischer Zufuhr von Wasser und Düngemittel. Oberstes Gebot: kein Wildwuchs, sondern kontrollierte Natur zur Steigerung der Lebensqualität.

85 Prozent der Singapurer sind in staatlichen HDB-Wohnungen (Housing Development Board) untergebracht, einem Gemeindebausystem mit Quoten für die verschiedenen Ethnien. Der soziale Wohnbau hält penibel den Bevölkerungsschlüssel ein, Chinesen drei Viertel, Malaien ein Siebentel und Inder ein Zwölftel. Der extrem teure freie Immo-Markt ist Spielwiese für die oberen zehn Prozent. Durch den Mangel an privaten Eigentümern lässt sich eine Begrünungspolitik leichter umsetzen. Für die Anlage eines vertikalen Gartens übernimmt der Staat die Hälfte der Kosten, wodurch die Aufträge der Großgärtnereien sich verhundertfachten.

Single-Treff vor den Containern. 18 Uhr, die Abenddämmerung fällt über den East Coast Park, der, wenn auch nur mit einem Ufer, Donauinsel der Stadt. Er erstreckt sich von der Marina bis zum Changi Airport neben dem nach Shanghai zweitgrößten Hafen der Welt. Mächtige Öltanker pflügen so nahe vorbei, dass sie den Joggern förmlich an den Köpfen kleben. Die meisten Schiffe müssen zwischendurch den Anker werfen. Der Hafen macht seinen Profit nicht nur durch Beladungs- und Lösch-, sondern auch durch Stehzeiten – es herrscht chronischer Stau. Den Parkbesuchern scheinen die Schiffe gar nicht aufzufallen. Ein Grüppchen hat sich rund um einen der Barbecue-Plätze versammelt. Sie werfen sich einen Ball zu. Mit dem Ball geben sie Fragen weiter. Es sind vorwiegend Expats und Frauen, die Expats als Partner suchen – umgekehrt ist gerade niemand dabei. „Heute ist kein guter Tag, ich glaube außerdem nicht, dass diese Typen alle Singles sind“, sagt Anna Ng, Sprachstudentin, 26. Woran sie das merkt? „Sie sind zu schlagfertig. Zu schnell. Ein Expat, der wirklich eine Frau sucht, ist in erster Linie ein bisschen verzweifelt“, sagt sie. „Vielleicht sollten sie diese Single-Treffs an einen weniger sachlichen Ort verlegen.“ Für Romantik eignete sich ihrer Ansicht nach der Mount Faber Park und sein gleichnamiger Hügel mit seiner Aussicht auf Central, wo die Seilbahn auf die Insel Sentosa losfährt. Oder der Statuenpark namens Haw Par Villa, verfallen und morbid, voll von chinesischen Mythen. Früher hieß er Tiger Balm Park, weil er vom Erfinder der Verkühlungssalbe gestiftet wurde.

Hübsch. Rosa Blüte des Mempat-Baumes (Cratoxylum formosa).
Hübsch. Rosa Blüte des Mempat-Baumes (Cratoxylum formosa). (c) Singapore Tourism Board

Wachstum heißt Inselraub. Singapur hat sein Staatsgebiet inzwischen um 20 Prozent vergrößert, via Land Reclamation, aufwendigen Aufschüttungsprogrammen mit Dutzenden Millionen Tonnen Sand, um dem Meer Land abzutrotzen. Oft sind die Importe illegal, so manche unbewohnte Insel Indonesiens ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten einfach verschwunden. Wo der Sand von Fluss- und Meeresstränden geraubt wird, folgt unweigerlich eine Störung des biologischen Gleichgewichts. Malaysia erließ sein Ausfuhrverbot für Sand vor knapp zwanzig Jahren. Indonesien zog 2007 nach. Doch Korruption weicht Gesetze auf.

Die rundum positive Bilanz von Singapurs jüngstem Megaprojekt rechnet solche Kleinigkeiten nicht mit ein. Weil angesichts des Grün-Größenwahns ein Botanischer Garten nicht genügt, hat man auf reklamiertem Land neben der Marina im letzten Jahrzehnt einen zweiten, völlig irren angelegt: Gardens by the Bay. Im Zentrum eines Lehrparks stehen zwei gigantische Gewächshäuser, natürlich die größten der Welt, beide gekühlt. Flower Dome zeigt Vegetation mit Olivenbäumen, Cloud Forest jene von bis zu 3000 Metern Seehöhe, samt künstlicher Wolkenproduktion, einen noch künstlicheren Wasserfall, einen Alpengarten, ganz wie daheim. Draußen stehen bis zu 50 Meter hohe „Supertrees“. Es sind vertikal bepflanzte Stahlgerüste, einige mit Brücken verbunden, finanziert von Banken. Man rechnet mit fünf Millionen Besuchern pro Jahr. Dahinter thront das unbotanische Marina-Bay-Sands-Hotel mit dem berühmtesten Infinity-Pool der Welt. Nicht-Hotelgäste dürfen auf eine Hochterrasse, von der aus sie das Treiben der teurer Untergebrachten beobachten, abknipsen und in die sozialen Medien stellen dürfen.

