Alternatives Fest für die Kamelnomaden in Indien

SUDAN CAMEL MARKET MAN AND CAMELS
SUDAN CAMEL MARKET MAN AND CAMELS(c) EPA (Mike Nelson)
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Kamele sind in Rajasthan „Staatstiere“. Neuerdings machen Hindus den Nomaden, die von ihren Kamelen leben, das Leben schwer. Doch noch gibt es den Kamelmarkt beim legendären Pushkar-Fest im November.

Mit einer lässigen Handbewegung lädt Narayan dazu ein, näherzukommen. Der junge Mann hütet auf einer Brache zwei Dutzend Kamele. Vorsichtig nähern wir uns den zotteligen, dunkelbraunen Ungetümen. Bedächtig senkt ein Tier sein Haupt herab, die Nüstern weit geöffnet, zwei große, pechschwarze Augen mustern den Fremden. Mit ein wenig Zureden wird das Tier zutraulich und lässt sich sogar das struppige Haupt kraulen.
In der Wüste kommen Kamele tagelang ohne Wasser aus, sie ernähren sich nur von dürren, halbtrockenen Blättern dorniger Bäume. Mit ihren tellergroßen, tatzenartigen Füßen sind sie in der Lage, selbst in tiefem Wüstensand große Entfernungen zurückzulegen. Als Transport- und Arbeitstiere finden sie in der Landwirtschaft und in der Armee Verwendung. Nomaden wie die Raika ziehen mit ihren Kamel- und Schafherden durch Wüsten und Gebirge, immer auf der Suche nach Weiden. Kamelbullen ziehen zweirädrige Holzwagen über die Straßen. Die indische Armee, die hier eine Hunderte von Kilometern lange Grenze zum feindlichen Nachbarn bewacht, ist im Wüstensand auf Kamele als Transporttiere angewiesen. Im vergangenen Jahr erklärte die Regierung das Kamel zum Staatstier von Rajasthan und stellte es unter besonderen Schutz.

Kräuteröl im Messingtopf

Narayan Raika, der Kamelhirte, wärmt sich die Hände über einem Feuer aus Kameldung. Überall auf dem Feld verteilt liegen die walnussgroßen Kötel der Wüstentiere. Ihretwegen dürfen sie hier rasten. Der Besitzer des Ackers zahlt Narayan gutes Geld dafür, dass seine Tiere den Boden düngen. Narayan setzt einen Messingtopf auf das Feuer und erwärmt darin Kräuteröl. Damit reibt er die Wunden einiger Tiere ein. Seine Patienten beschweren sich mit einem missmutigen Grunzen, bleiben jedoch ruhig stehen, um die Prozedur geschehen zu lassen. Narayan fragt, ob wir einmal Kamelmilch kosten wollten. Mit einem kleinen Aluminiumtopf nähert sich Narayan einer jungen Stute. Er streichelt das Tier, redet auf es ein, beruhigt es mit Schnalzlauten. Vorsichtig betastet er den kleinen Euter. Schließlich beginnt er an einer Zitze zu ziehen – warme Milch spritzt in den Topf. Ein Bub bringt ein paar Blätter von einem Baum, die sich in Narayans Händen flugs in kleine, gefaltete Becher verwandeln. Darin reicht er uns die noch warme Milch – ein Genuss!
„Raika sind Halbnomaden. Sie haben eine feste Heimatbasis in jenem Dorf, in dem ihre Familie lebt“, erklärt die Anthropologin Uttra Kothari. „Die Hirten verbringen den Großteil des Jahres mit kleinen und großen Wanderungen, die sie auch in die Nachbarstaaten führen. Nur bei festlichen Anlässen oder wichtigen Familienereignissen wie Geburt, Tod oder Hochzeit kehren sie vorübergehend ins Dorf zurück.“
In dem kleinen Pilgerort Pushkar wird einmal im Jahr der größte Kamelmarkt der Welt abgehalten. Hier versammeln sich die Söhne der Wüste mit ihren Tieren und veranstalten Schönheitswettbewerbe und Wettrennen. Es geht zu wie auf einem Jahrmarkt: Händler bieten bunte Stoffe feil, in provisorischen Bambushütten wird Tee und Gebäck serviert, Minnesänger unterhalten das Publikum und bitten um ein Bakschisch. Tausende von Touristen aus Indien und der ganzen Welt mischen sich unter das Publikum.

