Island: Wetter, ein Pluralwort

Hikers take photos of autumn leaves that is reflected in the surface of Takimi Lake on Taisetsu Mount
Hikers take photos of autumn leaves that is reflected in the surface of Takimi Lake on Taisetsu Mount(c) AP (Kota Ishikawa)
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Island gilt nicht mehr als eines der teuersten Reiseländer der Welt. Das Bier ist billiger – das Wetter aber bleibt unberechenbar.

Regina springt vor dem Zelt in die Grätsche und klatscht gleichzeitig die Hände überm Kopf zusammen wie ein Hampelmann. Sie vollführt ein Ritual, das sich ebenso bewährt hat wie die mit kochend heißem Wasser gefüllte Trinkflasche im Schlafsack. Aufwärmen vorm Schlafengehen und Trink- zu Wärmflaschen umfunktionieren, damit sich Frauenfüße nicht in Eisklumpen verwandeln, sind Tricks, die nicht nur Regina schon nach der ersten Nacht im Zelt beherrscht. Denn das Thermometer sinkt in Island abends schnell mal auf null Grad. Auch mitten im Sommer.

Unterwegs auf dem Strútsstígur, einem Fernwanderweg, der im Naturreservat Fjallabak nördlich des Gletschers Mýrdalsjökull beginnt und auf die bekannteste Trekkingroute Islands, den Laugavegur, trifft. Jeden Tag sind Etappen mit Gehzeiten von vier bis sieben Stunden zu bewältigen. Übernachtet wird in Zelten, Gepäck und Verpflegung werden transportiert.

Berge wie gemalt umgeben den idyllisch gelegenen See Alftavötn. Mein Bad darin geht als das kürzeste aller Zeiten in meine persönliche Geschichte ein: ausziehen, rein, untertauchen, raus, einseifen, rein, untertauchen, raus, trockenrubbeln, anziehen – und das in drei Minuten. Der gellende Schrei, Ausdruck meiner Neudefinition des Adjektivs „eiskalt“, war bis ins letzte Zelt zu hören.

An den Flanken der Svartahnúksfjöll, einer Kette von schwarzen, nackten Bergen, rinnen zahllose Bäche herab, gesäumt vom quietschgrünem Quellmoos, auf dem sich glitzernde Wassertropfen wie Perlen auf einem Samtkissen präsentieren. 62 Prozent der Gesamtfläche Islands sind vegetationslos. Hier auf dem Schotterflur können nur anspruchslose Polsterpflanzen überleben. Auch mit der Fauna ist es nicht weit her. Nur ein versprengtes Trio Schafe sucht das Weite, als wir uns nähern. Die Tiere verbringen den Sommer im kargen Hochland und werden erst im Herbst von den Einheimischen auf ihren Islandpferden zusammengetrieben. „Mit ihrem Zottelfell sehen sie dann aus wie Hippies“, lacht Sara, unsere isländische Führerin.

Aufsteigender Dampf kündigt eine lange Pause an. Im hintersten Winkel einer sumpfigen Talfläche entspringt eine heiße Quelle oberhalb von zwei natürlichen Becken: Das eine ist wunderbar heiß, das andere so furchtbar heiß, dass es nur Sara darin aushält. Mit Blick auf die sich im Wind wiegenden weißen Blütenflocken des Wollgrases und der Gewissheit, dass es bis zum Zeltplatz nicht mehr weit ist, planschen wir genüsslich im „Touristenbecken“.

Bier um die Hälfte billiger

Der Wind hat uns heute ganz schön gemobbt. Sich mit knatternder Jacke gegen ihn zu stemmen, war nur so lange witzig, bis Sand mit ins Spiel kam und sich trotz Vermummung seinen Weg in Augen, Mund, Nase und Ohren bahnte. Doch der Tag nimmt ein gutes Ende: Klemens, der per Offroader das Gepäck transportiert, lässt sich überreden, einen Teil seines privaten Biervorrates abzutreten. Wir stehen Schlange für eine Halbliterdose für 650 Isländische Kronen, 2,20 Euro. Vor der Finanzkrise hätten wir dafür noch gut fünf Euro berappen müssen. Der hüfttiefe Gletscherfluss Throngá stellt uns auf eine letzte Probe. Es ist das gefühlte zwanzigste Mal auf dieser Tour, dass wir uns unserer Hosen und Schuhe entledigen, um einen Bach zu durchqueren. Wir wissen längst, wie schmerzhaft fließendes Wasser im Null-Grad-Bereich sein kann. Doch dieser reißende Strom ist ein anderes Kaliber. Sara teilt uns in Dreiergruppen ein und impft uns in Furt-Technik: untergehakt quer zur Fließrichtung gehen und nie den Rücken zur Strömung kehren! Wider Erwarten geht alles gut.

Bei strahlendem Sonnenschein und T-Shirt-Temperaturen machen wir uns auf zum Rjúpnafell. Mit seinen 824 Metern gehört der Berg nicht zu den höchsten Islands, trotzdem erscheinen uns die Serpentinen, in denen sich der Pfad zum Gipfel hinaufschraubt, endlos. Doch die einzigartige Aussicht auf die Gletscher entschädigt für den Schweiß.

Dass das Wetter sich von seiner besten Seite zeigt, wundert Sara nicht. „Verdur, unser Wort für Wetter, wird auch im Plural gebraucht. Es gibt hier nicht nur ein Wetter, sondern mehrere – weil es sich so schnell ändern kann.“ Am Abend beginnt es zu regnen und hört nicht mehr auf. Mangels Postämter und Einkaufsmöglichkeiten schreibe ich die Karte an den Liebsten daheim erst in Reykjavik. Wenn auch viel zu spät, so ist die auf die Vorderseite gedruckte Botschaft doch eindeutig: „Wish you were here to keep me warm in Iceland!"

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2009)

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