Lappland: Heiß auf Weiß

Wintertraum Lappland nördlich des Polarkreises: Die Finnen und Samen mögen’s weiß bis in den Mai.

TIPPS

Feinster Pulverschnee knirscht unter den Sohlen. Flughafen Kittilä, 67°40’ Nord, 24°53’ Ost. Das Weiß ringsum blendet: Nordfinnland, oberhalb des Polarkreises. Der Horizont verschwimmt mit dem Firmament. Lappland scheint grenzenlos, unendlich weit und verborgen unter einer dicken, watteweichen Schicht. Der Bus ins 60 Kilometer entfernte Äkäslompolo in Finnlands bekanntester Skiregion Ylläs brummt schwerfällig los und gewinnt an Tempo. Doch bei rund sieben Monaten Winter im Jahr sind schneebedeckte Straßen für den Fahrer reine Routine.

Mitten in einer Streusiedlung von weit auseinanderliegenden Blockhäusern heißt es aussteigen. Kein Mensch zu sehen. Wo, bitte, ist das Hotel? In welche Richtung soll ich stapfen? Gebell ertönt und wird lauter, ein Schlitten mit einem Hundegespann schlingert heran. Toivo Quist, der Besitzer des Hotels, holt seinen Gast höchstpersönlich ab. Perfektes Timing. Oder hat der Busfahrer Toivo per Handy verständigt? Egal, die Art der Beförderung begeistert auf Anhieb. Rauf auf den schmalen Schlitten, Rentierfelle über die Beine und die Schultern und los geht’s. Die Hunde scheinen nur darauf zu warten, mit dem beißenden Wind um die Wette zu rennen. Doch Toivo hält sie im Zaum, gibt ihnen ein gemäßigtes Tempo vor.

„Die Hunde sind Zeitfallen“, sagt der groß gewachsene Finne, „ich muss sie trainieren, füttern, pflegen, die Gäste chauffieren, und das alles neben dem Hotel und der Langlaufschule Aber die Hunde sind mein Leben.“ Die Huskys zählen zu seiner Familie, mit der er das behagliche Hotel führt, das am Fuß des Ylläs-Fjälls – dem mit 718 Metern höchsten Berg Finnlands – alles bietet, was ein Skifahrerparadies ausmacht.

Gleich mal ab in die Sauna zum Aufwärmen. „Es gibt in Finnland mehr Saunas als Seen“, sagt Toivo – keine Überraschung, bei „nur“ 188.000 Seen und 5,5 Millionen Finnen. Ein Land also, in dem man richtig Dampf ablassen kann. Am besten noch vor dem Abendessen, das im Ylläs Humina durchaus erwähnenswert ist. Das Restaurant ist bekannt für einheimische Spezialitäten und ein exquisites Buffet. Man versuche zum Beispiel Lohikeitto: finnische Lachssuppe mit Kartoffeln, Zwiebeln, Lorbeerblatt, Dille und viel – Milch! Sämig, schmackhaft, nahrhaft. Danach
Poronkäristys – Rentiergeschnetzeltes. Weil die Tiere in der winterlichen Tundra nur Flechten, Moose und Kräuter schnabulieren, haben sie kaum Fett am Leib, Schweinefleisch fettet das Geschnetzelte auf. Dazu schlürft man Kotikalja, selbst gebrautes Bier. Das kühle Blonde aus dem eigenen Haus ist alte skandinavische Tradition und hat maximal ein Volumsprozent Alkohol – was die legendär langen Saufgelage der Wikinger erklärt. Das Dessert ist Kiisseli – Beerenmus mit Schlagobers, heiß oder kalt.

In der urigen Bierstube oder im Kaminzimmer trifft man sich zum Après-Ski. Beim Plausch vor dem knackenden, knisternden Feuer erzählt Toivo aus alten Zeiten. Das ehemalige Mitglied der finnischen Langlauf-Nationalmannschaft trainiert heute mit seinen Gästen den klassischen Stil oder Skating. Die Ausrüstungen für Cross-Country, Telemark und Skiwandern kann man ausleihen, das Loipennetz ist gut ausgeschildert und beispielhaft gepflegt. Man kann auch ohne Führer loslaufen, die Orientierung ist einfach. Der Einstieg in die rund 330 Kilometer maschinell präparierten Loipen beginnt direkt vor der Haustür und sie reichen bis zu den anderen Wintersportzentren in der Region Ylläs – den sieben „Bergen“ und den zwei Dörfern Äkäslompolo auf der nördlichen und Ylläsjärvi auf der südlichen Seite. Das Loipennetz bringt es insgesamt auf nahezu 1000 Kilometer. Wer die Kondition hat, kann tagelang durch fast menschenleere Einsamkeit laufen, die Nächte verbringt man in Hütten, die in regelmäßigen Abständen auf Marathonläufer warten. Auch für Alpinskifahrer und Snowboarder ist der Ylläs als Finnlands Berg mit den längsten Pisten und dem größten Höhenunterschied die erste Wahl.