Alternatives Kamelfest

Der Kamelmarkt in Pushkar fungierte bisher als Dreh- und Angelpunkt der Kamelwirtschaft in Rajasthan: festlicher Höhepunkt des Jahres, Treffpunkt verstreut lebender Nomadengruppen, Handelszentrum. Doch seitdem Hindus behaupten, die Tiere vor dem Schlachter retten zu wollen, Handel und Transport von Kamelen und Rindern behindern, verzichten immer mehr Kamelzüchter auf eine Reise nach Pushkar. Der Markt schrumpft drastisch, die Preise für Kamele fallen unkontrolliert. Beim letzten Kamelfest im November 2015 wurden nur wenig mehr als 5000 Kamele registriert, fünf Jahre zuvor waren es noch doppelt soviel.
„Die Lage der Kamelnomaden ist kritisch“, sagt die deutsche Tierärztin Ilse Köhler-Rollefson, die seit vielen Jahren den Kamelmarkt besucht. „Und es wird immer schlechter, denn sie erhalten keinerlei Unterstützung durch die Regierung, obwohl die Kamelherden große ökonomische Bedeutung haben und einen wertvollen Beitrag zur Volkswirtschaft liefern.“ Die Deutsche lebt seit mehr als 20 Jahren bei Kamelnomaden am Rande der indischen Wüste Thar. Sie leistet medizinische Dienste für Mensch und Tier, engagiert sich aber auch für Weiderechte und Marktzugänge für die Kamelzüchter, die sich Raika nennen. Im vergangenen November lud sie zu einem alternativen Kamelfest auf ihrer Farm am Rand der Wüste ein. Das Kamelfest sollte den Nomaden neue Impulse geben. Auf einem Basar wurden Kamelprodukte wie Decken und Teppiche angeboten, im Restaurant gab es Kamelmilch und Kamelkäse. Musiker trugen die Legenden der Wüstennomaden vor. Aus ganz Rajasthan kamen Kamelhirten zusammen, Wissenschaftler, Veterinäre und Journalisten steuerten ihre Expertise bei. In den Gesprächen am Esstisch oder unter dem Feigenbaum hörte man immer wieder dasselbe: Immer mehr Weidegründe und Wanderwege gehen verloren, die Einkünfte und der Wert der Tiere schwinden rasant, junge Leute hätten kein Interesse an dem Beruf des Kamelhirten. „Ihre Rolle wird nicht anerkannt“, urteilt Ilse Köhler-Rollefson. „Es heißt, dass sie altmodisch wirtschaften, dass diese Art der Tierproduktion heutzutage nicht mehr vertretbar ist, obwohl sie besonders ökologisch ist, besonders sozialverträglich und auch besonders gut aus der Tierschutzperspektive. Sie ist eine Alternative zur industriellen Tierhaltung.“ Ilse Köhler-Rollefson leistet Lobbyarbeit für die Raika. Einer ihrer Verbündeten ist Sarwan Singh Raika, Funktionär beim indischen Verband der Nomadenvölker. Sarwan, 40 Jahre alt, vier Kinder, lebt mit seiner Familie in einer Hütte auf einem Hügel in der Nähe der Landeshauptstadt Jaipur. Er besitzt 70 Kamele, deren Pflege brächte ihm aber keinerlei Einkommen. Am meisten macht ihm zu schaffen, dass die Weidegründe immer knapper werden: „Wir treiben die Tiere zur Weide in den Wald. Es kommt vor, dass wir dabei versehentlich Ackerland überqueren. Da werden wir dann oft attackiert und mit Steinen vertrieben. Unsere Wanderrouten führen uns bis in die Nachbardistrikte Alwar und Bharatpur, auch dort müssen wir mit Gewalt vonseiten der Dorfbewohner und der Forstbeamten rechnen. Häufig werden wir zu hohen Geldstrafen verdonnert. Wie soll ich da meine Kinder und meine Kamele ernähren?“ Bevor Indien unabhängig wurde, hatten die Raika und andere Nomaden verbriefte Weiderechte, auch in den Waldgebieten. Heute kämpfen sie ums Überleben.

SCHLAFEN UND SPEISEN IN KAMELFREUNDLICHER UMGEBUNG

Das Kamelfest in Pushkar findet alljährlich im November statt. Der Termin richtet sich nach dem Mondkalender, der Höhepunkt fällt in die Vollmondnacht. Die romantische Stadt Pushkar umringt einen heiligen See, in dem Pilger ein rituelles Bad nehmen. Die Hotels der Kleinstadt sind während des Festes überbucht, Alternativen stehen jedoch in unterschiedlich ausgestatteten Zeltcamps nahe des Festgeländes zur Verfügung. Hier können während des Festes auch Ausritte auf Kamelen gebucht werden. 8.–15. November 2016.

Schlafen: Die meisten Unterkünfte in Pushkar sind eher schlicht und bieten eine an Touristen angepasste indische Küche an.

Anreise: Nächster Flughafen ist in Jaipur. Wien–Jaipur–Wien ab 567 € mit Etihad Airways (etihad.com/de-at). Weiter per Mietwagen über die Landstraße von Jaipur nach Ajmer, von dort weiter nach Pushkar (Jaipur-Pushkar ca. 150 km). Pushkar kann auch von Jaipur aus per Eisenbahn erreicht werden. Die Fahrt dauert etwa sechs Stunden. Weitere Informationen beim indischen Touristenbüro. www.india-tourism.com
Camel Charisma: Die deutsche Tierärztin Ilse Köhler-Rollefson bietet unter dem Namen „Camel Charisma“ auf ihrer Farm in Sadri Unterkünfte in Kamel-freundlicher Umgebung an. Auf dem Programm stehen Dorfbesuche bei Kamelhirten, nächtliches Camping mit Kamelhirten, Ausflüge im Kamel-Karren. Ilse Köhler-Rollefson verspricht saubere Unterkünfte und schmackhafte, hausgemachte Mahlzeiten. Spezialität: Kamelmilch und Kamelkäse.
Anreise mit Bus oder Taxi über eine teils romantische Bergstraße aus Udaipur (Flughafen), ca 150 km. Sadri ist nur wenige Kilometer von dem imposanten Jain-Tempel von Ranakpur entfernt. Das aus weißem Marmor errichtete Gotteshaus zieht täglich Tausende Gläubige und Touristen an. Sehenswert auch das nahe, im 15. Jahrhundert erbaute, Fort Kumbhalgarh, das zum Weltkulturerbe gehört. Die gut erhaltene Festung liegt sehr romantisch auf einem Hügel. Nahebei bieten einige Luxushotels Übernachtungen an.

Kontakt Camel Charisma:
lpps.sadri1996@gmail.com
Telefon: +91/966 00 83 437

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