Kulinarische Fortschritte in der Hohen Tatra

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Zaghafte kulinarische Fortschritte in der Hohen Tatra, wo Wein nicht mehr als Getränk für Lulus gilt.

Neulich war ich zu einer Trauung in der Hohen Tatra eingeladen. Die polnischen Bergbauern haben diesbezüglich keinen besonders guten Ruf – eine Hochzeitsfeier ohne zwei Todesopfer sei dort keine richtige Hochzeitsfeier, sagt man im restlichen Polen mit wohligem Gruseln. Zu meinem Glück – oder Unglück, je nachdem – kam nur die Braut aus den Bergen, der Bräutigam war hingegen ein Kaschube aus Pommern, was die Situation einigermaßen entschärfte. Schnapsleichen gab es also keine, obwohl die Wodkaflaschen aus Körben gereicht wurden. Doch die Zeiten haben sich geändert, Polen ist Nato- und EU-Mitglied – und es gibt bei familiären Anlässen mittlerweile auch Wein zu trinken, was in der guten alten Zeit ein Affront gewesen wäre. Früher galt Wein als Getränk für Lulus.

Apropos gute alte Zeit: Was sich hingegen nicht geändert hat, ist das Essverhalten. Bei der besagten Feier ging es so zu wie immer. Und zwar konkret so, wie ich mir das bundesdeutsche Wirtschaftswunder der frühen 1950er-Jahre vorstelle: Der Krieg ist vorbei, die Jahre der Entbehrungen liegen hinter uns – und es gibt endlich wieder Fleisch! Und zwar reichlich und in mannigfaltiger Form. Gekocht, gebraten, gegrillt, geschmort, faschiert, filetiert und auf Hochglanz poliert. So kämpften sich die in der reizvollen Ortschaft Murzasichle versammelten Hochzeitsgäste durch Kubikmeter Schwein, Rind und Geflügel, während ein Highlander-Streichquartett für musikalische Untermalung sorgte. Es war ein großes Fest. Kurz nach Mitternacht suchte ich das Weite.

michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2014)

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