Bhutan: Kleines Land pflegt sein Glück

KOLKATA INDIA OCTOBER 5 This year Bhutan is theme of Suruchi Sangha Durga Puja on October 5 201
KOLKATA INDIA OCTOBER 5 This year Bhutan is theme of Suruchi Sangha Durga Puja on October 5 201(c) imago/Hindustan Times (imago stock&people)
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Auf Wanderungen mit einem Mönch und Glücksmanager lernt man das kleine Königreich auf seinem Weg im 21. Jahrhundert kennen. Modernes Leben hält Einzug, doch das Land hält es in Schach.

Und noch 800 Stufen – nachdem zwei Stunden steil bergauf bereits bewältigt sind. Meist wortlos, denn die Luft ist dünn. Das Ziel der Tour heißt Tiger's Nest auf 3120 Metern, knapp tausend Höhenmeter über dem Tal von Paro. Diese in eine steile Felswand gebaute Tempelanlage ist das Postkartenmotiv des Landes. Oben wünscht Saamdu Chetri: „Möge uns dieser Besuch Freude, Friede, Harmonie, Liebe und Glück bringen.“ Seine Schüler werfen sich im Tempel ostentativ auf den Boden. Die Demutsgebärde wirkt ungeschmeidig, eckig, europäisch. Seine Schüler sind Niederländer. Und dieser Saamdu Chetri ist nicht nur ihr Guru. Er ist seit ein paar Jahren Mönch, und jeder in Bhutan kennt ihn: als den Manager des Glücks im Land.
Bruttonationalglück, was für ein Begriff! Es sei wichtiger als das Bruttoinlandsprodukt, gab der 4. König in den 1970ern zu Protokoll, denn die Wirtschaftsentwicklung müsse einhergehen mit Bhutans Kultur, Natur und buddhistischen Werten. Der König setzte eine Kommission für das Bruttonationalglück ein – und Saamdu Chetri als ihren Direktor.
Das Kloster Taktsang, das Tigernest, ist dauerhaft bewohnt von einem Abt, drei Mönchen und zwei Polizisten, die je einen Monat in einem Häuschen stationiert sind. „I am lucky“, sagt der eine, denn er muss nicht wie mancher Handwerker oder Restaurator täglich nach oben marschieren. Der Felsvorsprung beim Tigernest fällt abrupt senkrecht in die Tiefe. „Es entstand 1692, nachdem Guru Rimpoche auf einem Tiger angeflogen kam und auf dem Felsvorsprung meditierte“, erklärt Saamdu. Bhutan ist voll solcher Mythen und Legenden. Jeder 15. der 750.000 Einwohner ist ein Mönch, darunter unzählige Lamas, also Reinkarnierte. „Ja, wir wurden belächelt für unseren Glücksbegriff“, sagt der Happiness Guru beim Abstieg. „Aber wir wurden auch von der UNO eingeladen, ihn zu erklären.“ Guru! Noch so ein Begriff, den Europa gern auflädt, dabei bedeutet Guru nichts anderes als Lehrer. Und der spricht nun unentwegt, denn abwärts geht das leichter: Er referiert von 33 Indikatoren in neun Kategorien, wie etwa Gesundheit und Bildung, die das bhutanesische Glück definieren, und von der Umwelt. „Schaut euch um, alles Konsummüll! Dosen, Tuben, Plastik.“ Er hebt eine leere Cola-Dose neben dem Weg auf, schaut sie an, als sei sie das Symbol fürs Unglücklichsein: „Legt ein Stück Fleisch ein. Am nächtsen Tag ist es weg. Und trotzdem: Alle Welt trinkt das Zeug!“ Teufelszeug sagt der 60-Jährige nicht, das wäre ganz und gar unbuddhistisch.