Nordlichtalarm. Es ist spät geworden, die 38 Volumsprozente des Kultwodkas „Koskenkorva“ fordern ihr Recht, und morgen geht es mit Toivos Gruppe in die Fjälls, die Berge. Ab ins Zimmer also in einer der Blockhütten rund ums Haupthaus. Die Nacht ist sternenklar. Plötzlich ein himmlisches Leuchten. Blaue, grüne und goldene Schemen huschen über das Firmament. Polarlichter? So schnell wie sie kamen verschwinden sie wieder.
Am Morgen verleihen Sonne, Frost und Bodennebel der Bergwelt einen rosa Schimmer. Gegen Mittag spannt sich der Himmel dann leuchtend blau über die weiße Land schaft, der Schnee blinkt und glitzert. Zur Teestunde verwandelt der Sonnenball den Horizont in eine Farb-orgie, bevor er in der Kälte und Dunkelheit abtaucht. Die Zeit dazwischen und die paar Kilometer Langlaufschritte reichen, um müde bis in die Knochen zu werden. Aber danach wartet ja wieder die Sauna. Der lange Winter am Polarkreis ermöglicht eine Vielzahl von Aktivitäten. Auf dem Eis der Seen spielen die Finnen Golf oder Curling, angeln in eisigen Löchern, Schlittschuhläufer drehen ihre Pirouetten, Eissegler zischen dahin. In der brettlebenen Weite ist Platz auch für Abenteuer, die in unseren Breiten, bedingt durch Witterung und Topografie, die große Ausnahme sind. Motorschlittensafaris zum Beispiel. Es kostet einiges an Kraft und Geschick, diese 100 PS starken Ungetüme zu lenken. Doch hat man die Sache erst mal im Griff, staubt der Schnee nur so unter den Kufen, rasant geht’s über zugefrorene Seen, durch den Tiefschnee, in kurzen Sprüngen die Hügel rauf und runter – die Nervosität geht bald in tierischen Spaß über. Nur der Lärm und die Abgase trüben das Bild der motorisierten Freiheit.

Zarte, filigrane Tiere. Und wenn beim Mittagessen im Lappenzelt der Duft von brennendem Holz, Dille, Petersilie und Lachs sowie frischem Kaffee in die Nase steigt, dann ist die Lagerfeuerromantik perfekt.
Eine Woche ist kurz, trotzdem bleibt Zeit, die Rentierherde von Hannun Ajokhaat, einem Sami, zu besuchen. Eine Fahrt mit einer „Pulkka“, dem Rentierschlitten der Samen (früher Lappen), der einzigen Bevölkerungsgruppe der EU, die auf ihrer traditionell nomadischen Lebensweise beharrt, ist ein weiteres unvergessliches Erlebnis. Zwei zarte, gebrechlich wirkende Rentiere ziehen den leichten Schlitten, darauf der Gast, eingehüllt in dicke Felldecken, Hannun Ajokhaat führt die Tiere durch die weiße Landschaft, über die sich langsam Abendschatten breiten.

Letzter Tag im Ylläs Humina. Toivo findet noch einmal Zeit, mich im Hundeschlitten mitzunehmen. Dieses Mal zügelt er die laufgierigen Tiere nicht, jetzt  geht so richtig die Post ab. Die starken Huskys ziehen, in ihrem unbändigen Willen zu laufen, die Schlitten ohne sichtliche Anstrengung, selbst durch tiefen Schnee. Mit Unterstützung von Toivo darf auch ich für eine kurze Strecke die Horde leiten. Tolles Gefühl, ein stattliches Rudel japsender, hechelnder Hunde durch die tief verschneite lappländische Wildnis zu lenken. Weiter, weiter, immer weiter. Im Affentempo knirschen wir durch die grenzenlose Weite, hinein in die weiß glitzernde Unermesslichkeit der Tundra.

