Azoren: Wachsen, blühen und gedeihen

Allgegenwärtig. Hortensien zieren die Straßenränder. Teefelder geraten üppig.
Allgegenwärtig. Hortensien zieren die Straßenränder. Teefelder geraten üppig.(c) imago/Westend61
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Wie ein großes Schiff voller Natur liegen die Azoren mitten im Atlantik. São Miguel, die Hauptinsel, hat besten Boden für Ananas, Wein und Tee.

Die Hälfte der Passagiere, die am Flughafen von Ponta Delgada landet, trägt Outdoorkleidung. Dass ihre Inseln vor allem als reines Wanderziel wahrgenommen werden, mag so manchen Bewohner der Azoren verwundern. Doch findet sich auf den neun Inseln im Atlantik eine unglaubliche Vielfalt der Natur.

Weil das ganze Jahr hindurch moderate Temperaturen zwischen 18 und 25 Grad gepaart mit hoher Luftfeuchtigkeit herrschen, wachsen die Bäume wahrhaftig in den Himmel, und die Blumen gedeihen in bunter Pracht. Ein gewöhnlicher Gummibaum kann auf den Azoren schon einmal eine Höhe von bis zu sieben Metern erreichen. Garten-Hortensien werden hier bis zu fünf Meter hoch und prägen in verschiedenen Blautönen die ganze Insel. Überall strahlt gelber, wilder Ingwer. Farne, verschiedene Moosarten, Schlingpflanzen und asiatische Nadelbäume lassen einen mitunter in einer Fantasy-Film-Kulisse wähnen. An die siebzig Pflanzenarten kommen überhaupt nur auf den Inseln vor, die aus vulkanischem Gestein bestehen und auf denen es mancherorts in den Kesseln noch recht ordentlich brodelt. So sehr, dass etwa neben dem Kratersee Lagoa das Furnas auf der Hauptinsel São Miguel, Fleisch und Gemüse in Töpfen (Cozido) in Bodenlöchern geschmort wird. Weiter oben übrigens, auf den Wiesen, die an steirische Almen erinnern, stehen Kühe, von denen es angeblich mehr als Einwohner gibt.

Aber auf den Azoren fesselt nicht nur die wilde Pflanzenwelt und die vulkangemachte Landschaft. In der Mitte des 19. Jahrhunderts erschütterte ein Naturereignis die Welt der Azoreaner. Schädlinge befielen den Weinbau und die Orangenplantagen. Der gesamte landwirtschaftliche Reichtum der Inseln wurde vernichtet. In vielen Gesprächen mit den Einwohnern geht es heute noch, mehr als 150 Jahre danach, um dieses einschneidende Ereignis, das zu einem schweren wirtschaftlichen Einbruch führte. Viele mussten die Inseln verlassen, um anderswo Arbeit zu finden. Ein paar Azoreaner aber reagierten rasch und entschlossen. Sie wandten sich anderen landwirtschaftlichen Produkten zu und waren erfolgreich. Einige Plantagenbesitzer auf der Hauptinsel São Miguel haben extra für das „Schaufenster“ ihre privaten Türen geöffnet.

Im Verkaufsraum der Teeplantage „Chá Gorreana 1883“ hängt ein Gemälde, das einen Chinesen mit langem weißen Bart und Kleidung aus dem 19. Jahrhundert zeigt. Er hat vor rund 150 Jahren die ersten Pflänzchen und das Wissen über den Teeanbau hierhergebracht. „Sie können sich vorstellen, wie dieser fremde Mann auf die Bewohner der Insel gewirkt hat. Es war, als ob ein Wesen von einem anderen Stern erschienen wäre“, erzählt Madeleina Motta und lacht. Ihre Familie besitzt die größte von drei europäischen Teeplantagen. Eine andere liegt gleich nebenan, eine dritte, winzig kleine befindet sich im englischen Cornwall.

Fruchtig. Ananas sind Kultur- wie ­Exportgut. Und beliebt als Souvenir.
Fruchtig. Ananas sind Kultur- wie ­Exportgut. Und beliebt als Souvenir.(c) Turismo Açores/Azoresphoto.visitazores.com

Der Tee wächst strauchartig, aber wie dichtes Gras auf langen Erdbahnen. Geerntet wird mit einer Maschine, die man sich als großen Rasenmäher vorstellen kann. Motta zeigt uns die einfachen Maschinen zum Schneiden, Trocknen und Sortieren des Tees, wobei der Großteil der notwendigen Arbeitsschritte händisch erfolgt. Alles wirkt wie eine kleine, noch nicht voll automatisierte Fabrik aus vergangenen Zeiten.

Grüner Veltliner. Ein Urgroßvater der heutigen Besitzerin hatte für die Plantage ein Wasserkraftwerk gebaut, das immer noch arbeitet und die kleine Teefabrik unabhängig von der örtlichen Stromversorgung macht. Anders wäre der Betrieb auch nicht zu führen, meint Motta, die Kosten wären zu hoch. Der „Chá Gorreana 1883“ wird zum überwiegenden Teil auf den Inseln und am portugiesischen Festland verkauft. Motta würde aber gerne auch nach Österreich und Deutschland exportieren, weil ihr Tee gerade für Länder mit hohem Umweltbewusstsein ideal wäre. Dank des Fehlens von Schädlingen werden in der Plantage keinerlei Pestizide eingesetzt. Tee trinken und abwarten ist jedenfalls ein gutes Motto auf den Azoren, den Inseln der wunderbaren Entschleunigung.