Keine Sackerl, keine Werbung

Unten im Tal erscheint das Glück aber zuweilen arm: Viele Wohnungen sind nicht beheizt, Straßenarbeiter schlagen Steine für Befestigungen noch mit dem Hammer. Und nicht nur in der wunderschönen Gangtey-Hochebene laufen manche mit Filzpantoffeln im Schnee, denn richtige Winterschuhe sind für viele zu teuer. Saamdu Chetri weiß das. Und dennoch sieht er sein kleines, zwischen China und Indien eingezwängtes Land auf dem richtigen Weg.
Dem Bruttonationalglück ist nicht leicht beizukommen, weil vieles mit der tief verwurzelten buddhistischen Denkweise zusammenhängt. Aber für den Außenstehenden wirkt es wie eine Mischung aus viel Buddhismus und etwas Sozialromantik, der Wunsch nach mehr Grün und ein Schuss Attac. Es ist normale Politik, aber wo immer es geht sozialer, menschlicher und so wenig wie möglich (Banken-)Kapitalismus.
Werbung für Konsumgüter ist nicht erlaubt, die Ausgabe von Plastiksackerln verboten, Zigaretten aus Indien sind nur unter dem Ladentisch zu bekommen. Fast-Food-Lokale sind unbekannt, dafür wächst Hanf am Straßenrand. Es gibt keine Verkehrsampeln, maximal fünfstöckige Häuser, und die Nationaltracht ist in Ämtern, Tempeln und bei der Arbeit Pflicht: der Gho für die Männer, ein Rock, der mit Kniestrümpfen und Halbschuhen getragen wird, und die Kira, das bodenlange Kleid für die Frauen. Der Nationalsport heißt Bogenschießen, und das Besteigen von Gipfeln über 6000 Metern ist nicht gestattet. Sie gehören einzig den Göttern. Damit hat Bhutan die letzten unerklommenen 7000er. Das wiederum klingt alles wie von einer anderen Welt. Ist es auch, denn das Land war bis in die 1960er komplett abgeschottet, hatte keine eigene Währung, kein Telefon, keine Post, keine Schulen, Krankenhäuser, auch keine Straßen. Da musste dem Glück ja auf die Sprünge geholfen werden.
Heute fummelt jeder zweite Mönch am Handy herum, auch Saamdu. „Die Dinger sind kein Glück, nur eine Hilfe. Wir haben auch Fernsehen, keine Internetseite ist geblockt. Bhutan weiß, was draußen passiert. Und wir haben uns inzwischen weitgehend dem Tourismus geöffnet.“ Die Straßen sind zwar erst im Bau, die bergigen Strecken lassen so manches Unwohlsein aufkommen. Erst seit 1974 dürfen jedes Jahr 5000 bis zuletzt maximal 34.000 Besucher ins Land, zu einem Tagessatz von 250 US-Dollar. Das Land ist zu teuer für die meisten Backpacker und Billigtrekker. „So kann der Tourismus unsere Kultur und Tradition nicht zerstören“, meint Saamdu, Doktor der Wirtschaftswissenschaften. Bhutan will kein zweites Nepal werden. Braucht aber das Geld aus dem Tourismus, um das Glück des Landes bezahlen zu können. Auch das sagt Saamdu nicht so deutlich. Buddhistische Zurückhaltung meidet klare Worte.
Das gilt freilich nicht, wenn es um die Schönheit der Berge geht, die von 200 Metern im Süden bis zu den schneebedeckten Gipfeln des Himalaja auf mehr als 7000 Meter ansteigen. „Wir haben das Glück, uns selbst ernähren zu können: Reis, Kartoffeln, Gemüse, Obst, sogar Papayas und Mandarinen wachsen bei uns.“ Und wenige Kilometer weiter geht's hinauf ins ewige Eis. Dazwischen ländliche Szenerien mit Reisterrassen und Vieh, Dörfer mit Lehmhäusern. Überall flattern Gebetsfahnen, drehen sich Gebetsmühlen, wandeln weinrot betuchte Mönche. Die mächtigen Klosterburgen, Dzongs, sind meist Heimat von bis zu 300 von ihnen. Dumpf dröhnen daraus die Trommeln, monoton klingen die Mantras der Mönche. Weihrauch liegt in der Luft. Es scheint, als habe sich seit dem 17. Jahrhundert, als der Dzong von Paro erbaut wurde, kaum etwas verändert.

Lokaler Spirit für Besucher

Das zu sehen und zu erleben, ist das tägliche Glück für den Besucher. Auch das weiß Saamdu genau, „trotzdem müssen wir im Tourismus nachhaltig arbeiten“. Harmonie ist gefragt. Und da steht das Amankora in erster Reihe. Dieses Aman ist kein Resort, wie man es aus Phuket oder Bali kennt. Das Amankora liegt über fünf Täler verteilt, jedes mit individuellem Charakter und großer Bergkulisse: in Paro wie ein bhutanesisches Dorfhaus aus gestampftem Lehm, in Gangtey und Bumthang Berglodges, Punakha eine Königsresidenz, und Thimphu gibt sich streng und mächtig wie ein Dzong.
„Im Kleinen gibt es noch viel zu tun“, sagt Saamdu. Die Zahlen sprechen für sich: Im World Happiness Report der Vereinten Nationen landet Bhutan im Mittelfeld auf Platz 74 (1. Dänemark, 12. Österreich), während es nach dem Bruttonationalprodukt weltweit ziemlich am Ende rangiert. So gesehen möchte man hoffen, dass das Bruttonationalglück noch lang den Ton angibt. „Im Großen sind wir gut aufgestellt.“

REISEZIEL BHUTAN

Individuelle Reisen in Bhutan sind nicht möglich, man muss bei einer lokalen Agentur oder einem internationalen Veranstalter buchen. Der Autor war mit www.rosetravel.de unterwegs. Österreichische Reiseveranstalter bieten Bhutan als Studien- und Trekkingreise an. Direktflüge nach Bhutan gibt es keine. Verbindungen von Qatar Airways via Delhi oder Bangkok und von dort weiter mit Drukair nach Paro, www.qatarairways.com, www.drukair.com. Die Anzahl der Besucher im Land ist limitiert. Jeder Bhutan-Reisende muss je nach Saison einen Tagessatz von 200 bis 250 US-Dollar pro Tag bezahlen.
Anspruchsvolle Reisende legen noch einiges drauf, wenn sie im Amankora, einem der auf fünf Gebiete verteilten Häuser der Amanresorts-Gruppe, absteigen. www.amanresorts.com

Info. Bhutan Tourism, touristische Repräsentanz für die deutschsprachigen Länder, Berlin, T.: +49/30 42 08 49 43, info@bhutantourism.de, www.tourism.gov.bt

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