Die sauberste Luft Europas. Seija, ein landeskundiger Guide, holt mich in Äkäslompolo ab und bringt mich in ihrem robusten Wagen zu Finnlands ältestem Nationalpark: Pallas Ounastunturi. Eingerichtet zum Schutz der gewaltigen Fjällkette und der Ökosysteme, wichtig für Forschungszwecke – und zur Entspannung der Gäste. Die Luft über dem Park gilt als sauberste in ganz Europa. Das Wasser der Seen ist so rein, dass man es trinken kann, in den Flüssen leben Wildlachse und Forellen. Ein Paradies für Erholungsbedürftige. Im Sommer wie im Winter findet man hier tiefe Ruhe und Einsamkeit, müsste, wenn man wollte, tagelang keinen Menschen zu Gesicht bekommen.

Auch im Nationalpark kann man direkt vor dem Hotel die Bretter anschnallen. Es sind Langläufer und Naturliebhaber, die hierherkommen. Im „Pallas“ wartet eine der letzten großen Freiheiten: mit Ski und Rucksack die grandiose, unberührte Landschaft der Fjälls zu durchstreifen. Allein oder in geführten Gruppen – in Tagesetappen durch den arktischen Winter. Im Tiefschnee entdeckt man ab und zu frische Fährten von Elchen, Luchsen und Schneehühnern, angeblich sogar von Bären und Wölfen. Völlig ausgepumpt und verschwitzt schlüpft man abends in Wildmarkhütten unter, hockt sich vors offene Kaminfeuer und sauniert nach der Katzenwäsche bis zum Umfallen.

Die neu erworbenen Langlaufkenntnisse fordern zu einer Tour über eine kleinere Loipe rund ums Hotel heraus. Tiefe Stille. Weit und breit niemand zu sehen. Nur das leise Knirschen der Skier und der eigene schwere Atem sind zu hören. Die verschneiten Bäume nehmen Gestalt an: von Kobolden und Trollen, von eisigen Kapuzenmännern. Die Bäume scheinen zu sich bewegen – ein Gefühl der Ausgesetztheit breitet sich aus. Mein einsamer Ausflug wird nur kurz dauern, ich drehe um und steigere mein Tempo, bis das Hotel wieder in Sicht ist. Auch an die Einsamkeit muss man sich erst einmal gewöhnen.

Olli, der Wildhüter. Dem Maler Veli scheint sie nichts auszumachen. Er wohnt allein am Rand des Parks in einer riesigen Blockhütte. Gesellschaft leistet ihm nur ein Rudel Hunde und ein riesiger, ausgestopfter Grizzly neben einem mächtigen offenen Kamin. Ab und zu kommen Besucher und kaufen im besten Fall auch eines seiner Gemälde. Auch Olli, einer der Wildhüter vom Pallas Ounastunturi, liebt sein Leben allein mit sich und der Natur. Oder doch nicht so ganz? Ganz nebenbei will er von Seija wissen, ob die Saksaleina, die Deutsche, die sie mitgebracht hat, noch zu haben ist. Er würde ihr gern das Revier zeigen und seine Wildhütte. „Pech gehabt, lieber Olli, die Saksaleina ist verheiratet.“ „Ja, dann eben nicht. Wollte nur mal gefragt haben.“ Offen, geradeheraus und herzlich sind die Menschen in Lappland. Abends hocken sie mit dir bei Rentierschinken, Elchgulasch oder glutgeräuchertem Lachs, prosten dir mit Finlandia Wodka zu und singen ihre Lieder,  als wärst du einer von ihnen, kein Fremder. Das verführt zum Wiederkommen.

Unterkünfte:
Ylläshumina Hotel, FI-95970 Äkäslompolo, +358/(0)16/56 95 01 begin_of_the_skype_highlighting              +358/(0)16/56 95 01      end_of_the_skype_highlighting begin_of_the_skype_highlighting              +358/(0)16/56 95 01      end_of_the_skype_highlighting begin_of_the_skype_highlighting              +358/(0)16/56 95 01      end_of_the_skype_highlighting begin_of_the_skype_highlighting              +358/(0)16/56 95 01      end_of_the_skype_highlighting begin_of_the_skype_highlighting              +358/(0)16/56 95 01      end_of_the_skype_highlighting begin_of_the_skype_highlighting              +358/(0)16/56 95 01      end_of_the_skype_highlighting begin_of_the_skype_highlighting              +358/(0)16/56 95 01      end_of_the_skype_highlighting begin_of_the_skype_highlighting              +358/(0)16/56 95 01      end_of_the_skype_highlighting, www.yllashumina.com Lapland Hotel Pallas, FI-99330 Pallastunturi, +358/(0)16/32 33 55, www.laplandhotels.com

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