Tunesien: Zweitausend ampelfreie Wüstenkilometer

Tunesien Zweitausend ampelfreie Wuestenkilometer
Tunesien Zweitausend ampelfreie Wuestenkilometerstephan burianek
  • Drucken

Mächtige Tafelberge, spitze Gipfel, riesige Dattelpalmen-Oasen und holprige Pisten: Eine Tour mit dem Geländewagen offenbart die faszinierende landschaftliche Vielseitigkeit des Landes.

Youssef hat es nicht leicht mit uns. Wozu hat sein Langzeitpräsident Ben Ali im letzten Jahrzehnt das tunesische Hauptstraßennetz auf Vordermann bringen lassen, wenn seine Fahrgäste unbedingt alte, holprige Nebenstraßen nehmen wollen? Straßen, die er nicht kennt, denn Youssef chauffiert seit 15 Jahren Touristen ausschließlich entlang der Küste zwischen dem Flughafen und den Hotels hin und her.

Nun hat ihn seine Agentur als Chauffeur von vier Verrückten auf eine einwöchige Rundreise per Geländewagen geschickt. Verrückt, weil die Hannibal-Classic-Oldtimer-Rallye, die von Sölden über die Schweiz und Italien nach Tunesien führen wird, eine gewisse Portion an Kreativität und Wagemut erfordert. Hauptstraßen interessieren uns wenig und Autobahnen schon gar nicht. Wir suchen die ideale Route. So wie einst der berühmte Hannibal, als er die Alpen mit Elefanten überquert hat.

Wir starten in Tunis. Kaum aus der Großstadt heraußen, lichtet sich der Verkehr. Die Landschaft präsentiert sich samtig grün und erinnert an die Hügel Siziliens, das auf derselben geografischen Breite liegt. Dazwischen wuchten sich immer wieder faszinierende Felsformationen in den Himmel – hier spitz, da als mächtige Tafelberge. Feigenkakteen säumen unendliche Olivenhaine. Man könnte sich leicht in Gedanken verlieren bei so viel Landschaft, würden nicht Schafherden im Gegenverkehr Konzentration auf die Straße erfordern. Inmitten dieser fruchtbaren Region haben die Numider ihre Hauptstadt errichtet

Wir erreichen Douggha auf Umwegen. Youssef schüttelt den Kopf und will nicht verstehen, dass man freiwillig einen längeren Weg von A nach B auf sich nimmt, als dafür notwendig wäre. Die antike römische Siedlung war zur Zeit Hannibals mit 40.000 Einwohnern wichtigstes Handelszentrum für Getreide und Oliven. Mit dem Pferdewagen wäre es eine Tagesreise von Karthago bis hierher und noch einmal so weit zu unserem heutigen Etappenziel Sbeitla. Im ehemaligen römischen Sufetula übernachten wir im gleichnamigen Hotel mit Blick auf das Forum. Wie auf diesem Marktplatz mit seinen bestens erhaltenen Tempelanlagen vor Jahrhunderten gehandelt und gefeilscht wurde, ist für diese Nacht der Stoff für Träume.

Weiter südlich wird die Vegetation karger, Wadis häufen sich. In den Dörfern fällt die modische Kleidung der jungen Bevölkerung auf. Frauen bedecken ihr Haar seltener als Männer, die in ihren Kachabias – Kuttenmänteln – auf Plastiksesseln vor den Cafés sitzen und Pfefferminztee schlürfen. Unser Plan für heute geht leider nicht auf: Starke Regenfälle haben in der vergangenen Woche die Straße entlang der algerischen Grenze weggerissen. Es heißt umkehren, und Youssef, so scheint es, atmet auf. So tief in der tunesischen Provinz war der Mann aus Tunis noch nie.

Panorama-Canyon

Der Umweg kostet Zeit, es ist längst Nacht, als wir in der Bergoase Tamerza ankommen. Umso größer am nächsten Morgen die Überraschung: Dattelpalmen bis zum Horizont. Eine Ruinenstadt aus rötlicher Lehmerde liegt gleich am Flussufer des Oued Khanga, genauer gesagt gegenüber unserem Frühstückstisch des Hotels Tamerza Palace. Aus einer märchenhaften Quelle sprudelt das Wasser. Ob die Seguias, die Bewässerungskanäle der Region, auch das Hotel-Spa versorgen?