Die Betreiber des Weinguts Quinta da Jardinete haben dem „Schaufenster“ einen exklusiven Einblick gegeben. Mario Rebelo und seine Frau Kristina Rebelo Topic leiten das Anwesen im Norden der Insel in Fenais da Luz. Mario ist auf São Miguel aufgewachsen, Kristina kommt aus Österreich. Wir begleiten die beiden zu den Rebflächen hinter dem herrschaftlichen Haus. Derzeit sind drei Hektar bepflanzt, in Zukunft sollen noch zwei weitere dazukommen. Bis zu 15.000 Bouteillen Wein werden hier produziert und zum Großteil auf den Inseln konsumiert.
Das Besondere an den Rebflächen ist die unmittelbare Nachbarschaft zu anderen früchtetragenden Pflanzen: Bananenstauden, Feigen, Kiwi und Maracuja. Und am oberen Ende des Weingartens mit wunderbarem Blick über den Atlantik residieren die Bienen der Quinta.

Anfangs haben die Rebelos verschiedene Weinsorten gepflanzt, um auszuprobieren, welche mit dem azorischen Klima am besten zurechtkommen. Cabernet beispielsweise konnte wegen der zu wenigen Sonnenstunden nicht entsprechend reifen. Heute werden Grüner Veltliner, als österreichischer Beitrag zu den Köstlichkeiten auf den Azoren, sowie Weißburgunder, Merlot, Sauvignon Blanc und Pinot Noir gebaut.

Laue Nächte. Das Verhältnis Weißwein zu Rotwein liegt bei 60 zu 40. „Die Balance vor allem bei Weißwein ist von sich aus sehr gut“, erklärt Rebelo. Der Wein wird nicht zu alkoholisch und es ist trotzdem genügend Säure vorhanden, sodass nicht nachdosiert werden muss. Nur die Aromatik ist nicht so gut ausgeprägt wie bei österreichischen Weinen. Dazu fehlt einfach die Frische der Nacht.

Eine Besonderheit sind die Mauern aus vulkanischem Gestein, die den Weingarten vor dem Wind schützen und dabei auch ein Mikroklima erzeugen. „Wir haben keinen Frost, keinen Schnee, aber Wind,“ erklärt Rebelo. Der steinige basalthaltige Boden wird von einer nur geringen Schicht Humus bedeckt. Vor allem beim Pflanzen neuer Weinstöcke stößt man da manchmal an seine Grenzen, erklärt das Winzerpaar. Doch alles ist nicht so schlimm wie die Vogelschar. Unzählige Vögel tummeln sich rund um die Weinstöcke. Sie kamen einst mit den Schiffen vom Festland mit und fanden auf der Insel keine natürlichen Feinde vor. Daher müssen die Reben mit Netzen abgedeckt werden. Vieles wird hier händisch gemacht. So gehen beispielsweise bei der Abfüllung, Verkapselung und Etikettierung rund 15.000 Flaschen mehrmals durch die Hände der Rebelos. Diese Arbeitsschritte sollen künftig automatisiert werden. „In der Zwischenzeit bezeichnen wir unser Produkt als „Boutique-Winery“.

Regional. Die Küche auf den Azoren ist mal rustikal, mal raffiniert.
Regional. Die Küche auf den Azoren ist mal rustikal, mal raffiniert. (c) Veraçor/Azoresphoto.visitazores.com

Beinahe zehn Jahre lief das Weinmachen nebenbei. Mario Rebelo war als Meeresbiologe an der Universität von Ponta Delgada beschäftigt und seine Kristina Rebelo Topic studierte Medizin.  Heute sind sie auf der ganzen Insel als Weinexperten bekannt und haben es geschafft, eine Marke aufzubauen. „Quinta da Jardinete“, der kleine Pavillon am Hügel oberhalb der Weinstöcke ist Namensgeber ihres Weinguts. Weil immer mehr Weinliebhaber der Quinta einen Besuch abstatten wollen, planen die Rebelos eine alte Kapelle, die zum Weingut gehört, für Verkostungen zu adaptieren. Bis Ende des Jahres sollte es mit allen dafür notwendigen, behördlichen Genehmigungen klappen. Wer das Weingut besichtigen möchte, meldet sich am besten telefonisch an (T 0031 968617382).

