Italien: Eine Küste färbt sich rosa

(c) EPA (Pasquale Bove)
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Am 1. Juli sind Dutzende Badeorte und Lidos an der Adria in Rosa getaucht. Das Sommerfest animiert Köche zu rosa Menüs, sogar Italo-Machos kleiden sich ganz in Rosa in der La Notte Rosa.

Prosciutto cotto? Finito tutto!“ Gekochter Schinken? Ausverkauft! Emanuele Buratta schüttelt den Kopf. Auch Scampi sind in seinem kleinen Alimentari-Geschäft an Riminis Strandpromenade längst ausverkauft. Heiße Nachfrage nach zwei Produkten, für die es in normalen Zeiten keinerlei Nachschubprobleme gibt.

Doch während der Notte Rosa, der rosa Nacht, ist alles anders. Dann sind Italiener und Adria-Urlauber wild auf alles, was auch nur im Entferntesten an die Farbe Rosa erinnert. Eben auch auf Kochschinken und Scampi. Damit kreiert manch italienische Mamma spezielle Notte-Rosa-Gerichte für ihre Familie.

Nach dem Essen geht es an den Strand oder auf die Promenaden, um eine Art Spring Break auf Italienisch zu feiern. Ausgelassen, lebensfroh, fröhlich, bis in den Morgen hinein. Vergleichbar mit dem orangetrunkenen Königinnentag in den Niederlanden – allerdings ganz in Rosa und am Mittelmeer.

Die rosa Nacht ist ein gigantisches Sommerfest an der Küste der Emilia-Romagna. Seit sechs Jahren werden zwischen Comacchio und Cattólica zahlreiche Badeorte und Lidos in Rosa getaucht. Im Vorjahr erstmals an einem Feiertag, in diesem Jahr am 1. Juli, einem Freitag, mit der Option auf Ausschlafen am Samstag. Und wieder werden weit über eine Million Besucher erwartet. Es dürfte sich um das größte Strandfest in Italien handeln. Vor allem in den Touristenhochburgen Cesenatico, Riccione und Rimini, das im Zentrum der Feierlichkeiten steht.

Kostenlose Livemusik

10.000 rosa Liegestühle werden die Veranstalter an den Stränden entlang der Küste aufstellen. Restaurantchefs werden rosa Menüs kredenzen, Eissalonbesitzer rosa Eisbecher auffahren und Barmänner rosa Drinks mixen. Erneut werden tausende Straßenlaternen rosa schimmern, zig Hotels und Pensionen mit rosa Scheinwerfern angestrahlt.

Sogar das legendäre Grand Hotel Rimini wird für diese Nacht in Rosa getaucht. Der weiße, altehrwürdige Zuckerbäckerbau ist eine Adria-Institution, der Inbegriff eines mondänen, mediterranen Jetset-Urlaubs. Dazu gibt es in allen Orten viel kostenlose Livemusik unter freiem Himmel – und viel „casino“, wie die Italiener ihre eigene hektische Betriebsamkeit nennen. Hunderte Events steigen entlang des über hundert Kilometer langen Küstenstreifens. Konzerte, Partys, Film- und Theateraufführungen, Feuerwerke. Sie alle widmen sich der Farbe Rosa und ihrer Bedeutung: Liebe, Schönheit, Leidenschaft.

„Das Fest ist vor allem den Frauen gewidmet“, sagt Andrea Gnassi, der Erfinder der Notte Rosa. Doch auch Männer betrachten das Leben in dieser Nacht durch die rosarote Brille. Viele tragen rosa T-Shirts, Perücken, Cowboyhüte, Shorts.

Papagalli mit rosa Wimpern

Etwa Leo aus Rimini. Er und seine Freundin Mary wählen schon Wochen vor der rosa Nacht ihr Outfit aus. Mary hat sich Engelsflügel in Rosa besorgt, Leo wird sich wieder in die hautengen Pants vom Vorjahr zwängen. Das bisschen Stoff auf seinen Hüften sticht nicht nur wegen seiner Farben ins Auge: knalliges Pink. Die etwa kräftigere Variante von Rosa ist auch erlaubt und während der Notte Rosa ebenfalls stark vertreten. Eine homoerotische Note ist der Notte Rosa freilich nicht abzusprechen. Rosa gilt ja als inoffizielle Farbe von Schwulen und Lesben. Das Spektakel an der Adria zieht deshalb auch viele Homosexuelle an. Bei manchem Gay-Reisen-Veranstalter wird es speziell vermarktet.

Doch die Notte Rosa ist nicht in erster Linie eine Demonstration für Toleranz und Gleichberechtigung. Oder gar ein ideologisches Fest – es ist ein Fest für jedermann. Sogar italienische Machos und Strandpapagalli tragen ohne mit der rosa Wimper zu zucken rosa Perücken, rosa Sonnenbrillen oder rosa Plüschherzen. Dieses selbstverständliche Miteinander zwischen Homo- und Heterokultur ist auch in Italien längst nicht alltäglich.

Giulia betreibt ein Kosmetikstudio unweit der Strandpromenade von Rimini. Schon Tage vor dem Event lackiert sie die Fingernägel ihrer Kundinnen rosa und flicht ihnen rosa Wollfäden ins Haar. „Letztes Jahr war sogar eine Gruppe von jungen Kerlen da“, erzählt Giulia, „sie wollten ihre Nägel in Pink lackiert haben.“ Mehrmals hätten sie ihr versichert, dass sie nicht homosexuell seien, sondern sich einfach mal schrill verkleiden wollten.

Ob homo oder hetero, knalliges Pink oder zartes Rosa – in der Notte Rosa wird das Leben durch die rosarote Brille betrachtet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2011)

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