Lebendig. Flaniermeile Orchard Street.
Lebendig. Flaniermeile Orchard Street.(c) Singapore Tourism Board

Angenehmer – letztlich auch grüner – ist es dann doch auf einigen der mehr als 70 Inseln des Landes. Pulau Ubin im Nordosten wird als Mountainbike-Paradies propagiert, sie gilt als Radfahrinsel, ist als solche jedoch unbrauchbar, weil es immer viel zu heiß ist und Asiaten in ihrer Freizeit kaum Rad fahren.
Doch hier kann man noch Spuren des Kampong, des ländlichen Singapur von anno dazumal, entdecken, und unberührte Flora, wie sie auf Hochhäusern schwerlich wächst. An der südöstlichen Spitze Pulau Ubins liegt der Felsenstrand Chek Jawa mit Korallenriff und Feuchtgebiet. Er geriet einige Zeit ins Visier von Immobilienentwicklern, doch das Engagement von Freiwilligen und die Tatsache, dass er Ökotourismus anzieht, scheint ihn vor der Vernichtung zu bewahren. Die Politik hat ihren Blick darauf, im neuen Singapur hat Immobilien-Wachstum nicht mehr oberste Priorität, darauf ist Verlass. Man mag Christian Krachts Pauschalablehnung zustimmen oder nicht, „Ordnung, Sauberkeit und Disziplin sind die deprimierenden Grundpfeiler dieser Gesellschaft.“

Tipp

Niedlich. Wahrzeichen Merlion als Schlüsselanhänger, souvenirs.sg
Salzig. Werden in Singapur gern geknabbert: Bee Bee Käsecracker.

Nachtsafari. Weltberühmter Zoo mit modernem und wissenschaftlichem Zugang. Als Besonderheit gibt es die Nachtzoosafari, man kommt den (wie in der Natur halt teilweise schlafenden) Tieren recht nahe; große Enttäuschung für den klassischen Touri, weil man ja nicht mit Blitz fotografieren darf. Man sieht 130 Arten, ein Drittel davon vom Aussterben bedroht. Tickets vorher im Internet sichern! zoo.com.sg

Das andere Grün. Asiatische Städte sind nicht fußgängerfreundlich, Singapur macht da keine Ausnahme. Die Ampeln springen viel zu früh auf Rot. Für ältere Leute oder aus anderen Gründen Gebremste und Gestresste gibt es eine Lösung: Menschen mit Einschränkungen und alle, die über 60 sind, erhalten die „Green Man +“-Karte, deren Barcode man an den Ampel-Druckknopf hält. Damit verlängert sich die nächste Grünphase um bis zu 13 Sekunden.

Mustafa-Centre. In der Shopping-Stadt ist ein Shoppingcenter jener Ort, an dem Inder einkaufen – und alle anderen auch. Ein Shoppingcenter wie früher, geradezu ein Warenhaus, und es führt natürlich „alles“. Gutes Kontrastprogramm zur Orchard Road et al.
145 Syed Alwi Road, Singapur 207704.

Anreise mit Singapore Airlines via Frankfurt (zwei Mal täglich) oder München (ein Mal täglich) und ab Juli auch via Düsseldorf (drei Mal wöchentlich). Singapore Airlines bietet Transitpassagieren ab sofort wieder einen Stopover-Aufenthalt in Singapur zum Preis von einem Euro p. P. an. Enthalten sind eine Ü/DZ ohne Frühstück, Flughafentransfers, der Eintritt zu 20 Touristenattraktionen und die Nutzung des Hop-on-Busses. Die Aktion gilt für Neubuchungen bis 30. April und Reisen von 1. April bis 30. Juni 2016. singaporeair.com

Hotel Jen Orchardgateway. Angenehmes, freundliches Designerhotel einer kleinen fernöstlichen Kette mitten im Shopping-Bezirk.
www.hoteljen.com

Compliance-Hinweis:
Die Reise wurde unterstützt von Sanctuary Re­­trea­ts, Singapore Airlines und Windrose Österreich.

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