Fruchtiges Exportgut. Azoreanische Ananas sind so etwas wie nationales, regionales Kulturgut. Der Besuch einer Plantage, wie jener der Familie Arruda lohnt jedenfalls. Madame Arruda empfängt uns persönlich und gibt eine kurze Einführung. Im Jahr 1919 war ihr Großvater als Reaktion auf das Ende des Orangenanbaus umgestiegen und hat eine Reihe von Glashäusern errichten lassen. Zwar wäre die Luftfeuchtigkeit auf den Azoren hoch genug für die heiklen Früchte, aber die Temperaturen mit einem Maximum von 23 Grad lassen einen Anbau im Freien nicht zu. „Jede Pflanze ergibt eine Frucht“, erklärt die Betreiberin der Plantage. „Wenn du sie erntest, nimmst du die Wurzel heraus und pflanzt mit ihrer Hilfe neue. Von einer Wurzel erhalten wir ungefähr fünf bis sechs kleine Pflanzen. Wenn sie ungefähr 20 Zentimeter groß sind, verpflanzen wir sie von dem einen Glashaus in das nächste und setzen sie in einer Entfernung zueinander ein, die ihnen ungestörtes Wachstum ermöglicht. Jedes Glashaus fasst ungefähr 700 Pflanzen.“

Es braucht sieben Produktionsstufen, die so angelegt sind, dass zu jeder Jahreszeit Ananas reif werden. Dabei wird ein Trick angewendet, der durch einen Zufall entdeckt wurde. Arbeiter hatten in einem Glashaus geraucht. Sechs Monate später kamen alle Ananas in diesem Glashaus zur gleichen Zeit heraus. Seither machen die Arbeiter eine Woche lang, während der Nachtstunden künstlich Rauch in den geschlossenen Glashäusern, indem sie Blätter abbrennen. Und so reifen sämtliche Ananas eines Glashauses zur gleichen Zeit. „Alles hier ist biologisch, ohne Chemikalien, alles in der gleichen Weise produziert, wie schon vor hundert Jahren“, erzählt Arruda stolz.

Im Shop bei der Plantage kann man Ananaslikör nach einem Rezept von Arrudas Großmutter erstehen, Marmelade, Chutneys, scharfe Saucen oder Salat-Marinade, alles mit dem feinen Geschmack der Ananas. Bei unseren Gastgebern am Weingut Quinta da Jardinete bekommen wir ein paar Tage später eine typische Speise der Azoren serviert: Blutwurst mit Ananas. Klingt fremd, ist fremd, schmeckt hervorragend.
Im Übrigen darf man am Flughafen von Ponta Delgada mit zwei Stück Handgepäck ausreisen – wenn eines davon eine Schachtel mit bis zu drei Ananas ist. „Ja, zeigt der Welt nur, dass unsere Früchte zwar kleiner sind, als etwa die brasilianischen, aber viel besser schmecken“, mag der Hintergedanke dabei sein.

Tipps

Anreise. Mit Sata International über Frankfurt nach Ponta Delgada. Innerhalb des Archipels mit Sata Air Acores in Propellermaschinen. Bis auf Corvo werden alle Inseln angeflogen. Rund 60 Passagiere haben auf Inlandsflügen Platz, daher im Sommer frühzeitig buchen! Ein Mietwagen ist fast zwingend, um São Miguel zu erkunden.


Wohnen. Casa Hintze Ribeiro, kleines Hotel mit Apartments im Zentrum von Ponta Delgada. Geschmackvolles Innendesign von der portugiesischen Designerin Nini de Andrade Silva. www.casahintzeribeiro.com

Terra Nostra Garden: edle Unterkunft in Furnas, im Osten der Insel. Im Art-déco-Stil erbaut und aufwendig renoviert. Wunderschöner Park mit von heißen Quellen gespeistem Badesee. www.bensaude.pt/terranostragardenhotel/de/

Quinta da Queiró: sehr sympathische Unterkunft in Sete Citades im Westen. Auch ein Tipp für das kleine Mittagessen oder feinen Tee. Sehr schöne Apartments, mit Liebe von den Eigentümern eingerichtet. Chutneys, Marmeladen und Frühstückseier aus eigener Produktion.
www.quintadaqueiro.com

Essen und Trinken.Caloura Bar & Restaurant: Beliebte Fisch-Adresse. Klein und direkt am Meer. Tipp: Cracas (kleine Krebse oder Seepocken in moosigen Steinen, gekocht im Meerwasser) probieren. Alleine das Rausfischen mit dem Drahthaken ist ein Vergnügen. Der Ausflug lässt sich auch gut mit einem Badetag im Atlantik verbinden. Rua da Caloura 20, Agua de Pau.

Anfiteatro: Direkt in Ponta Delgada im Hafen, sehr zu empfehlen tagsüber für Snacks im Erdgeschoß oder abends für ein ausgedehntes Menü im Obergeschoß. www.restauranteanfiteatro.com

Louvre Michaelense: Sehr schickes Lokal für den Kaffee oder Tee zwischendurch. Feine Torten und Kuchen. Rua Antonio Jose d’Almeida 18

Quinta dos Sabores: in Rabo de Peixe, nicht ganz leicht zu finden. Der Weg lohnt sich auf jeden Fall. Paulo und Inês zaubern in der offenen Küche ein 5-Gänge-Überraschungsmenü. Reservierung unbedingt empfohlen.
Rua Caminho Da Selada, n10, Rabo de Peixe.

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