Der Mensch, das (un)vernünftige Tier

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Unser Verhalten im Flugzeug beweist: Mit dem Menschen als „Animal Rationale“ ist es leider nicht sehr weit her.

Der Mensch sei das vernünftige Tier, behauptete Aristoteles. Wie so oft irrte der alte Grieche auch hier. Gut, damals gab es noch keinen Flugverkehr. Als Passagier wäre dem Philosophen seine Fehldeutung des menschlichen Wesens sofort sinnfällig geworden. Es fängt schon beim Einchecken an, genauer: bei der Sitzplatzwahl. Gibt es einen vernünftigen Grund, warum sich alle in die vorderen Reihen drängen? Weil man am Zielort schneller wieder rauskommt? Dafür wartet man länger im Bus oder am Gepäckband. Hinten ist mehr Platz, und wer dort am Fenster sitzt, sieht auch etwas, ganz anders als über dem Flügel. Nein, das kindische Motiv kommt aus dem Bauch: Wer weiter vorn sitzt, sei auch sonst im Leben vorn dabei.

Wenn es während des Fluges ruckelt, klammern wir uns an der Armlehne fest, was nun wirklich gar nichts ändert. Wir ärgern uns über die Stewardess, weil sie uns zwei Millimeter weniger breit anlächelt als unseren Sitznachbarn. Dabei macht sie das, bei mehreren tausend gezwungenen Lächelvorgängen pro Tag, bestimmt nicht absichtlich. Kaum steht die gelandete Maschine still, springen alle wie von der Tarantel gestochen auf. Auch jene, die am Fenster oder in der Mitte saßen. Kaum einer von ihnen fliegt das erste Mal. Also wissen fast alle, dass sie nun fünf Minuten in wilden Verrenkungen warten müssen – mit einem Buckel wie Quasimodo und dem stieren Blick des Menschentiers, das nicht weiß, was es mit sich anfangen soll. Die Ratio aber rät uns: sitzen bleiben und weiterlesen. Am besten etwas so hochgradig Vernünftiges wie diese Glosse.

karl.gaulhofer@diepresse.com

Nächste Woche: Gabriel Rath

(Print-Ausgabe, 29.01.2017)

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