Die Sahara ist nicht mehr weit. Unterwegs in die benachbarte Oase Midès, an deren Rand ein Fluss eine spektakuläre Schlucht gegraben hat. Am Horizont taucht schemenhaft eine mächtige Festung auf: die tunesische Grenzwache zu Algerien. Youssefs Telefon läutet. Es ist die „Garde Nationale“, die tunesische Polizei, die sich nach der geplanten Route erkundigt. Sicherheit für ausländische Gäste hat besonders in dieser Region Vorrang. Wir bleiben unserem Roadbook treu, inklusive zahlreicher Fotostopps.

Am höchsten Punkt einer Passstraße, die über Ausläufer des Atlas-Gebirges führt, halten wir beim „Panorama-Canyon“. Links, in einiger Entfernung, eine endlose Ebene. In der Mitte kahle, längs und wellig gestreifte Berge aus Sedimentgestein, rechts hinten die grünen Palmen von Tamerza. Lediglich sporadisch vorbeifahrende Fahrzeuge und heftiger Wind stören die tiefe Stille. Auch Youssef ist beeindruckt.

Nach dem Pass wird es flach. Dromedare fressen Halfagras. Vom Salz im größten Salzsee Nordafrikas, dem Schott El Jerid, sehen wir wenig. Durch heftige Regenfälle mit Wasser gefüllt, wirkt er wie ein Binnenmeer. Einige Kilometer hinter dem Salzsee endet die Feuchtigkeit abrupt. Wir haben die Sahara erreicht. Ksar Ghilane, inmitten mächtiger, endloser Sanddünen, entpuppt sich als riesiger Spielplatz für Europäer – allen voran Franzosen, Italiener und Deutsche. Ob Quads, Motorräder, Autos oder Dromedare – die Dünen fordern Touren durch den Sand geradezu heraus, ohne die sichere Oase allzu weit hinter sich lassen zu müssen. Wir verzichten auf Sandkastenspiele und ziehen ein Bad in einer natürlichen Thermalwasserquelle vor.

Im Bergland Dahar sind vermehrt Bustouristen anzutreffen, die von der nahen Ferieninsel Djerba aus Tagesausflüge gebucht haben. Eines ihrer Ziele ist Matmata, wo die Bewohner der Höhlenwohnungen, traditionelle, in den Lehmboden gebuddelte Krater, auf Souvenirkäufer warten. Das pittoreske Bergdorf Chénini mit seinem verlassenen Ksour finden wir bei Sonnenaufgang hingegen nahezu menschenleer, ebenso wie in der Abenddämmerung die traumhafte Speicherstadt Ksar Hallouf.

An der Mittelmeerküste geht es zurück in Richtung Tunis. Abgesehen vom größten römischen Amphitheater außerhalb Italiens, das die Stadt El Jem überragt, beeindruckt uns hier wenig – wiewohl für den Badetourismus bedeutsam, kann der Osten landschaftlich mit dem Rest des Landes kaum mithalten. Auf dem legendären Byrsa-Hügel, dem höchsten Punkt Karthagos, erreichen wir nach sieben Tagen und 2100 ampelfreien Kilometern unser Ziel.

Und Youssef? Der hat sich unsere Route notiert und einen Entschluss gefasst: Er wird seinen Arbeitgeber um eine Woche Urlaub und um ein Auto bitten. Und seinen beiden kleinen Söhnen dieses vielfältige Land zeigen, das er bisher lediglich aus dem Fernsehen kannte. Inschallah! So Gott will.

Geländewagen können in Tunesien nur mit Chauffeur gemietet werden und kosten ca. 130 Euro pro Tag. Das Tunesische Fremdenverkehrsamt in Wien hilft bei der Vermittlung gern weiter: 01/585 34 80
office@tunesieninfo.at
www.tunesien-info.at

Die Hannibal-Classic-Rallye findet vom 15.–30. April statt und führt von Sölden über die Schweiz und Italien nach Tunesien. Teilnahmeberechtigt sind alle Fahrzeuge mit Baujahr 1980 und älter. Im Preis von 17.500 Euro pro Oldtimer sind alle Nächtigungskosten inbegriffen. www.hannibal-classic-rallye.at

Hotels: www.villadidoncarthage.com
www.tamerza-palace.com
http://ksar-ezzit.com

Tunesien-Veranstalter: u. a. Dertour und Kneissl Touristik

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.