Amanshausers Welt: 19 Italien

Alex Randolph, berühmtester Spieleautor der Welt. Eine Begegnung vor der Frari-Kirche.

2001, ein heißer Septembertag am Canale Grande. Ich war gespannt, wie Alex Randolph aussehen würde. Er musste jetzt 79 sein. Als ich ein Kind war, hatten wir den Spiele-Erfinder, einen Freund meines Vaters, gelegentlich in Venedig besucht. Mit leiser, eindringlicher Stimme machte er jene Art von Witzen, die Kinder nicht verstehen, aber sympathisch finden.

Erst viel später begriff ich, dass Alex Randolph, 1922 in Las Vegas geboren, der berühmteste Spieleautor der Welt war: „Twixt“, „Inkognito“, „Venice Connection“, „Rasende Roboter“, „Sagaland“, „Banda“, von Japan bis in die USA verkauften sich seine Spiele millionenfach. Randolph soll einmal gesagt haben, sein außerordentlicher Erfolg in Deutschland beruhe auf zwei Faktoren: dem unwirtlichen Wetter und der Stabilität deutscher Tische.
Ich folgte seiner Wegbeschreibung: mit dem Vaporetto nach San Tomà, die schmale ­Calle del Traghetto Vecchio zur Frari-Kirche, wo ­Tizian begraben ist. Alex saß mit wachen ­Augen im Café vor der Frari, schmäler als vor 25 Jahren, zerbrechlicher. Lächelnd erklärte er, Arbeit sei das Gegenteil von Kultur: „Lohnarbeit, das ist überhaupt das Grauenhafteste. Besser, man träumt nur dahin.“

Er machte mich darauf aufmerksam, dass das Englische bei „Spiel“ sinnvoll differenziere: zwischen „game“ und „toy“. Bald kam die Sprache auf Spiele-Freaks, die ihn anödeten: „Ich brauche die Fanatiker. Aber sie sind mir fremd. Mich machen Brettspiele ungeduldig – fertige Spiele sind uninteressant.“ Der ­Erfinderspaß liege im Ausloten der Möglichkeiten. „Wie funktioniert der Mechanismus? Das ist die Frage.“ Es ärgere ihn, wenn manchmal der Vorwurf komme, ein neues Spiel ähnle einem alten. „Ich möchte ja gerade alte Spielprinzipien auf reizvolle Art variieren!“

Mein Randolph-Lieblingsspiel, erzählte ich Alex, sei immer „Prärie“ gewesen: Neun Büffel versuchen, die frischen hellgrünen Wiesen zu erreichen – gegen einen Indianer und vier Hunde. „Prärie“ führte mich 1978 in die Isolation, ich gewann so oft, dass niemand mehr mit mir spielte. Ebenso sehr faszinierte mich seine Schachvariation „Mimikry“ – um meinen Vater ans Brett zu bekommen, der behauptete, er müsse sich, um mich im Schach zu besiegen, „derart anstrengen“, dass es ihm „keinen Spaß mehr“ mache.

Nach einer Stunde im Frari-Café wurde Alex Randolph unruhig. „Ich muss weitertun, ein paar Ideen warten auf mich.“ Ich hoffte insgeheim, er werde mich noch in sein Studio einladen, wo er mehr als 150 Spiele erfunden hatte, aber er tat es nicht. Vor der Frari-Kirche tauchten wir in die Touristenmasse ein. Zum Abschied lächelte er verlegen: „Vielleicht
se­hen wir uns wieder. Man kann ja zurückkommen...man kann ­alles Mögliche tun...Ciao!“ Alex hob einen Arm, machte zwei ­tänzelnde Schritte und tauchte in die Menschenmenge ein.

Im April 2004 ging eine kurze Agenturmeldung um die Welt, die viele Menschen traurig machte – Spieleautor Alex Randolph sei 82-jährig in Venedig gestorben.

Martin Amanshauser, Autor,
www.amanshauser.at;
„Alles klappt nie“,
Roman, Deuticke Verlag 2005.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.